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Alfred Hitchcock wollte seinem Studio Paramount beweisen, dass man einen guten Film auch billig produzieren kann. Man braucht keine Millionen von Dollar investieren, auch mit einem kleinen Budget kann man auf der Leinwand zaubern. So nahm sich Alfred Hitchcock, "Master of Suspense", eine kleine Fernsehcrew und drehte somit den ersten "Billigfilm", der wie eine große Produktion aussah, und auch dementsprechend erfolgreich war.

Als Vorlage nahm er sich den eher durchschnittlichen Roman von Robert Bloch, und nahm viele stilistische Veränderungen vor (besonders was die Rolle des Norman Bates angeht). Binnen weniger Wochen war "Psycho" im Kasten. Eine große Werbekampagne ging durch die Welt. Auf den Werbeplakaten sah man die drei verängstigten Protagonisten: Janet Leigh, Vera Miles und John Gavin.

Der Presse wurde stillschweigen auferlegt, es gab keine exklusiven Vorführungen und es wurde auch kein Zuschauer mehr nach Beginn des Filmes in den Kinosaal gelassen. Warum? Weil "Psycho" der perfekte Film bezüglich Manipulation der Zuschauer ist.

Der nichtsahnende Betrachter wird in der ersten halben Stunde Zeuge der Geschichte der Marion Crane (Janet Leigh), der Hauptdarstellerin des Films. Sie ist mit dem Eisenwarenladenbesitzer Sam Loomis liiert, der allerdings nichts von Heirat oder Zusammenziehen wissen will. Er müsse zuviel Geld an seine Exfrau bezahlen und viel zu viel Zeit an seine kranke Mutter abgeben, als dass er ein guter Ehemann sein könne. Fadenscheinige Ausreden und - für Leute die den Film bereits kennen, zwei köstliche Anspielungen auf das Ende des Films. Beide haben während ihrer Mittagspausen Sex in einem Hotelzimmer. Als Marion wieder zur Arbeit zurückkehrt, soll sie 40.000 Dollar auf die Bank bringen. Sie simuliert einen Kopfschmerzanfall und verschwindet Hals über Kopf mit dem Geld. Noch während sie mit ihrem Auto aus der Stadt fährt, sieht sie ihr Chef (eine Szene, die Quentin Tarantino in "Pulp Fiction" parodierte).

Von nun an schlägt sich der Zuschauer ganz klar auf die Seite Marions. Sie wird von einem Polizisten ausgequetscht und sie versucht ihr Auto zu tauschen. Am Abend steigt sie in "Bates Motel" ab. Mit falschem Namen trägt sie sich bei dem schüchternen, leicht verstörten Norman Bates (Anthony Perkins) ein. Bates ist ein netter Junge, steht aber ganz klar unter der Fuchtel seiner herrschsüchtigen Mutter, die ihn aus dem großen Herrenhaus hinter dem Hotel ankeift. Bates ist sichtlich angetan von Marion, die er am Abend auch noch mit selbstgeschmierten Broten überrascht. Marion scheint sich dazu entschlossen haben, die 40.000 Dollar wieder zurückubringen. Von nun an hofft der Zuschauer natürlich, dass sie mit diesem armen Jüngling durchbrennt und den blöden Loomis (er war schon seit seiner ersten Szene unsympathisch) einfach in den Wind schießt. Die Sympathien liegen jetzt bei Marion und Norman, Antipathien hegt der Zuschauer für Normans Mutter, der Polizei und Sam Loomis.

Doch dann geschieht der wohl cleverste Plot-Twist der Filmgeschichte: Marion geht am Abend in ihrem Zimmer duschen. Norman beobachtet sie durch ein verstecktes Guckloch. Doch der Spanner nimmt vernunft an, und kehrt in sein Haus zurück. Nun bleibt die Kamera bei der duschenden Marion. Plötzlich wird der Duschvorhang zur Seite gerissen - wir sehen Normans Mutter im Schatten stehen, ihr Gesicht ist verdeckt, und wie sie mit einem blitzenden Messer auf die schreiende Marion einsticht.

Die Sequenz ist wohl eine der berühmtesten aller Zeiten. Ungalublich schnell geschnitten immer wieder aus anderen Kamerawinkel gefilmt, sieht man aber nie nur einen Einstich, oder nur eine intime Stelle der Schauspielerin. Und doch hat man das Gefühl, man würde das Messer direkt in die Haut Marions eindringen sehen. Blut rinnt von der Wand, die Mutter verschwindet.

Während Marion tot zusammensackt, hören wir ein Gespräch zwischen Norman und seiner Mutter im Herrenhaus. Norman ist erstaunt, warum sie Blut an den Händen hat. Er ahnt schlimmes, rennt zu Marion hinunter, findet sie tot auf. In einer weiteren fabelhaften Szene räumt Norman, immer der Mutter treu, den Tatort auf. Beseitigt das Blut, legt die tote Marion in den Kofferraum ihres Autos - zusammen mit dem Geld. Er ahnt nicht einmal, dass er, als er auch die Tasche hineinlegt, 40.000 Dollar verschwinden läßt. Er läßt das Auto in einem Sumpf hinter dem Haus untergehen. Doch plötzlich bleibt das Auto stecken, hört auf zu sinken, und schaut noch zur Hälfte heraus. Norman sichtlich beunruhigt. Doch dann beginnt es wieder zu blubbern, das Auto sinkt völlig. Norman ist erleichtert - und der Zuschauer auch. Nun hat Norman den Zuschauer völlig auf seiner Seite.

