Zur Beruhigung aller: "Die Tribute von Panem" ist kein zweites "Twilight"!
Natürlich, ein paar Herzensangelegenheiten spielen auch hier eine Rolle, aber schlußendlich dann doch eine untergeordnete - und so dröge gefühlsbetont wie Bella Swan kommt Jennifer Lawrences "Katniss Everdeen" auch nicht rüber.
Aber wer mit einer vorprogrammierten Erfolgstrilogie etwas filmhistorisch reißen will, muß dann doch etwas mehr bieten als Gary Ross mit seiner Teenagerdystopie im erzählerischen Kielwasser eines "Battle Royale".
Wo wir also schon mal bei dem Thema sind, so sollte man die Handlungsparallelen zu dem brutalen Asia-Klassiker nicht überbewerten. Es darf zwar nach Herzenslust gezweifelt werden, ob Suzanne Collins, Autorin der Bücher, wirklich keinen Schimmer davon hatte, daß ihr Plot bereits wesentlich graphischer und herber umgesetzt wurde - aber letztendlich war "Battle Royale" kein Film für die breite Masse, sondern eigentlich nur Genre- und Asienfans wirklich ein Begriff.
Inhaltlich lassen sich gewisse Parallelen jedoch nicht verleugnen, wenn man das Herzstück der Handlung, die mörderischen Wettkampfspiele in einer überkuppelten Waldarena, überblickt. Der gesellschaftliche Rahmen ist jedoch ein anderer, wenn man von dem Medienspektakel, der Sensationsgeilheit und der Wettmentalität absieht.
In einer fernen Zukunft hat nämlich ein Bürgerkrieg (so scheints) die alten USA zerschreddert und daraus eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen lassen. Im Zentrum steht der reiche Staat Panem, der die übrigen 12 Distrikte (ein Dreizehnter soll komplett zerstört worden sein, was aber im Film gar nicht aufgenommen oder diskutiert wird) kontrolliert und unterdrückt.
In den ärmlichen Distrikten wird produziert, was die Reichen in Panem wegkonsumieren - und darüber hinaus wurde als Mahnung (oder Kontrollbestrafung) jährlich der titelgebende Spielwettbewerb ausgetragen (die Hungerspiele), zu dem jeder Distrikt jeweils einen männlichen und weiblichen Teenager entsenden muß. Die Delinquenten (oder Tribute) werden per Los bestimmt, je älter man ist, desto größer sind die Chancen, daß man an die Reihe kommt.
Ist man erwählt, muß man sich erst beim Publikum beliebt machen, dann trainieren, Sponsoren sammeln und schließlich in einem Jeder-gegen-Jeden-Fight alle 23 anderen Teilnehmer meucheln. Ruhm und Ehre für den Gewinner, ein schlichtes Grab für die Verlierer.
Es kommt wie es kommen muß: bei der Auslosung fällt die Aufgabe der kleinen Schwester unserer Protagonistin zu, woraufhin Katniss, schon 17 Jahre alt, tatkräftig, trainiert und jagderfahren, sich notgedrungen freiwillig meldet. Und sie bekommt aus ihrer näheren Umgebung auch noch einen Distriktsmitbewerber mit auf den Weg, der ihr durchaus bekannt ist: Peeta, den Sohn eines Bäckers. Gemeinsam fährt man per Zug in die Hauptstadt, dem Schicksal entgegen.
So gestaltet sich, gemäß der Jugendbuchvorlage, die Handlung sehr linear und übersichtlich, geteilt in zwei etwa gleiche Teile, die die gut 140 Minuten Laufzeit füllen: die Wahl und die Vorbereitung füllen die erste Hälfte, der eigentliche Kampf die zweite Hälfte des Films. Dabei geht Collins Story sehr geschickt vor: einerseits bleibt die Kamera über fast die komplette Laufzeit nur in der Nähe der Hauptfigur, so daß man, mit nur wenigen Vorabinfos per Texttafel, die Staatsstruktur, die soziale Situation, die gesellschaftlichen Befindlichkeiten und die Tücken und Details des Turniers an der Seite von Katniss mitentdecken muß. Das Publikum wird in die Handlung hineingeworfen und die Abgründe tun sich in einer Art emotionalen Parallelschaltung für die Zuschauer wie für die Figur auf.
