1976 eroberte die Geschichte eines jungen Amateurboxers, der es mit Willen und viel Hingabe bis zum Kampf um den Weltmeisterschaftsgürtel schaffte, die Kinos. Nicht nur Publikum, auch Kritiker waren von der klassischen Außenseiterstory begeistert und so brachte der Film nicht nur seinem damals 28jährigen Hauptdarsteller den internationalen Durchbruch, sondern spielte auch noch weltweit 225 Millionen ein, wurde für zehn Oscars nominiert und gewann letztlich drei Trophäen, unter anderem für den besten Film. Man könnte sagen, die Story von Sylvester Stallones ‚Rocky‘ hatte sich in die Realität des Filmbusiness übertragen.
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Vier Jahre später ging Regisseur Martin Scorsese einen ganz anderen Weg. Seine Biographie ‚Wie ein wilder Stier‘ setzte sich auf sehr viel sperrigere Art mit dem Leben des Boxers Jake LaMotta auseinander. Im Gegensatz zum fiktiven Underdog Rocky Balboa, dessen glorifizierter Weg zum Gipfel des Ruhms als großer Sieg des Willens über sämtliche Widerstände zelebriert wurde, zeigt Scorsese einen Mann, zu dem und zu dessen Geschichte man weit schwerer eine Bindung aufbauen kann. Anders als ‚Rocky‘ ist LaMotta kein Sympathieträger, sein Werdegang definiert sich weniger über die ruhmreichen Stationen, sondern vielmehr über das menschliche Versagen eines sturrköpfigen, beinahe paranoiden Ekels, das sich niemandem beugen will. Diese sehr viel düstere Variante eines Boxerlebens, ungeschönt und ohne jedes Potential zum Mitfiebern, kam beim Publikum mit einem Einspielergebnis von 87 Millionen und scheinbar auch bei den Mitglieder der Academy, die bei acht Nominierungen zwei Preise vergaben (Bester Hauptdarsteller, Bester Schnitt) weit weniger gut an. Unter Kritikern gilt ‚Wie ein wilder Stier‘ jedoch bis heute als unangefochtenes Meisterwerk.
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Doch genug der Vergleiche, da es sich letztlich bei Stallones ‚Rocky‘ und Scorseses Werk um zwei sehr viel unterschiedlichere Filme handelt, als es die Thematik zunächst vermuten lässt. Nachdem die Eröffnungsszene Jake LaMotta 1964 zeigt, der sich auf einen Auftritt als Entertainer vorbereitet, springt die Handlung zurück ins Jahr 1941. LaMotta verliert den ersten Kampf, den Scorsese zeigt, dennoch stellt er einen Boxer vor, der hoch in der Gunst des Publikums steht und dessen Fähigkeiten bereits angedeutet werden. Damit wird LaMotta nicht etwa als klassischer Verlierer eingeführt, seine eigentlichen Niederlagen erleidet er nicht im Ring. In der Folge sieht man ihn beim Streit um Nichtigkeiten mit seiner Frau, beim Vergucken in eine 15jährige, beim respektlosen Umgang mit den Promotern. Dieser LaMotta ist nichts anderes, als der vollkommene Mistkerl, der seiner Frau Schläge nicht nur androht, er ist jemand, der zu vernunftsbewusstem Handeln offenbar nicht in der Lage ist oder sein will.
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Die Boxkämpfe hält Scorsese kurz und knapp, zeigt manchen nur als Abfolge von Standbildern. So ist sein Film insgesamt auch weniger Sportler-, sondern Psychodrama. LaMotta ist nicht der romatische Held, der für Herzdame und Werte in den Ring steigt. Er ist ein Tier, oder eben ein wilder Stier, der die Niederungen seines eigenen Charakters durch jeden einzelnen seiner Schläge ausdrückt. Das ist zwar einerseits ein interessanter Ansatz und in der hier gezeigten Konsequenz sicher auch von annähernd einzigartiger Qualität in einem der ansonsten berechenbarsten und formellhaftetsten Genres überhaupt. Andererseits ist es filmisch aber auch ein anstrengender Kampf, irgendwo zwischen Tiefschlag und Volltreffer.
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LaMottas engstirniges, aggressives Verhalten gegenüber jenen Personen, die ihm nahe stehen, wird von Scorsese dermaßen ausgiebig abgebildet, dass man es nach kurzer Zeit kaum mehr ertragen kann. Die ständigen Trivialitäten, die ihn zu Wutausbrüchen, verbalen Beleidigungen und körperlichen Übergriffen treiben, wiederholen sich in einer solchen Dichte, dass das Interesse am Film an sich, vor allem aber an LaMotta als Figur enorm schwindet. Man ertappt sich mehr als einmal bei dem Gedanken: „Was will dieser Drecksack eigentlich gerade?". So etwas wie Faszination oder Anteilnahme für das Schicksal LaMottas entwickelt man so frühestens im letzten Viertel des Films, das ihn nach der Boxkarriere als fettleibigen Möchtegernentertainer zeigt, der seinem selbstverursachten Trümmerhaufen voller Bitterkeit gegenübersteht. Hier wird aus LaMotta endlich mehr, als der überreizte, ständig auf Kleinigkeiten, Nichtigkeiten und Haarspaltereien herumhackende Unsympath, der einem oft einfach nur unerhört an die Nerven geht.
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‚Wie ein wilder Stier‘ ist beileibe kein schlechter Film, aber eben einer, der es mit der Zeichnung seines Antihelden im höchsten Maße zu weit treibt. Es entwickelt sich zu rasch ein zu großer Überdruss hinsichtlich des abstoßenden Verhaltens LaMottas, zumal ihm auch so gut wie keine weiteren Facetten hinzugefügt werden. Das mag konsequent sein, sofern der echte Jake LaMotta genau so gewesen ist, für zwei Stunden Film ist es jedoch in dieser Unmenge nicht geeignet. Ohne, dass Scorsese den Charakter in eine publikumsfreundlichere Richtung hätte verändern müssen oder sollen, hätte er sich zwei, drei Szenen schlicht schenken sollen. Zumal die Geschichte bis hin zum Weltmeistertitel auch ansonsten keine wirklichen Höhepunkte bietet. Die Boxszenen sind sicher stark eingefangen und vermitteln einen unglaublich direkten Eindruck, sind in ihrer Darstellung aber dennoch teils aberwitzig unrealistisch.
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Die großen Stärken des Films, auf die er sich bei aller Unzugänglichkeit auch voll verlassen kann, sind die Schauspieler. Joe Pesci als Jakes Bruder Joey und Cathy Moriarty als Ehefrau Vickie stehen dem selbstzerstörerischen Treiben tapfer entgegen. Robert DeNiro, dessen Darstellung des Jake LaMotta bis heute als DAS Paradebeispiel des Method Acting gilt, gibt dem Boxer viel (wenn auch zumeist verachtenswertes) Leben. In den Kämpfen, als Machomoral auslebender Wüterich, als zerbrechender Häftling und dicker, sein Publikum beleidigender Stand Up-Comidian - DeNiro überzeugt in jeder Lebensphase LaMottas.
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‚Wie ein wilder Stier‘ ist das Psychogramm eines abscheulichen Menschen, gleichwohl beliebten und talentierten Boxers. Sperrig, teils langatmig und bei den zahlreichen stumpfsinnigen Entgleisungen seines Protagonisten arg strapazierend. Dabei aber auch ein mutiges, weil absolut ungeschöntes und nicht in Richtung des Massengeschmacks gebürstetes Drama mit unbedingt sehenswerter schauspielerischer Präsenz und Klasse.