Review

Monster oder Märtyrer?

Pascal Laugiers "Martyrs" ist ein moderner Horrorklassiker & war eine wuchtige Grundsäule der französischen Hardcore-Horrorwelle. Das kommende Remake war schon immer dem Untergang geweiht. Und auch für seinen ersten Hollywood-Film ging der begabte Regisseur nicht den einfachen Weg & litt stark unter falschen Erwartungen & noch falscherem Marketing. Dabei ist auch "The Tall Man" sehenswert - und vor allem jede Diskussion wert!

Den Inhalt bzw. das Besondere am Hollywood-Erstling des Franzosen zu beschreiben, ohne zu Spoilern, ist nahezu unmöglich. Daher lasse ich das & sage: zuerst gucken, dann weiterlesen! Im Film geht es um eine ärmliche & recht asoziale Kleinstadt mitten im amerikanischen Nirgendwo. Da dort in regelmäßigen Abständen Kinder verschwinden, entsteht schnell die Legende über den "Tall Man", der die Kleinen holt. Auch der Krankenschwester Julia wird ihr Sohn gestohlen - aber da sie weiß, was wirklich hinter der Legende steckt, nimmt sie die Verfolgung auf...

Der Film ist ganz klar ein Drama, höchstens noch ein Thriller. Aber ein Horrorfilm mit einer Boogeyman-ähnlichen Kreatur, wie er beworben wurde - hell no! Es gibt spannende Momente & Wendungen - aber man erwartete einfach etwas ganz Anderes. Sicher ein Grund für die vielen schlechten Kritiken. Der zweite Grund, warum die mysteriöse, Akte X-ähnliche Geschichte bei Vielen so unbeliebt ist: sein umstrittenes Ende/die schockierende Auflösung. Die Kinder der verrohten, gewalttätigen, aussichtslosen Familien werden von organisierten "Wohltätern" geklaut & zu besseren Orten/Familien gebracht, um dem Teufelskreis der Gewalt & Armut zu entgehen. Und da dies nicht heraus kommen darf, nimmt die Mitorganisatorin Julia, die Anschuldigung des vielfachen Kindermordes auf sich. Eine krasse, realistische Wendung voller Gesprächsstoff & Potenzial. Das Jessica Biel dabei als spezielle Märtyrerin eine klasse Figur macht, unterstreicht den Schockmoment gegen Ende nur nochmal. Für alle Zuschauer, die sich ein Monster & echte Kills erhofft haben, natürlich ein Schlag in den Magen. Wieder mal von Herr Laugier. I like!

Ist es also sinnvoll die Kinder zu entführen? Ist es eine gute Tat oder unmenschlich? Darf sich jemand dieses Recht heraus nehmen? Ist die echte Mutter immer die beste? Merken Kinder den Unterschied? Wie durchbricht man einen Teufelskreis? Ist der Fall realistisch? - Nur ein paar der Fragen, zu denen jeder selbst seinen Standpunkt finden kann. Und die möglichen Antworten beleuchtet der Film gar nicht mal so subjektiv wie man zuerst meinen könnte, was richtig gut ist. Wenn man also auf nachdenkliche Krimi-Geschichten & fast sozial-philosophische Aussagen steht, kommt man voll auf seine Kosten. Mehrmaliges Schauen sicher wünschens- & lohnenswert! Mit dem Gruselaspekt hätte man aber durchaus noch stärker & länger spielen können, außerdem wirkt der Stil arg glatt gebügelt & nicht wirklich, was der Regisseur eigentlich könnte. Rauer & künstlerischer, französischer, hätte ich das Ganze noch toller gefunden.

Fazit: alles andere als Einheitsbrei ist Laugiers Hollywood-Debüt, auch wenn er nie die Höhen einen Martyrs erreicht. Trotzdem brandheißer Gesprächsstoff & ein cleverer Thriller. Cover & Trailer leiten komplett fehl in Richtung Horror!

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