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Der Klassiker unter den romantischen Liebeskomödien kommt im Gegensatz zu seinen zahllosen Nachahmern überraschend unkitschig daher. Dabei überzeugt Harry und Sally mit intelligenten Wortgefechten, guten Schauspielerleistungen und gekonnt inszenierter Situationskomik. Die Geschichte bedient sich der Standarddramaturgie der Filme dieses Genres und leistet sich keinen Hänger, nur die sporadisch eingestreuten Pseudo-Interviews trüben den runden Gesamteindruck.
Nachdem sich Harry (Billy Crystal) und Sally (Meg Ryan) zunächst in Abständen von fünf Jahren dreimal begegnet sind und sich gegenseitig nicht ausstehen können, schließen sie schließlich Freundschaft. Harry's anfängliche These „Männer und Frauen können keine Freundschaft schließen, da ihnen immer der Sex dazwischen kommt“ bewahrheitet sich auch in ihrem Fall. Unfähig, sich ihre Gefühle einzugestehen, kompensieren sie die Spannungen zwischen sich, mit anderen Beziehungen, bis sie schließlich doch zueinander finden.
Ganz im Zeitgeist der ausklingenden 80er Jahre sind bei „Harry und Sally“ praktisch alle Protagonisten Singles, verhalten sich –zumindest bei der berühmten Orgasmusszene- reichlich überemanzipiert und beruflich erfolgreich und sind trotzdem vor allem einsam. Möglicherweise liegt es an der Tatsache, dass sich die sozialen Verhältnisse, die den Zeitgeist von damals prägten, noch heute Bestand haben. „Harry und Sally“ hat trotz seines beträchtlichen Alters praktisch nicht von seiner Aktualität eingebüßt. In radebrechenden verbalen Schlagabtäuschen gibt Billy Crystal den zynischen Macho und Meg Ryan die idealistische süße Maus. Ihre Ansichten und Beobachtungen über Liebe, Partnerschaft und Familie haben bis heute Bestand und werden dem Zuschauer so treffend pointiert und dazu noch im Sekundentakt um die Ohren gehauen, dass man sich mitunter scharf konzentrieren muss, um alles mitzukriegen. Erschwert wird das Ganze durch die einfallsreiche Inszenierung, die jede Szene durch irgendeinen skurrilen Einfall einzeln adelt und zu einer abgeschlossenen Geschichte für sich macht. Sei es Harry und Sally beim Weihnachtsbaumeinkauf, beim Teppichausrollen, beim Vierer-Date, beim vorgetäuschten Orgasmus, im Flugzeug, an Sylvester... das Drehbuch glänzt mit einer überbordernden Anzahl witziger Ideen, dass man sich den Film am Besten zweimal anschaut, um alles mitzukriegen. Den Höhepunkt bildet dabei die Telefonkonferenz, in der Harry seinem besten Freund und Sally ihre besten Freundin, die zudem noch ein Pärchen sind, nach einem ersten sexuellen Intermezzo um Hilfe fragt. Überraschend homogen erscheint trotzdem das Gesamtresultat. Die Story wird konsequent weiterentwickelt. Von der anfänglichen Abneigung der beiden Protagonisten, über die sich langsam anbahnende Liebe und dem daraus resultierenden Konflikt, bis zum obligatorischen Happyend hält sich Regisseur Rob Reiner eisern an die gängigen Genregesetze des romantischen Liebesfilms. Dass dabei der Kitschfaktor sehr niedrig ausfällt, hat mich am meisten erstaunt, da die zahllosen Kopien dieses Klassiker doch vor allem daran krankten. „Harry und Sally“ beweist einen realistischen Sinn für zwischenmenschliche Gefühle. Fern ab von jeglichen Edelkitsch als „Schlaflos in Seattle“. Für die edle Bebilderung ist dabei kein geringerer als Barry Levingston zuständig, der kurz danach ebenfalls ins Regiefach wechselte. Seine Stadtansichten von New York sind einfach wunderschön, bunt aber alles andere als aufdringlich.
Unterm Strich hat Rob Reiner ein wirklich gelungenes Standardwerk geschaffen, dessen perfekter Gesamteindruck nur durch die etwas unmotiviert wirkenden Intervieweinschübe getrübt werden. Hier dürfen alte Pärchen über ihre erste Begegnung schwadronieren und nebenbei ihre Senilität zur Schau stellen. An dieser Stelle bewegt sich der Film ungefähr auf dem selben Niveau wie „Dingsda“ oder „Kinderquatsch mit Michael“ mit dem Unterschied, dass aus putzigen Kleinkindern, putzige Senioren geworden sind. Dieser kleine Makel trübt das Bild jedoch nur unwesentlich.

Daran werde ich mich noch lange erinnern:
Die wunderschön bebilderte Herbstlandschaft im Central Park in New York

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