Abschiedsküsse am College, Jahre später am Flughafen. Doch es treffen sich dabei nicht die Lippen, die eigentlich füreinander bestimmt sind. Harry und Amanda, Sally und Joe, Harry und Helen… von allen Konstellationen, die es im Zwischenmenschlichen geben kann, ist nur eine die einzig wahre: „Harry und Sally“…
Doch bis es zu dieser vom Schicksal vorbestimmten Konstellation kommt, vergehen Jahre. Zwischen der ersten Begegnung zwischen dem zunächst schon fast rüpelhaft wirkenden Macho Harry und der zickigen Sally und dem endgültigen Eingehen einer für die Ewigkeit bestimmten Liaison ereignen sich immer wieder Kreuzungen der Lebenswege unserer beiden Protagonisten. Hitzige Wortgefechte, Anfeindungen und schließlich Anfreundung erleben wir mit, während wir als Zuschauer vom ersten Augenblick an merken, dass diese beiden Menschen füreinander geschaffen sind.
Woher dieses Wissen rührt? Einerseits sind es die leisen Zwischentöne, die Regisseur Rob Reiner immer wieder trifft, wenn er in Meg Ryan und Billy Crystal eines der besten RomCom-Duos aller Zeiten zusammen und gleichermaßen gegeneinander an spielen lässt. Die Spitzen, die einer dem anderen in raffinierten Rededuellen an den Kopf katapultiert, die Gegensätze, die sich in den genial inszenierten Dialogen immer wieder offenbaren und die sich doch irgendwo auf einen gewissen kleinsten gemeinsamen Nenner bringen lassen, sind es, die immer wieder ein Knistern, ein Auflodern der Leidenschaft dieser beiden Seelen füreinander erahnen lassen. Hier greift dann auch eine weitere Komponente, die uns von Beginn an vermuten lässt, dass sich zwischen Harry und Sally mehr als nur eine enge Freundschaft entwickeln wird: die eigene Lebenserfahrung. Phrasen wie „Gegensätze ziehen sich an“ oder „Was sich liebt, das neckt sich“ visualisiert Rob Reiner in einer 90minütigen Ode an die Liebe. Er erzählt uns auf charmante Art und Weise eine Geschichte, die jedem von uns jederzeit widerfahren könnte, vermutlich sogar dem einen oder anderen bereits widerfahren ist. Und selbst wenn es noch Zuschauer geben sollte, die nicht schon durch diese kleinen (oftmals auch großen) Zaunpfähle erahnen, wohin dies alles führen wird, gibt es eine unumstößliche Gesetzmäßigkeit, die historisch gewachsen ist: das Gesetz der Romantic Comedy, das schlichtweg ein anderes Ende verbietet als das, in dem sich die beiden Dreh- und Angelpunkte der dargestellten Geschichte schließlich für alle Ewigkeit finden.
Dass diese Vorhersehbarkeit eine der elementaren Krankheiten dieses Genres ist, ist Kritikpunkt an vielen zeitgenössischen Vertretern dieser Gattung. „Harry und Sally“ verzeiht man als Ur-Mutter der postmodernen Romantic Comedy diese Krankheit gerne, denn durch das charmante Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller verliert man sich vollends in der vom großen Inszenator Reiner erzählten Geschichte. Man begleitet Harry und Sally gerne in diesem Roadmovie auf den Irrwegen, die die Liebe jederzeit bereit hält, wir schreiten mit Ihnen über wundervolle, vom frühen Sonnenlicht überflutete Lichtungen, hinein in dunkle Gassen, nehmen Weggabelungen, erfahren Trennungen und Wiedervereinigungen, um am Ende des Weges feststellen zu können, dass alles so kommt, wie es kommen muss; dass alles so endet, wie wir es uns die ganze Zeit gewünscht haben.
Und wenn die beiden Liebenden am Ende auf dem Sofa sitzen, auf dem zuvor viele gealterte Ehepaare ihre Liebesgeschichten preisgaben, und die Geschichte, die wir zuvor gesehen haben, weiterspinnen, kann es passieren, dass es selbst dem größten Misanthropen etwas warm ums Herz wird… 10/10