Review

„Der beste Freund für einen Mann ist seine Mutter!“

Der britische Regisseur Alfred Hitchcock galt als Meister der Spannung – ein Ruf, den er insbesondere mit seinem 1960 veröffentlichten, komplett in Schwarzweiß und in US-Produktion gedrehten Psycho-Thriller „Psycho“ verfestigte. Der Film gilt bis heute als Meisterwerk und wurde zu einem unzählige Filmemacher inspirierenden Genrewerk sowie Prototypen des Slasher-Films. Er basiert auf dem (mir unbekannten) gleichnamigen Roman Robert Blochs, der von den wahren Ereignissen um den Serienmörder Ed Gein inspiriert wurde.

Die Büroangestellte Marion Crane (Janet Leigh, „The Fog – Neben des Grauens“) unterhält eine heimliche voreheliche Beziehung zu ihrem Liebhaber Sam Loomis (John Gavin, „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“), der über finanzielle Sorgen klagt und sie deshalb nicht heiraten könne. Eines Tages wittert sie die Chance, zu schnellem Geld zu kommen, und unterschlägt 40.000 $ in bar eines reichen Texaners. Sie setzt sich in Richtung Kalifornien ab und sucht schließlich in Bates Motel für eine Nacht Zuflucht vor dem Wetter. Dort wird sie unter der Dusche erstochen. Motel-Besitzer Norman Bates (Anthony Perkins) lässt die Leiche und Marions Auto verschwinden und verwischt sämtliche Spuren. Marions Schwester Lila (Vera Miles, „Blutweihe“) und Sam betreiben Nachforschungen und engagieren den Privatdetektiv Milton Arbogast (Martin Balsam, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“). Sie kommen einem düsteren Geheimnis auf die Spur…

„Gegen das Pech im Leben gibt’s bekanntlich keine Pillen!“

Für „Psycho“ tat Hitchcock gut daran, im Vorfeld weitestmöglich dafür Sorge zu tragen, dass niemand seinem Publikum zu viel verriet, denn dass der bis dahin als Hauptrolle etablierte Charakter bereits ca. zur Hälfte aus der Handlung herausgemordet wird, sollte eine genauso überraschende Wendung bleiben wie die finale Auflösung der Ereignisse, der entscheidende Aha-Effekt der Geschichte. Beides sind herausragende Schockmomente der Kinohistorie geworden, die sich tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt haben und seither unaufhörlich zitiert werden. Doch damit der Film auch sowohl bei Kenntnis seiner Twists als auch bei erneuten Sichtungen funktioniert, arbeitete Hitchcock zwar gezielt auf seine Überraschungen hin, ließ jedoch auch bei allem sie Umhüllenden äußerste Sorgfalt walten und wandte all sein inszenatorisches Geschick dafür auf, „Psycho“ zu einem wunderbar gealterten, monumentalen Filmereignis zu machen.

Mittels neugieriger Kamerafahrten und -perspektiven sowie eines Weltruhm erlangten Streicher-Soundtracks rückt er an der Sitte und Moral der auslaufenden 1950er rüttelnde Motive von vorehelichem Sex über Unterschlagung/Diebstahl und aus dem Alltag auszubrechender junger Frauen bis hin zu Unterwäscheszenen, dem sprichwörtlichen nackten Entsetzen eines Mords unter der Dusche sowie der Konfrontation mit psychopathologischen, ödipalen Komplexen innerhalb der einfachen Landbevölkerung ins Licht der Leinwand. Die Mordszene unter der Dusche ist ein Paradebeispiel für die Kraft von Andeutungen und versierter Schnitttechnik, denn entblößte Geschlechtsorgane oder blutige Einstiche bekommt man in der nur scheinbar expliziten Sequenz nicht zu sehen, dafür geht die staccatoartige Musik wahrlich durch Mark und Bein. In Kombination mit klassischen Stilelementen wie prasselndem, unwetterartigem Regen beim Begeben in Gefahrsituationen oder der geheimnisvoll-düsteren Ausleuchtung des Bates-Wohnhauses, die aus ihm einen wenig einladenden, schattenhaften, unheimlichen Ort macht, gelingt es Hitchcock, eine Atmosphäre des Grusels, der inneren Anspannung und des nahenden Unheils selbst in scheinbar unspektakuläre Momente zu projizieren. Entscheidend dazu bei tragen die Schauspieler: Janet Leigh spielt ihre Nervosität als unerfahrene Diebin sehr gut und mitleidserregend, vor allem nachvollziehbar. Hitchcock unterstützte sie zusätzlich, indem er sie sich hörbar für den Zuschauer die Dialoge ausmalen ließ, die erfolgen würden, nachdem der Diebstahl bemerkt werden würde. Größter Glücksgriff für die männliche Hauptrolle war natürlich der unscheinbare Anthony Perkins für die Rolle eines der bekanntesten Muttersöhnchen der Kinogeschichte. Zunächst ein freundlicher, zuvorkommender, schüchterner junger Mann, beginnt die Stimmung umzuschlagen, sobald man den Gesprächen mit seiner „Mutter“ unfreiwillig beiwohnt und ist sie nahezu im Eimer, wenn er im gleichen Atemzug über Frauen zu philosophieren beginnt, wie er seiner Leidenschaft fürs Ausstopfen von Tieren zum Ausdruck bringt. Allen Charakteren gemein ist, dass sie etwas zu verbergen haben, was zu beim einen mehr, beim anderen weniger Nervosität führt und subtil zur beunruhigenden Stimmung des Films beiträgt. Auf ein Gut/Böse-Schema wird weitestgehend verzichtet, Marions kriminelle Handlung ist verständlich und selbst Bates wirkt mehr erbarmungswürdig als alles andere, ihn zu hassen scheint nicht möglich. Diese differenzierte Charakterzeichnung fordert den Zuschauer heraus, statt an seine niedere Instinkte zu appellieren. Sein Händchen für grandiosen Spannungsaufbau beweist Hitchcock beim Mord an Arbogast – Szenen wie diese versetzen auch Jahrzehnte später noch jeden Filmfreund in Verzückung. Gegen Ende offen zu Tage tretende morbide Masken und Tricktechniken sind schaurig-schön und verdeutlichen den Horroraspekt des Films.

Hitchcocks Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild einer gespaltenen Persönlichkeit und dessen Ausarbeitung zu einem stil- und genreprägenden Psycho-Thriller ist ein Meilenstein der Filmgeschichte, lässt sich alle Jahre wieder wie ein guter Wein genießen und ob seiner enorm würdevollen Alterung bestaunen. „Psycho“ stand Pate für einige der unterhaltsamsten Filme, Filmreihen und Subgenres der Filmgeschichte. Als frühes Beispiel sei unbedingt William Castles „Mörderisch“, mit dem dieser noch einen draufzusetzen versuchte, genannt, über zahlreiche Prä-Slasher bis hin zu den in Serie gehenden Psycho-Killern, die mit Michael Myers in John Carpenters „Halloween“ ihren Anfang nahmen – ein Film, in dem Janet Leighs Tochter Jamie Lee Curtis die weibliche Hauptrolle bekleidet und als unmissverständliche Verneigung vor Hitchcocks Klassiker Myers‘ Gegenspieler Sam Loomis getauft wurde. Ganz zu schweigen von „Freitag der 13.“, der die Mutter-Sohn-Beziehung aus „Psycho“ kurzerhand umkehrte. Danke, Mr. Hitchcock!

Details
Ähnliche Filme