Review
von Leimbacher-Mario
Im Bann des Kinos
2012 hatte „Blancanieves“ es nicht leicht. Kurz zuvor zog der ähnliche „The Artist“ alle Blicke und sogar Oscars auf sich, im gleichen Jahr trumpfte Hollywood mit zwei (mäßigen) Schneewittchen-Verwurstelungen groß auf und ein spanischer Stummfilm in schwarz-weiß muss eh um jeden Zuschauer und Interessenten kämpfen. Zum Glück hat sich die pfiffige Märcheninterpretation durch diesen Gegenwind gekämpft und zumindest unter Genrefans und Filmnerds mit Arthouse-Vorlieben seine Fans gefunden. Fast jetzt schon ein kleiner Kultfilm, könnte man behaupten. Es hagelte Goyas und auf dem Fantasy Filmfest gab es den Fresh Blood-Award für das feinste Regiedebüt - alles vollkommen verdient!
„Blancanieves“ wandelt die klassisches Märchengeschichte ab und verlegt sie in das Spanien des frühen 20. Jahrhunderts - zwischen rassige Flamencotänzerinnen, mutige Toreros und teuflische Stiefmütter. Es geht um Mut, Eifersucht und Leidenschaft, natürlich ebenso um Liebe und Tradition. Es ist nicht nur eine Hommage an die europäischen Stummfilmzeiten ala Dreyer oder Eisenstein, es ist ein ausgewachsener und voll funktionsfähiger Stummfilm. Das ist beachtlich, frisch und wunderbar, das fördert unsere Aufmerksamkeit und belohnt das Verlassen ausgetretener Sehpfade. Irgendwo zwischen Bunuel und Fellini, zwischen den Gebrüdern Grimm und Gilliam, zwischen verlorener Epoche und noch immer effektiver, großer Kunst.
Melodrama sollte man allerdings abkönnen und Surreales ebenso. Obwohl mit beidem nie übertrieben wird. Gerade bei Letzterem hätte ich mir manchmal noch etwas mehr Mut gewünscht. Insgesamt bleibt „Blancanieves“ aber ein absolutes Erlebnis, ein Augenschmaus und eine Ausnahmeerscheinung. Schnitt und Ton tanzen Flamenco und klappern mit den Kastagnetten, die Hauptdarstellerin ist zum Verlieben und ihre Stiefmutter eine der wunderbar-bösesten Erscheinungen, die ich seit langem auf der Leinwand gesehen habe. „Blancanieves“ ist in seinen besten Momenten, und davon gibt es genug, pure Magie. Und ich habe jede Sekunde genossen. Selbst wenn ich Stierkampf verabscheue und hoffe, dass die Spanier an dieser Tradition nicht mehr allzu lange festhalten...
Fazit: magisch, mystisch, anders - die beste Schneewittchen-Variante aller Zeiten?! Zumindest eine davon. „Blancanieves“ ist künstlerisch wertvoll, emotional und schlicht zauberhaft. Aber Disney it is not. Eine stumme Kostbarkeit aus Spanien!