Gleichzeitig macht das Skript wie das Buch die Zuschauer zu Komplizen der sensationsgeilen Bevölkerung von Panem, denn natürlich will man sehen, wie die Teenager sich gegenseitig niedermachen - die eigene Favoritin hat man natürlich immer im Gepäck. Die muß sich zwangsläufig, trotz starkem Unwillen dem System gegenüber, den üblichen Regeln unterwerfen. Sie muß sich beliebt machen und mit ihren Fähigkeiten protzen, um dann zwangsläufig der Gewalt nicht ewig aus dem Weg gehen zu können.
In letzterem Punkt ist Collins sehr westlich-amerikanisch, denn die Hauptfigur steigt nie ganz auf das Spiel ein, das sie emotional zunehmend erschüttert. Nie geht Katniss über die eigentliche moralische Klippe, im ganzen Film tötet sie niemanden, weil es die Spiele nun mal so vorschreiben. Die Tode, die Katniss verursacht, geschehen zumeist aus der Defensive, aus höchster Not, aus selbstverteidigenden Gründen. Mal ist es ein Reflex, mal die Notwendigkeit, eine andere Figur oder sich selbst zu retten und sie gerät dabei in höchster Not meist an Mitspieler, die ihr eher freundlich gesonnen sind oder eine ähnliche Agenda verfolgen. Eine Fraternisierung ist so möglich, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, man ziele auf Gewalttätigkeit und Unmenschlichkeit zu Unterhaltungszwecken ab - und genau das ist der Punkt, an dem die Story ein bißchen in ihren Fundamenten wackelt, denn um das ganze Grauen faßbar zu machen, hätte eben so etwas geschehen müssen, doch die Protagonistin ist nicht einmal auch nur in Gefahr, zur reißenden Bestie zu werden, um ihr Leben zu retten.
Immerhin rutscht der Film nie in Richtung "Schmachtfetzen" ab, auch wenn die Beziehung, die zwischen Peeta und Katniss erwächst, natürlich der Menschlichkeit und der Zielgruppe geschuldet ist.
Gleichzeitig beraubt man der Story ihre Wirkung und ihren moralischen Druck auf das Publikum, in dem man die Protagonistin betont menschlich zeigt, die Gegenpartei, speziell die grausamen und sogar mordgierigen Gegenspieler, aber aufgrund des Ratings oder zugunsten des Einspiels im Hintergrund gehalten werden.
Perfektioniert wird so das Auftaktmassaker bei Spielstart, als alle sich ihre Überlebensmaterialien erjagen müssen zu einem hektischen und komplett unübersichtlichen Schnittmassaker, bei dem hinterher einige Leichen zurückbleiben, aber auch der Schrecken des entfesselt Monströsen kaum in den Vordergrund tritt. Gewalt flackert in Ross' Film nur kurz und fast beiläufig auf, nie verharrt die Kamera länger als nötig auf dem Prozess des Tötens, blendet weg oder zerschnippelt die Sequenzen bis zur totalen Unübersichtlichkeit.
Wie überhaupt die optische Wahrnehmung dieser Dystopie zu einer Kraftanstrengung wird. Ross vermeidet es, das Budget mittels beeindruckender Bilder herumzureichen, stattdessen reizt er die Gigantomanie nur mit ein paar riefenstahlgesättigten architektonischen Eindrücken an und setzt ansonsten auf sein Darstellerensemble. Doch der vom Typischen abgewandte Look ist gewöhnungsbedürftig, denn kurze Einstellungen und wankende Handkamera machen gerade die Filmeinleitung in dem ärmlichen Distrikt zu einer Strapaze. Später werden die Bildfolgen dann ruhiger, doch wann immer die Action endlich ihren Dienst antritt, hibbelt der Schnitt wie zu schlimmsten Bourne-Zeiten, damit sich auch ja kein Gutachter über zuviel Gewalt aufregen kann. Das aber kostet den Film einiges an Wirkung.
