Review

Wie Bonbonpapier wird die andere Seite wieder versiegelt und schließt den offen gestreuten Mittelteil sorgfältig ein. Ein offenes Ende findet statt, ist aber für den Strukturenkomplex der Trilogie nicht mehr weiter relevant. Es dauert seine Zeit, fast drei Stunden, doch schließlich macht sich der Rückgriff auf geradliniges Erzählkino bezahlt: Diese Geschichte kommt mit ihrem übersichtlichen Gesamtaufbau fast schon einem Märchen gleich. Für jene Figuren, die Christopher Nolans „Batman“-Erzählung überlebten, ist die Syntax von „und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ nicht zu weit hergeholt. Über das „glücklich“ freilich darf man sich streiten.

Der „Dunkle Ritter“ ist Titelheld, längst aber nicht Hauptgegenstand der Erzählung. Nolan ließ ihn in „The Dark Knight“ entstehen, als lebendes Oxymoron, geprägt durch gesellschaftliche Dynamik, die durch die Taten von Monstren in Bewegung gebracht wurden, zu denen auch Batman selbst immer zu zählen war. In Gesellschaft zweier weiterer Chimären, des Jokers und Two-Faces, blühte die Schizophrenie des Handlungsträgers auf: Freude und Leid zu seiner Rechten, Glück und Pech zu seiner Linken, so verschmolzen mittendrin Held und Sündenbock, Licht und Düsternis, unter den Augen ausgewählter Gesetzesvertreter zu einer Figur – dem Dunklen Ritter eben, der Gutes tun und Böses verkörpern sollte.

Die Fäden, die „The Dark Knight“ über diesem Dilemma sponn, waren Legion. Wo „Batman Begins“ Furcht zum Auslöser des Bösen erklärte, ließ man diesmal das Chaos als sein Resultat walten, und das exponierte in gigantischen Dialog- und Figurennetzen, die sich bis hinein in die Einzelschicksale unbedarfter Bürger zogen. Entsprechend steigt „The Dark Knight Rises“ nun zwar erst acht Jahre später ein, knüpft aber nahtlos an den Vorgänger an, indem sofort ein Heldenfoto von Batmans Negativ Harvey Dent gezeigt wird. Ab hier wird es nur noch darum gehen, die offenen Fäden zahlreich aufzugreifen und binnen kürzester Zeit harmonisch wieder zusammenzuführen.

So erscheint der dritte „Batman“ auf den ersten Blick komplexer als er tatsächlich ist. Die Baustellen, die er zu Beginn öffnet, erweisen sich im Nachhinein immer als Reaktion auf das Erbe des Jokers – zu erkennen natürlich in erster Linie an der Figur des Hauptgegners Bane.

Nachdem Heath Ledger post mortem zu großen Ehren gekommen war, galt es nun, einen Gegner zu finden, der ihm so weit wie möglich aus dem Weg geht. Bane ist hier in Form eines vollständigen Gegenentwurfs die beste Wahl: Seiner Maske wegen gerät er gar nicht in Verlegenheit, mit dem Joker konkurrieren zu müssen, dessen ersten Auftritt Nolan nicht umsonst direkt im Close-Up-Format einfing. Wie der Joker gerät auch Bane zunächst vermummt auf den Plan, vielsagend wird er dann aber in seiner ganzen Erscheinung gezeigt, denn seine Physis ist es, die Eindruck hinterlassen soll. Tom Hardy hat hinter der Maske einen eher undankbaren Job: Nur seine Augen bleiben ihm, und die sollen lediglich Kälte ausstrahlen. Um das fehlende Schauspiel zu synchronisieren, wird jedoch zusätzlich auch auf Voice Acting gesetzt: Ein dadaistischer Singsang legt sich in Banes Intonation nieder, in seiner Ausführung ähnlich wie bei Batman selbst (der ja auch eine stimmliche Verfremdung erfährt) sicherlich fragwürdig, in seiner Intention jedoch auch oft missverstanden durch das Publikum: Die helle Betonung von Silben, die im natürlichen Sprachgebrauch eigentlich nicht akzentuiert werden, soll nicht lediglich Bedrohlichkeit ausdrücken, sondern vor allem Fremdartigkeit, Isolation und Exzentrik. Auch hier ergeben sich wieder Parallelen zu Batman, der psychologisch betrachtet schon mit dem Joker gleichgesetzt wurde und der jetzt auf physischer Basis erneut in den Spiegel blicken muss.

So sehr Nolan sich bemüht, Bane durch Kamerafahrten und –Einstellungen bedrohlich und steinern wirken zu lassen, und das gelingt ihm durchaus, so gibt es natürlich kein Vorbeikommen am Joker. „The Dark Knight Rises“ mag an diesem zum Scheitern verurteilten Vergleich zu beißen haben, der Trilogie kommt das jedoch zugute, denn anders als bei den meisten anderen Filmtrilogien, vergleichbar eher mit Gemälde-Triptychen, schwingt sich hier der Mittelteil zum Zentrum auf, dessen Wirkung von den Außenflügeln verstärkt wird. Erwartet man also für den vermeintlichen Abschluss der Saga den klassischen „größer, besser, weiter“-Effekt, so geht man von einer Dramaturgie aus, die Nolan definitiv nicht verwendet.

Mit dem Gegnermodell verrät der Film dann auch seinen Charakter. Ungeachtet seiner mehr als 160 Minuten strebt er nach Geradlinigkeit, reiner Physis und schlichter Metaphorik. Der Titel referiert auf die relativ oberflächliche Metapher eines tiefen Brunnens, aus dem der Flattermann – das traumatische, aber befreiende Bild eines aus der Höhle stoßenden Fledermausschwarms aus dem ersten Teil kehrt zurück – sich erheben muss, praktisch um seine eigene Nemesis zu überwinden, die ihn erst zu dem gemacht hat, was er geworden ist.

