Cold Rock, USA, Pittsville County im Staat Washington. Eine geschlossene Mine. Keine Schule. Weitläufige Wälder und ein Tunnellabyrinth. Vielleicht der schlimmste Ort aller Zeiten, an dem nun die Spuren von 18 vermissten Kindern gesucht werden. Der Name des letzten Opfers: David Johnson… (Zitat: Erzählerin in „The Tall Man“)
Wow, was für ein Thriller. Noch zu dem Zeitpunkt, als die Erzählerin aus dem Off die Geschehnisse der ersten 60 Minuten mit eben jenen Worten rekapituliert – und da gab es schon einige Wendungen – glaubt man selbst als gewiefter Zuschauer, noch alles im Griff zu haben und zu wissen, wohin die Reise in dieser franko-kanadischen Produktion geht. Doch der mit vielen falschen Fährten durchsetzte „The Tall Man“ ist ein superbes Beispiel dafür, wie man die Seh- und Erzählgewohnheiten eines Genrepublikums auf den Kopf stellen kann. Der französische Regisseur Pascal Laugier, der nach eigenen Angaben maßgeblich von den US-Horrorfilmen der 1980er-Jahre beeinflusst wurde, greift lediglich anfangs das ach so typische Urban-Legend-Motiv auf, nur um seinen „The Tall Man“ dort enden zu lassen, wo es ihm am meisten beliebt: bei einem Statement zu unserer Gesellschaft. Schon sein „Pakt der Wölfe“ war bereits eine Mixtur diverser Sujets, hier gelingt das Spiel mit verschiedenen Genrerichtungen noch viel wilder und intensiver. Die exakte Beschreibung der örtlichen Verhältnisse und der Atmosphäre in Cold Rock ist Stephen-King-Territorium, der unheimliche Kindesentführer eine den Slashermovies entliehene Figur, die starken Mutterrollen sind dem europäischen Autorenkino entnommen und ähnlich wie Hitchcock einst in „Psycho“ die vermeintlich als leading actor gesetzte Janet Leigh kurzerhand in der Dusche sterben ließ, geht Pascal Laugier hier mit Jessica Biel um und lässt die schnell vom Publikum als Heroine identifizierte Schauspielerin einen nie geahnten Twist unterlaufen. Das alles ist stimmig, intelligent verschachtelt und trotz der Herausnahme des Tempos nach der Handlungswendemarke sowie einer Auflösung, die nur auf den ersten Blick an den Haaren herbeigezogen mag, beste, weil zum Nachdenken anregende Suspense-Unterhaltung, die für langen Nachhall in den Hirnwindungen eines Filmfans sorgt. Auf BD letterboxed (2,35:1). Des weiteren mit Jodelle Ferland, Stephen McHattie, William B. Davis u.a.
© Selbstverlag Frank Trebbin