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Ein Film wie Blätterkrokant, wie eine umgekehrte Mumifizierung oder das Schälen einer Zwiebel - Schicht für Schicht wird abgetragen, bis das Verborgene langsam Form annimmt. “Die schwarze Natter”, ein Glied der schwarzen Serie, das sich über visuelle Reize und ungewöhnlich eingesetzte Gimmicks definiert.

Gerade erst war Robert Montgomery mit “Die Dame im See” an der subjektiven Kamera gescheitert, dient sie dem dritten Film Humphrey Bogarts mit Lauren Bacall an seiner Seite bereits wieder als erster von insgesamt drei Akten. Delmer Daves baut die Geschichte voller Wendungen um drei Erzählperspektiven, die leicht an “Der Unsichtbare” (1933) erinnern: Im Mittelpunkt ein gejagter Mann, bis zur 35. Minute aus der Ich-Perspektive dargestellt; zur vollen Stunde hin ein Mann in Gips und zuletzt Humphrey Bogart in Fleisch und Blut, so wie man ihn kennt.

Zwar konnte sich die subjektive Kamera bis heute auch nicht besser durchsetzen als etwa der 3D-Film oder das Geruchskino, doch Delmer Daves weiß zumindest das Experiment Montgomerys zu verfeinern und erschafft so eine mitreißende erste halbe Stunde, in die man sich direkt hineinversetzt fühlt. Der Trick: die Egoperspektive wird nicht überreizt, sondern immer wieder unterbrochen von einer gewöhnlichen 3rd-Person-Perspektive. Schaut man durch Bogarts Augen, bleibt die Kamera dennoch dynamisch und setzt sich so über die Statik von Montgomerys Aufnahmen hinweg, die das Blickfeld starr und kalt wirken ließen - eben nicht wie ein menschliches Auge, sondern eine technische Vorrichtung. Doch der aus San Quentin entflohene Sträfling (Bogart) rollt in einer Tonne die Böschung hinunter, das Blickfeld wandert wackelnd die Graswölbung hinauf und entflieht durch ein Gestrüpp auf die Straße. Hin und wieder lugt ein Arm am unteren Bildrand hervor. Es ergibt sich per Hitchhiking eine Mitfahrgelegenheit, abwechselnd wird der neugierige Autofahrer angeschaut, die Rücksitze und wieder die Straße. Die Sicht auf das Geschehen erscheint vogelfrei, weil eben nicht der Zwang besteht, immer bei der Egoperspektive zu verharren. Wenn es die Szene erfordert, wird einfach in die Totale geschaltet - ohne, dass jemals das Gesicht des Sträflings zu sehen wäre.

Ändert sich die Sicht auf das Geschehen später, so nimmt auch die Atmosphäre des Films einen neuen Turn. Mit dem Mann im Gips steht nun nicht mehr die aktuelle Gefahr der Situation im Vordergrund, sondern die Suche nach einer Auflösung der Charakterverzweigungen, die sich inzwischen gebildet haben. “Die schwarze Natter” entwickelt sich zum klassischen Rätselraten des Film Noir, der Protagonist emotional wie körperlich isoliert, sein Gesicht vor der Welt versteckt und Menschen um ihn herum, von denen er nie genau weiß, wem er trauen kann - auch wenn manche ihm helfen.
Blickt man Bogart schließlich ins unverhüllte Gesicht, ist das wie der Amoklauf des entblößten “Unsichtbaren”, der seinem Wahnsinn freien Lauf lässt. Die Fronten scheinen nun geklärt und der Regisseur muss nur noch eine Auflösung mit einem Knall herbeiführen, große Kulissen inklusive. Dazu werden Figuren reanimiert, die man in den vorangegangenen beiden Akten bereits kennengelernt hatte. Es gibt Plottwists, die wie Minibomben in einer Tour explodieren, ein steter Wechsel der strategischen Position bis zum befreienden Ende.

Unleugbar ist dabei der Triumph des Spektakels mit Pauken und Trompeten über die storytechnische Raffinesse, denn bei näherer Betrachtung bietet Delmer Daves nichts weiter als einen Film Noir-Plot von der Stange an. Die Zutaten - düstere Gestalten, eine korrupte Welt, eine Femme Fatale, Gefahren, Einsamkeit und Isolation, Verwirrung und falsches Vertrauen - sind allesamt da, sie werden aber nie in neue Bereiche gepeitscht. Nur dem großzügigen Einsatz von Experimentierfreudigkeit in der technischen Umsetzung ist es zu verdanken, dass das Werk aus der breiten Masse ragt. Eine enorme Intensität ist ihm keineswegs abzusprechen, auch der Unterhaltungsfaktor wird groß geschrieben.

Besonderen Gefallen dürften gar Anhänger von William Castle finden und solche, die bei Hitchcocks Arbeiten vor allem den schwarzen Humor und die B-Movie-Parts geschätzt haben. Bogart und Bacall (die eine sehr einprägsame Leistung bringt) liefern sich immer wieder gewitzte Wortduelle inmitten der Unsicherheit ihrer Beziehung und Randfiguren wie der Nachtwächter, dem Bogart einen Polizisten vor das fahrende Auto stößt, sorgen für deftige Einlagen voller Komik. Ein dezenter Surrealismus, der seinen Höhepunkt in der Vision des Sträflings während seiner Gesichts-OP findet, lässt Parallelen zu “Spellbound” und entfernt auch “Vertigo” zu. Die aktionsbetonte Hektik nach der Flucht ermöglicht derweil Vergleiche zu “Die 39 Stufen” und “Der Unsichtbare Dritte”. Es ist mitunter schon ein Best Of der kuriosesten Momente aus 50 Jahren Hitchcock, abgeschmeckt mit der sensationslüsternen Präsentation eines William Castle, Suspense gewagt mit plötzlichen Storytwists konterkarierend.

In der einprägsamen Darstellungsweise ist letztendlich auch die Stärke des doppelbödigen Werkes zu finden, das bis zum Schluss gleichwohl spannend wie rätselhaft bleibt. Es ist nicht wirklich ein überragender oder auch wichtiger Vertreter des Film Noir, aber er versteht es doch, dessen dogmatischem Regelwerk ein wenig frischen Wind durch das Gehäuse zu pusten. So etwas ist immer sympathisch und in diesem Falle auch sehr sehenswert.

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