In diesem Text werden Informationen aus dem Booklet der „Gold Edition“-DVD verwendet.
Wenn ein Regisseur zuerst langwierig zu einem Projekt überredet werden muss, weil einfach kein Zugang zum Material da ist, dann spricht das in der Regel nicht gerade für einen guten Film. Im Falle von Martin Scorsese und seinem 1980er Werk „Wie ein wilder Stier“ lief es aber anders.
Persönliche Erlebnisse, im Speziellen eine ernsthafte Erkrankung, öffneten Scorsese den Zugang zu der Geschichte um den New Yorker Boxer Jake La Motta, der sich angetrieben durch sein rasendes Gemüt binnen kürzester Zeit „wie ein wilder Stier“ zum Mittelschwergewichtstitel boxte, wobei er nicht ein einziges Mal auf die Bretter ging, anschließend aber genauso schnell wieder in der Versenkung verschwand.
Hauptdarsteller Robert De Niro ist es überhaupt zu verdanken, dass es zu dem Projekt kam. Er allein empfand den Werdegang La Mottas als würdig, mit einer Verfilmung gekürt zu werden. Das Studio United Artists befand sich zum Zeitpunkt der Vorbereitung in einer Situation, die Risiken nicht zuließ. Gerade erst war „New York, New York“ gefloppt, und darüber hinaus stand man wirtschaftlich vor einer Neustrukturierung. Als Paul Schrader Scorseses ersten Drehbuchentwurf umschrieb – und auch für Schrader handelte es sich hier lediglich um einen Freundschaftsdienst, da er mit „Hardcore – Ein Vater sieht rot“ soeben erst sein Regiedebüt absolviert hatte und das Schreiben von Drehbüchern nun als Rückschritt empfand – und es dem Studio vorlegte, war dieses ob der düsteren Atmosphäre nahezu schockiert. Scorseses Vorhaben, den Film in schwarzweiß zu drehen, machten das Projekt nicht gerade attraktiver. United Artists wollte lieber die sicherere Nummer „Rocky II“ und bot „Wie ein wilder Stier" sogar zum Verkauf – doch niemand hatte Interesse.
Aber wie gesagt, selbst Scorsese stand nicht von Beginn an hinter dem Projekt. Zwei Dinge führten dazu, dass die La Motta-Biografie letztendlich doch noch von ihm so meisterhaft inszeniert wurde. Da wäre zum einen De Niro, dessen Hartnäckigkeit Scorsese immer am Ball hielt; und als „Lieblingsschauspieler“ war letztlich auch ein gewisser Einfluss auf den Regisseur zu erkennen.
Doch so sehr sich Scorsese bemühte, der Zugang war noch immer nicht da. Er besuchte Boxkämpfe, sammelte Impressionen, aber die eigentliche treibende Kraft wurde nicht offensichtlich. Was fehlte, waren die Intentionen, der Antrieb La Mottas.
Glasklar wurde auch dieses letzte fehlende Puzzleteil mit einer Erkrankung des Regisseurs, die am Ende in einer Krankenhauseinlieferung mit inneren Blutungen gipfelte. In seiner selbstzerstörerischen Dynamik hatte er endlich eine Gemeinsamkeit mit dem Boxer gefunden. So wurde „Wie ein wilder Stier“ schließlich eine „Abhandlung über die Selbstzerstörung“.
De Niro hatte also sein Ziel erreicht. Die Darstellung des Jake La Motta unter den inspiratorischen Einflüssen Scorseses war aus seinem Sichtfeld dabei noch mit einer ganz speziellen Bedeutung versehen. Und zwar ist „Wie ein wilder Stier“ kaum mit „Rocky“ zu vergleichen; von seiner Absicht her, den Auf- und Abstieg eines Menschen darzustellen, viel eher mit dem späteren „Scarface“. Pacino und De Niro, die seit ihrem gemeinsamen (und doch getrennten, weil nicht mit einer gemeinsamen Szene) Auftritt in „Der Pate II“ zu den besten Schauspielern der Welt gezählt werden und seit jeher Fernduelle ausgetragen hatten. Michael Mann vereinte sie 1995 wieder in „Heat“, wo er sie an einen Tisch setzte und erkennen ließ, dass sie bei all ihrer Gegensätzlichkeit (De Niro spielt hier einen Gangster, Pacino einen Cop) doch so viele Gemeinsamkeiten haben, wie es nur geht. Nichts dokumentiert das deutlicher als der Vergleich von „Scarface“ und „Wie ein wilder Stier“: zwar liegen hier thematisch vollkommen unterschiedliche Filme vor (auf der einen Seite ein fiktiver Gangsterfilm, auf der anderen Seite ein Boxerdrama, das auf der Biografie des ehemaligen Weltmeisters im Mittelschwergewicht basiert), doch der Hintergrund ist der gleiche. Beide Figuren machen die „From rags to riches“-Entwicklung durch, geraten auf ihrem Höhepunkt in eine Situation, mit der sie nicht umgehen können, werden vom Erfolg vernebelt, stellen sich gegen die Menschen, denen sie etwas bedeuten und fallen ohne ihre Unterstützung in den Untergang. Rein schauspielerisch liegt die Parallele darin, dass sowohl De Niro als auch Pacino als La Motta bzw. Tony Montana mit die besten, wenn nicht wirklich die besten Leistungen ihrer Karriere zeigen.
