„If“ heißt übersetzt „wenn“, ist Bestandteil von Konditionalsätzen und zeigt eine Voraussetzung bzw. Erklärung für bestimmte Phänomene an. In Bezug auf den Film kann man zu Beginn eine Hypothese aufstellen wie „Wenn Schüler lange genug unterdrückt werden, laufen sie irgendwann Amok“ oder am Ende sagen „Das wäre nicht passiert, wenn man sie netter behandelt hätte“. Diese Erkenntnis ist natürlich trivial, führt aber gesellschaftspolitisch betrachtet zur interessanten und vieldiskutierten Frage, ob Prävention / Ursachenbehandlung besser ist als Sanktion / Symptombekämpfung. Problematisch wird die Beantwortung meiner Meinung nach erst dann, wenn man sie nicht als Skala mit vielen Handlungsmöglichkeiten begreift, sondern ins Entweder-Oder-Schema presst. WENN man Schülern anti-autoritär gegenüber tritt, ermöglicht man ihnen zwar die Entwicklung als Persönlichkeit, riskiert aber auch dass sie den Lehrern und anderen Mitmenschen auf der Nase rumtanzen. WENN man hingegen Schüler an der Entdeckung ihrer individuellen Identität hindert und sie zu parierenden Abziehbildern ihrer Beherrscher erzieht, bekommt man entweder modernere Sklaven, stille Mitläufer oder Rebellen, die notfalls auch mit Gewalt aus diesem unwürdigen Dasein auszubrechen versuchen.
Als Querkopf fungiert hier vor allem Malcolm McDowell, dessen Darstellung des Mick Travis ähnlich charismatisch ausfällt wie die des Alexander De Large 3 Jahre später. Jede Wette, dass Kubrick diese Leistung dazu veranlasste, ihn als Hauptrolle für seinen Klassiker „Uhrwerk Orange“ zu casten, und es ist mehr als unfair, dass so ein talentierter Schauspieler und Charakterkopf wie McDowell nie den großen Durchbruch geschafft hat. An seinem Können liegt das nicht, eher an seiner Rollenwahl (und trotzdem hat er beim überflüssigen „Halloween“-Remake – abgesehen von William Forsythes kultigem Kurzauftritt – den mit Abstand besten Part) oder *spekulier* an schlechten Managern / Agenten. Seine einzigartige Ausstrahlung ist dank stechender Augen und schelmischem Lächeln selbst noch auf dem hiesigen Opa-Portrait auszumachen. Zu seinen Revolutionskollegen und Gegnern bei „If“ kann ich jedoch nichts sagen, da mir weder sie noch ihre weiteren Auftritte bekannt sind. Womöglich würde ich beim Anklicken der Namen doch noch einige bereits gesehene Vertreter entdecken, doch im Gegensatz zu Alexboy blieb mir anscheinend kein einziger der Mitwirkenden dauerhaft im Gedächtnis, was aber nicht heißen soll, dass sie beim hier besprochenen Streifen eine schlechte Performance abliefern.
Über die Aktualität des Themas möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern. Das Schulsystem ist heutzutage sowohl in England als auch bei uns wesentlich liberaler als in den 60ern, und zu der Frage, ob dies besser oder schlechter ist, hat sowieso Jeder eine andere Meinung. Was ich kritisieren würde, ist die Glaubhaftigkeit des „Reifeprozesses“ vom oppositionell eingestellten Zahnrad in der Maschinerie zum Systemherausforderer. Auch WENN der Regisseur den Seelentod von Heranwachsenden dem Disziplin einfordernden Establishment in die Schuhe schieben will, so muss man doch sagen, dass es Mick und Co. im College gar nicht so schlecht geht. Sie trinken in der Freizeit Alkohol, rauchen, klauen Motorräder um Tussis aufzureißen, und müssen im Gegenzug nur Moralpredigten und ein paar Hiebe auf den nicht mal blanken Arsch (der gute alte Rohrstock) ertragen und Aufräumarbeiten erledigen (bei denen man – juhu – jede Menge Waffen und scharfe Munition findet). In meinen Augen ist das zuwenig um einen Amoklauf zu rechtfertigen oder zumindest zu erklären, aber sowas ist auch schnell gesagt wenn man die Motive der Todesschützen von z.B. Littleton und Erfurt kennen würde. Zwischen objektiv messbarem Lebensstandard und subjektiv nicht messbarer Wahrnehmung liegen oft Welten.
Da ich von „If“ die englische DVD-Version gesehen habe, sind mir eventuell ein paar Kommentare und Wortspiele entgangen, die zum besseren Verständnis der Protagonisten beigetragen hätten. Das Bild ist jedenfalls top (grobkörnig, kräftige Farben, „60er / 70er-Atmo“) und der mehrmalige Wechsel von farbig zu schwarz-weiß auffallend und bemerkenswert. Ob dies an äußeren Zwängen lag oder eine bestimmte Funktion hat, vermag ich auch nach einigem Nachdenken nicht zu beurteilen. Zunächst nahm ich an, dass die s/w-Bilder die Fluchtversuche aus dem Regelkorsett darstellen sollten, aber das passt nicht zu einigen Tabubrüchen in Farbe. Stilistisch erinnerte mich der Film an „Scum“ (GB: 1979), wobei dieser wesentlich „dreckiger“ wirkt, und wer auch damit nichts anfangen kann, sollte wenigstens bei der Erwähnung des „Clubs der toten Dichter“ eine inhaltliche Vorstellung davon haben, worum es bei „If“ geht. Ich hoffe, das Teil auch in Deutsch zu Gesicht zu bekommen, und wäre nach einmaliger Sichtung spontan bereit, mir es noch mal auf Englisch anzusehen. Aufgrund des Fremdsprachenaspekts staple ich bei der Bewertung etwas tief, da mir die Übersetzung hier nicht so leicht fiel wie bei einigen italienischen „Schundwerken“, die auf dem deutschen Video-/DVD-Markt leider ebenso rar sind – 7/10.