Das Entsetzen von 9/11, das Sam Raimi noch dazu zwang, Bilder des World Trade Centers nachträglich aus seinem Film entfernen zu lassen und das in „The Dark Knight“ immer wieder thematisiert wurde, ist mehr als zehn Jahre später längst einem Prozess der Verarbeitung gewichen. Gotham City, in „Batman Begins“ noch eine architektonisch eindrucksvolle Kunststadt mit deutlichen New-York-Parallelen, ist inzwischen nahezu vollständig zu New York selbst mutiert. Nolan zeigt Bilder von einstürzenden Brücken, zerbröckelnden Hochhäusern und einbrechenden Footballstadien aus der Panoramaperspektive, ganz ohne den betäubenden Entertainment-Krawall-Schleier eines Michael Bay, sondern mit dem Ziel einer bewussten Selbsttherapie. In Banes Exposition wird ein Flugzeug auf gänzlich abstrakte Art und Weise zum Absturz gebracht, Nolan spielt hier mit künstlerisch abstrahierten Interpretationen realer Geschehnisse. Fortlaufend stoßen in „The Dark Knight Rises“ gleichwertige Kräfte aufeinander, kollidieren in bilderschütternden Orgien roher Gewalt, die, obwohl sie Nolan-typisch fortwährend durch Dialoge und Figurenverschachtelungen analysiert werden, nichts Intellektuelles an sich haben.

Allerdings ist der Aufstieg des Dunklen Ritters, und hier beginnt Nolans bis dato so brillant aufgezogene Fassade zu bröckeln, von ausgesprochen schizophrener Art. Dem Neorealismus, den er für das Fach Comicverfilmung initiiert hat und mit dem er wohl als wegweisend in die filmische Zeitgeschichte eingehen wird, bleibt er einerseits treu. Optisch bestimmen farblose, triste Bilder die Atmosphäre, IMAX-Splitter fliegen unentwegt durch die Luft und Actionsequenzen werden dezentral eingefangen, immer gekoppelt mit dem ereignislosen Hintergrund, in dem die Action eingebettet ist, und untermalt von langen Dialogsequenzen, die im etwas langen Mittelteil sogar manchmal zu langweilen drohen, weil das Zusammenführen von Fäden nie so interessant ist wie das Ausstreuen. Und was die Hauptfigur betrifft: Obwohl es um ihren Phoenix-Effekt geht, scheint sich Nolan gar nicht mehr sonderlich für sie zu interessieren und stiehlt ihr Screentime, wo es nur geht. „The Dark Knight Rises“ ist gewissermaßen weit mehr noch als „The Dark Knight“ ein Metafilm, dem seine Hauptfigur weniger wichtig ist als die gesellschaftlichen Umstände, die sich durch diese Figur ergeben haben. Die Fähigkeit, sich von der Figur zu lösen, macht die Filme natürlich gerade erst so komplex.

Andererseits ist da aber der geradlinige Aufbau, der Nolan dazu zu verführen scheint, die Nähe zum Comic zu suchen. Mehr als bislang greift er populäre Comicpanels auf und transferiert sie in bewegte Bilder. Ein Bösewicht taucht auf, etwas Schlimmes passiert, der Held hält dagegen und stößt dabei auf Widerstände, die er bislang noch nicht kannte und an denen er zugrunde zu gehen droht. Das ist klassisches Geschichtenerzählen. Nun scheint der Regisseur zu glauben, der Comic-Klientel etwas schuldig zu sein und bringt (neben einem Überraschungsgast) ausgerechnet Catwoman in sein Realismus-Konstrukt ein. Doch alles, was Anne Hathaway ihrem Regisseur liefern kann, ist eine weitere starke Frau aus Hollywoods Schablonenbuch – gewandt, geheimnisvoll (?) und männerfressend. Michelle Pfeiffer bleibt um Meilen voraus; ihr Fetisch hätte in der Welt des neuen Batman auch gar keinen Platz. Diesmal also wird das Katzenhafte für eine weitestgehend uninteressante Heist-Geschichte verheizt, so dass der Einbau von Catwoman wie ein Zugeständnis wirkt. Ein Bane alleine hätte durchaus gereicht. Dass es theoretisch durchaus möglich gewesen wäre, Tim Burtons Verrücktheiten in den Stil der neuen Franchise einzupflanzen, beweist immerhin die einzige Szene um Jonathan Crane (Cillian Murphy), die den Hutmacher-Wahnsinn geschickt mit der aus dem Ruder gelaufenen Bürokratie von Terry Gilliams „Brazil“ kombiniert und dennoch in diesen von abgehärtetem Realismus bestimmten Film passt.

Doch selbst vor der Herkunft seiner Hauptfigur scheint Nolan sich zu fürchten, fast so, als sei sie für ihn gerade das Trauma, das die Fledermäuse für Batman sind. Wann immer er ihm zu nahe kommt, weiß er nichts mit ihm anzufangen und weicht doch wieder auf einen Alfred oder Jim Gordon aus oder auf das Treiben in den Straßen. Das Pendel zwischen Comic und Realismus schwingt diesmal ein wenig zu weit. Dennoch gelingt es dem Regisseur durchaus zum dritten Mal, seinem Film über die Erzählperspektive einen ganz eigenen Charakter zu geben und doch narrativ einen Baustein auf den nächsten zu setzen und im Endeffekt eine schlüssige Gesamttrilogie zu erschaffen, auch wenn deren Abschluss genauso wie ihr Auftakt, aber ohne deren atmosphärische Dichte, ganz im Dienste des omnipotenten Mittelteils steht.

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