De Niro verleiht der realen Figur durch eine Mischung aus Imitation und Interpretation eine unvergleichliche Tiefe, die den Boxer nicht unbedingt sympathisch macht, dafür aber bewegend. Ein intensives Studium der Verhaltensweisen La Mottas innerhalb und außerhalb des Rings ermöglichte es dem Schauspieler, dem Boxer ein filmisches Ebenbild zu erschaffen. De Niros La Motta ist ein empfindlicher und aggressiver Mensch, der es vermag, sein Umfeld zu magnetisieren, mit dem Erreichten dann aber nicht umgehen kann. Er zieht die Menschen an, um sie anschließend von sich zu stoßen. Sein La Motta ist eine von ungezähmten Eigenwillen bestimmte Person, die die Zeichen seiner Mitmenschen nicht deuten kann; wie ein Stier, der durch einen Tunnelblick nur das rote Tuch sieht und die Menschen, die ihm eigentlich helfen wollen, dabei achtlos umstößt. Sowohl Scorsese als auch De Niro ging es also darum, die unbändige Energie herauszustellen, die anfangs noch der Karriere förderlich war; da sie aber nicht zu bremsen war, zerstörte sie am Ende alles.
Was außerdem deutlich wird, ist die wahre Bedeutung des Boxens für La Motta. Boxen ist für ihn ein Ventil, der Ring eine alternative Welt, in der die Konventionen der wirklichen Welt nicht greifen und in der er frei agieren kann. Sein destruktives Potential wird hier deutlich. Kein Taktieren, einfach drauf los. Sugar Ray Robinson, auf den er in den späten Vierzigern mehrmals traf, wird als taktisch versierter, leichtfüßiger und geschmeidiger Kontrapunkt vorgestellt. Eine Methode, die sich La Motta nicht einmal ansatzweise aufdrängt.
Entsprechend seines Kampfstils im Ring muss auch sein Verhalten außerhalb ausfallen. Ursprünglich war das Drehbuch noch mehr auf das Privatleben ausgelegt; Scorsese setzt hier auch auf die intensiv gefilmten Boxszenen (dazu später mehr) in Kontrast zu den Szenen hinter den Kulissen, die aber auch genug berücksichtigt werden. Als sehr wichtig erweisen sich etwa die Szenen rund um das Kennenlernen seiner späteren Frau Vickie. Sehr schnell und geradlinig, fast schon trocken versucht er, ihr schon beim ersten Treffen näherzukommen – so nahe, wie es geht. Der geradlinige, schlenkerfreie Weg, der ihm im Ring zu seinem Gegner führt, gilt also auch in seinem Privatleben.
Die innere Zerrissenheit wird durch das widersprüchliche Verhalten vor einem wichtigen Boxkampf deutlich, als es darum geht, die selbst auferlegte Sexsperre zu brechen. Mehr aber noch kommt sie in den Dialogen mit dem Bruder Joey zum Vorschein. Dieser wird nicht minder genial verkörpert von einem aufrichtigen Joe Pesci, der als Jake La Mottas Gewissen fungiert. Er ist seinem Bruder am nächsten, am Ende aber doch noch fern. Seine Abweisung ist eine Schlüsselszene für den unvermeidlichen Abstieg; die Versöhnung kommt zu spät.
Der Untergang als solcher ist dabei weitaus düsterer und beklemmender als der heroische Abgang von Tony Montana. Kein Fall mit Pauken und Trompeten, es ist ein stiller Abschied. Dazu gehört die Scheidung von der Frau Vickie und die Versöhnung mit dem Bruder, welcher ein höchst fader Beigeschmack anhaftet. Zwei Szenen jedoch dokumentieren das Erlischen eines Sterns auf besonders erschreckende Weise: zwei zeitlich abgegrenzte Auftritte als Komiker. Der erste kurz nach dem Ende der Boxerkarriere, ein bereits um dreißig Kilo angewachsener La Motta, der in einem großen, gut gefüllten Saal als Comedian auftritt und recht viel Applaus bekommt. Der zweite Auftritt: La Motta ist gleich geblieben, doch der Saal hat den Platz mit einer kleinen Kneipe getauscht, die Zuschauer sind auf ein paar Saufbrüder zusammengeschrumpft, die mehr Hohn und Spott als Applaus übrig haben. Diesen kontert La Motta mit beachtlichem Wortwitz, für den sich aber niemand mehr interessiert.