Auch die grelleren dystopischen Seiten der dekadenten Hauptstadtgesellschaft fallen in den Bereich "abstrus" bis "lachhaft". Mögen die allgegenwärtigen weißgekleideten Sicherheitskräfte noch funktionieren (auch wenn sie total gesichtslos bleiben), gerät schon bei der Auslosung die affektierte Effie, durchgestylte Handlangerin des Systems zur lachhaften Figur. Die sonst so hübsche Elizabeth Banks ist fast bis zur Unkenntlichkeit umgeschminkt und muß einen entsprechend grotesken Eindruck machen, gegen die der geradezu unbequem natürliche Designer Cinna, den Lenny Kravitz mit einem Minimum an Make-Up total underdressed wirkt.
Auch in der Folge dominieren beim "big brother" dann eher Karikaturen: Donald Sutherland darf einen intriganten rauschebärtigen Präsidenten spielen (und überlebt zur Abwechslung mal wieder einen Film); Wes Bentley irritiert mehr mit seinem kunstvoll verschnörkelt ausrasierten Bart als mit Charisma als Spielleiter und Stanley Tucci erledigt einen übertrieben grimassierenden Höllenjob als berühmter TV-Moderator im Overdrive. Immerhin sorgt dessen Overacting noch für ein gewisses Amüsement.
Aber Ton in Ton zur Vorlage, an die man sich weitestgehend gehalten hat (signifikante Unterschiede bestehen nur in den am Schluß aktivierten Mutanten und der versetzten Entscheidung, möglicherweise zwei statt eines Gewinners zu küren), bleibt das Spektakel in der dystopischen Anlage weitestgehend kritikarm und statisch.
Offensichtlich nicht im Mindesten über einen möglichen Erfolg sicher, hat man sich bemüht, für den Notfall alles zu einem runden Ende zu schreiben und nicht zu viele offene Fäden für eine Fortsetzung liegen zu lassen, brüskiert aber gerade damit ein intelligentes Publikum. Denn "Panem" endet viel zu brav und linear, ohne Häppchenanreiz oder rote Heringe, ohne echte Systemkritik oder ein gewandeltes Weltbild, das einen Werdungs- oder Reifungsprozeß dokumentiert. Vielmehr verliert der Film mit jeder Minute an Kritikwürdigkeit und mündet dann in ein eher banales Finale, das man hätte aufrüschen können, in dem man einem engagierten Publikum ein paar Brocken hingeworfen hätte.
Zwangsläufig muß das nun alles in der unvermeidlichen Fortsetzung geschehen, für die das Ensemble ja schon zur Verfügung steht, aber wirklich zufrieden kann man mit diesem Auftakt nicht sein. Anders als "Twilight", der eher Leerlauf zur Startmaxime machte, krankt "Panem" in der Erstinstanz an zuviel Agitation und zu wenig Stoff zum Nachdenken. Er präsentiert zwar eine patente Heldin, doch je mehr diese um ihr Leben kämpfen muß, um so weniger Zeit hat sie gemeinsam mit dem Publikum zum Reflektieren. Da das Gezeigte jedoch eher zahm ausfällt, hallt die Wirkung niemals nach, erschüttert der Film niemanden, nicht mal die Jugendlichen, die hier eher eine Filmform ihres Lieblingsbuches konsumieren, für die Inhalte aber noch nicht entsprechend aufbereitet wurden.
Unterhaltsam ist das Geschehen dennoch, Erwachsene werden jedoch kaum gesättigt, außer man achtet auf den simplen Überlebenskampf als Unterhaltungselement. Was "Harry Potter" mit seiner Detailgenauigkeit nicht einlösen konnte, nämlich den Zauber der üppigen Vorlage so punktgenau wie möglich auf die Leinwand zu bringen, macht Ross mit "Panem" zu viel: er wiederkäut die überschaubare Story, ohne sie in ihrer erzählerischen Eindimensionalität weiterzuentwickeln.
Der Kassenerfolg zeigt, daß das auch nicht wirklich nötig war, ein mitreißendes Filmerlebnis mit Langzeitwirkung ist jedoch nicht daraus geworden. (5,5/10)