Jetzt wissen wir, das die ganze Geschichte um die unterschlagenen 40.000 Dollar nur ein sogenannter "Red Hering" war, eine Komponente, die nur dazu diente, die Vermutungen des Zuschauers in die falsche Richtung zu steuern.

Jetzt tritt Vera Miles alias Lila Crane rstmals auf. Sie ist nach dem Wochenende beunruhigt. Niemand hat Marion gesehen. Aufgewühlt fährt sie zu Sam. Der weiß natürlich auch nichts von dem Verbleiben seiner Freundin. Marions Arbeitgeber hat mittlerweile den Privatdetektiv Arbogast (Martin Balsam) eingeschaltet, der Lila gefolgt ist. Nachdem fest steht, dass weder Lila noch Sam etwas von Marion gehört haben, macht sich Arbogast auf, die umstehenden Motels abzuklappern.

Er trifft natürlich auch auf Norman. Zunächst verneint Norman jemanden wie Marion Crane zu kennen, und auch auf ein Foto reagiert er nicht. Erst als der Detektiv Marions falschen Namen (Marie Samuels) ausmachen kann, ändert Norman seine Geschichte. Sie wäre da gewesen, aber schon nächsten Tag wieder gefahren. Schnell wittert Arbogast den Verdacht, Norman verheimlicht ihm etwas. Erst Recht, als Norman ihn partout nicht zu seiner Mutter lassen will, ist die Geschichte für Arbogast klar: Norman, verliebt in Marion und das Geld, versteckt die Diebin, seine Mutter weiß zuviel, würde ihren Sohn verraten.

Nach einem Telefongespräch mit Lila kehrt Arbogast zu Bates Motel zurück, um direkt in das Herrenhaus einzudringen, und Normans Mutter auszuquetsehen. Doch seine Theorie was anscheinend falsch: Die Mutter stürzt aus ihrem Zimmer und ersticht auch den Detektiv auf der Treppe (der Sturz des Detektives ist eigentlich ein ziemlich primitiver Specialeffect, in Zeitlupe kann man genau die Fäden sehen, die die Blutampullen in seinem Gesicht aufplatzen lassen).

Als auch Arbogast nicht mehr auftaucht, fährt auch Sam Richtung Bates Motel, sucht den Detektiv oder Bates, kann beide aber nicht finden. Er sieht nur den Schatten der Mutter am Fenster des Hauses. Daraufhin macht er sich mit Lila auf zum örtlichen Sheriff. Nachdem ihm die mysteriöse Geschichte berichtet wurde, hat der eine neue interessante Information: Normans Mutter ist sein Jahren tot, sie hatte sich zusammen mit ihrem Liebhaber vergiftet. (Diese Szene enthält einen weiteren kleinen Trick Hitchcocks - Die Frau des Sheriffs sagt, das Totenkleid von Normans Mutter wäre blau gewesen. Jeder denkt jetzt diese Farbe wird noch eine Rolle im Verlaufe der Auflösung spielen)

Verwirrt fahren am darauffolgenden Tag Lila und Sam zum Motel, geben sich als Ehepaar aus, und versuchen näheres über das Verschwinden der beiden Menschen herauszubekommen. Während Sam Norman ablenkt, versucht Lila bis zur Mutter vorzudringen, kann sie aber im Herrenhaus nicht finden. Währenddessen provoziert Sam den nervösen Norman, bis es zu einer Auseinandersetzung kommt. Norman kann Sam niederschlagen, und zu seiner Mutter rennen. Die verängstigte Lila will sich im Keller verstecken, und trifft dabei auf die Mutter, die mit dem Rücken zu ihr sitzt. Sie tippt sie ahn, der Schaukelstuhl dreht sich in Richtung Lila – und wir sehen zum ersten Mal das Gesicht von Mutter – Ein Totenschädel. Daraufhin kommt ein als Frau maskierter Norman Bates in den Keller gerrannt. In seinen Augen spiegelt sich der absolute Wahnsinn wieder. Nachdem ihn der zu Hilfe eilende Sam ihn überwältigen kann, sehen wir die letzte Szene:

Ein Psychiater erklärt uns, was in Bates Motel geschah: Norman war vor Jahren eifersüchtig auf den Liebhaber seiner Mutter, vergiftete beide, konnte den Verlust seiner herrschsüchtigen Mutter nicht verkraften. Er wurde schizophren. Seine andere Hälfte – Mutter – übernahm jedes Mal, wenn ein Mädchen in das Motel kam und seine Aufmerksamkeit erlangte. Doch auch die Erklärung des Psychiaters sind nur fad und scheinen nicht annähernd das zu erklären, was in Normans kranken Hirn wirklich passierte.

Soweit die Geschichte. Eine wirklich außergewöhnliche Story mit einem mehr als überraschenden Ende, das einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. Aber auch visuell deutet Hitchcock immer auf Schizophrenie hin: Ständig spiegeln sich die Charaktere wieder (Windschutzscheiben, Autospiegel, Sonnenbrille, Fensterscheiben, etc.) und die Schwarzweiß-Ästhetik bildet Grundlage für eine beklemmende Atmosphäre.

„Psycho“ ist das ultimative Erlebnis. Ein perfekter Film voller Anspielungen, visuellen Tricks, interessanter Symbolik und grauenhaft guten Schauspielern (Perkins kam sein ganzes Leben nicht mehr vom Bates-Image runter). Drei Sequels, ein grottenschlechter TV-Film und ein mäßiges Remake folgten.

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