Die Phase, der sich Wladimir Kaminers Buch "Russendisko" widmet, wirkt aus heutiger Sicht vernachlässigbar. Es sind die Monate nach dem Mauerfall in Berlin, als die Stadt irgendwie wieder vereint war, aber der Ostteil noch zur DDR gehörte, die erst im Oktober 1990 aufhörte zu existieren. Kaminer beschreibt in seinen Kurzgeschichten eine Situation, die sich vor allem dadurch auszeichnet, das sich die bisherige Ordnung in Auflösung befindet - alles scheint möglich. Auch für einen jungen Russen, der als Jude eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in der Noch-DDR bekommt und seine Eindrücke in "Russendisko" festhält.
Abgesehen von der inzwischen mehr als 20 Jahre zurückliegenden Epoche, stellt sich die Frage, was der Film mit dem Buch gemeinsam hat? - Vordergründig wenig, denn Oliver Ziegenbalgs "Russendisko" verfügt über eine kontinuierliche Story, die sich ausschließlich den Erlebnissen der drei jungen Russen Mischa (Friedrich Mücke), Andrej (Cristian Friedel) und natürlich Wladimir (Michael Schweighöfer) widmet. Obwohl sie erstmals in Deutschland sind, wo sie sich ein besseres Leben als in ihrem Heimatland versprechen, findet eine Konfrontation mit deutschen Gepflogenheiten quasi nicht statt. Nur selten, etwa als die Dosenbier verkaufen, gibt es eine unmittelbare Begegnung mit Deutschen, weshalb es letztlich nur konsequent ist, gleich alle Rollen mit deutschen Darstellern zu besetzen, da Sprachbarrieren oder daraus resultierende Missverständnisse gar nicht erst thematisiert werden.
Kaminers Buch beinhaltet auch solche Situationen, aber der Film beschränkt sich darauf, das ihr Leben hauptsächlich unter Ausländern stattfindet. So bekommen die Drei, von denen Mischa nur eine Aufenthaltserlaubnis von drei Monaten erhält, weil er kein Jude ist, ein Zimmer in einem Ausländerheim, während ihre Umgebung von Vietnamesen geprägt ist, die geschmuggelte Zigaretten verkaufen, oder Rumänen, die abends aus Spaß ein geklautes Auto gegen einen Baum fahren. Und natürlich von russischen Landsleuten, von denen sie lernen, sich mit dem Verkauf von Dosenbier etwas dazu zu verdienen. Auch die junge Frau, Olga (Peri Baumeister), in die sich Wladimir gleich zu Beginn verliebt, ist Russin. Nur Hanna (Susanne Bormann), deren Freundin, kommt aus Deutschland, was vor allem für Mischa, in Hinblick auf eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, von Bedeutung werden wird.
Entscheidend für die Wirkung des Films, ist die Leichtigkeit, mit der die drei Freunde agieren. Schweighöfer glänzt hier zwar wieder als optimistischer Sonnyboy, aber Mücke als Musiker und vor allem Christian Friedel als Melancholiker mit Geschäftssinn, sind stark genug, um ihm Paroli zu bieten. Der Witz, der so zwischen ihnen entsteht, ist nie vordergründig, genauso wie es ruhige und ernsthafte Momente gibt. Auch die Wendungen werden nie übertrieben dramatisiert, sondern sind einfach eine Folge der Verhältnisse, die in Berlin Anfang der 90er Jahre herrschten.
Der Film "Russendisko" ist keine Nummernrevue geworden, keine Aneinanderreihung von lustigen Szenen, sondern ein Film, der eine Geschichte von drei jungen Männern und deren Abenteuern, Liebe, Lust und Leid erzählt, die theoretisch auch an anderen Orten oder zu einer anderen Zeit hätte stattfinden können. Theoretisch, denn tatsächlich war das in Deutschland so nur in dieser kurzen Phase möglich, als sich die Behörden erst einmal neu ordnen mussten und nur noch wenige Regeln Aufrecht erhalten wurden.
Es sind nicht die typischen Details, wie Wladimirs Liebe zu Olga, die gewohntermaßen eine Belastungsprobe überstehen muss, sondern der unendlich wirkende Freiraum, vor dem die Handlung stattfindet, die den Film ausmachen. "Russendisko" wirkt in seinen besten Momenten wie ein Plädoyer für die Freiheit, für die Möglichkeit, sich in jede Richtung entscheiden zu können, egal ob man Mauerstücke verkauft oder einfach wieder in seine Heimat zurückgehen will. Dieser Hintergrund macht die Leichtigkeit des Films aus, nimmt auch ernsteren Episoden die Tragik - und ist damit letztlich ganz nah an Kaminers Buch (7,5/10).