Ende.
Scorseses wichtigstes Mittel zur Darstellung dieses schwer verdaulichen Werdegangs ist die Schwarzweiß-Optik. Kommerziell natürlich ein absoluter Killer (im negativen Sinne), war man sich zunächst aber auch künstlerisch nicht sicher, ob dieser Weg der richtige war, erschien der Einsatz von Schwarzweiß-Bildern doch als selbstreferenzielles Stilmittel, als Kunst um der Kunst Willen (darüber hinaus war es sogar teurer, in schwarzweiß zu drehen als in Farbe). Dem fertigen Produkt sieht man jedoch an, dass dem keinesfalls so war und ist: hat man „Wie ein wilder Stier“ einmal in schwarzweiß gesehen und die Impressionen etwas wirken lassen, so wird schnell klar, dass durch die gewählte Optik eine ganz neue Aussage zum Vorschein kommt. Die Schattierungsabstufungen ermöglichten Scorsese ganz eigene Bildkompositionen, die in der Form in Farbe nicht denkbar gewesen wären.
Interessant ist der Umstand, dass die einzigen Farben im Film in Ausschnitten vorkommen, wo nostalgisch verfremdete Aufnahmen von Familienfeiern gezeigt werden (die übrigens teilweise von Scorseses Vater gedreht wurden), also das, was uns auch Fotos bieten: Erinnerungen aus der Vergangenheit. Das erstellt einen Gegensatz zu den üblichen Filmkonventionen, denen zufolge in Farbfilmen Flashbacks und Erinnerungen oft als Schwarzweißaufnahmen herausgehoben werden. In „Wie ein wilder Stier“ ist es jedoch umgekehrt, womit die dargestellte Gegenwart offensichtlich zum nostalgischen Erinnerungsmoment wird.
Gerade in Bezug auf die Boxszenen wird stark mit Kontrasten gearbeitet. In einer Szene wird La Mottas Gegner Sugar Ray Robinson etwa durch die bloße Ausleuchtung des Gesichts zu einem Raubtier, das sein Gegenüber mit dunklen Augen mustert, als sei es ein in die Ecke gedrängtes Beutetier.
Dass so etwas überhaupt möglich wurde, liegt an der innovativen Kamera, die in früheren Boxerfilmen recht passiv außerhalb des Rings verharrte und den Zuschauer damit in die Position des Publikums versetzte. Hier jedoch nimmt man aktiv am Geschehen teil, wird in den Kampf hineingezogen. Die Kamera befindet sich innerhalb des Rings, hält die Schläge in Zeitlupe fest, zeigt, wie Blut und Schweiß in einem Strom von Sprenklern durch die Luft tanzen, nimmt Egoperspektiven ein, nutzt Bildmanipulationen, um in die Wahrnehmung der Boxer einzutauchen, welche sich mit zunehmender Kampfdauer verändert. Unterstützt wird dieser visuelle Augenschmaus durch akustische Effekte: ein permanenter Wechsel von heruntergepitchtem Ton und Echtzeit, das zeitweise Herausnehmen von Soundpartikeln, die Isolation einzelner Elemente etc. Die Szenen im Ring werden damit zu einem wahren Erlebnis, das durch das glaubwürdige Acting De Niros vervollständigt wird.
Die tragische Geschichte des Jake La Motta, letztendlich so unscheinbar, dass sie kaum jemand von Beginn an einer Verfilmung würdig hielt, wird zum Mahnmal für Vergänglichkeit und schildert den Weg in sie hinein. Im Falle von La Motta war die permanente Selbstzerstörung der Auslöser, welche Scorsese meisterhaft durch eine Verknüpfung von kompromisslosen Boxszenen und der privaten Entwicklung veranschaulicht. Es ist ein wahrer Segen, dass der Regisseur seinen Willen gegenüber dem Studio durchsetzen und den Film schwarzweiß drehen konnte, denn nur so war es möglich, die Hochglanzfoto-Optik der zeitgenössischen Magazine beizubehalten und die Atmosphäre damit zu perfektionieren. „Wie ein wilder Stier“ ist gleichermaßen berührend wie hochästhetisch und hat mit Robert De Niro und Joe Pesci zwei Darsteller zu bieten, die bis an ihre performative Grenze gingen. Zweifellos ein Meisterwerk, dem nur Details im Gesamteindruck die Höchstnote verwehren.