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Sich mit einer neuen Interpretation an eine Story zu wagen, die zum weltweiten Kanon der Kindheitserinnerung zählt - auch in der von Disney adaptierten Zeichentrickfassung des Grimms-Märchens - birgt gewisse Gefahren in sich. Das muss auch den Machern von "Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" bewusst gewesen sein, denn ihre Idee, das Märchen stärker aus der Sicht der bösen Stiefmutter zu erzählen, die zudem mit Julia Roberts prominent besetzt wurde, besaß einiges an Potential, das aber nicht bis zum letzten ausgereizt wurde.

Der Beginn ist noch sehr vielversprechend. Zwar ist Schneewittchen (Lilly Collins) auch hier sehr hübsch - ein Bruch mit dieser Vorgabe wäre kaum vermittelbar gewesen - aber die Königin, nach dem überraschenden Tod ihres Mannes alleinige Machthaberin, relativiert deren Aussehen sogleich. Auch scheint sie es gar nicht nötig zu haben, sich mit ihr zu vergleichen. Im Gegenteil nimmt sie weder Schneewittchens Aussehen, noch deren untergeordnete Position im oriental gestalteten Königspalast wirklich ernst. Viel mehr interessiert sie ihre finanzielle Situation, denn ihr luxuriöser Lebensstil hat ihr Volk schon ausgeblutet, weshalb sie auf der ständigen Suche nach neuen Ressourcen ist.

Den größten Ärger bereiten ihr deshalb die "Sieben Zwerge", bei denen es sich um Räuber handelt, die mit ihrer originellen Kampftechnik gerade erst wieder den Steuereintreiber ausraubten. In dieser Konstellation wandelt der Film auf eigenständigen Füßen, denn bei den "Zwergen" handelt es sich um tatsächliche Kleinwüchsige, die ihre Ausgrenzung satt hatten und deshalb im Wald gemeinsam leben. Ihre Verkleidung, die sie zu Riesen macht, und ihre damit ausgeführten Bewegungen, erinnern an holzschnittartige Ballette und sind ästhetisch überzeugend gestaltet. Zudem entsteht aus ihrem Zusammenspiel der meiste Witz, der nur noch von Julia Roberts im Duo mit ihrem Kammerdiener Brighton (Nathan Lane) erreicht wird.

Dagegen entwickelt sich die Geschichte vom Prinzen (Armie Hammer) und Schneewittchen konventionell, auch wenn sie deutlich aktiver und selbstständiger ist, während er zu einer gewissen Selbstverliebtheit neigt. Der Prinz ist dann auch der eigentliche Anlass, warum die Königin überhaupt ihre Stieftochter umbringen will, denn von diesem verspricht sie sich bei einer Vermählung das Auffrischen der königlichen Kasse. Doch als dieser nur Augen für die Prinzessin hat, obwohl sie dank außergewöhnlicher kosmetischer Maßnahmen das Beste aus sich heraus holte, ist sie gezwungen, die Nebenbuhlerin zu beseitigen, womit das Aufeinandertreffen von Schneewittchen und den Zwergen vorprogrammiert ist.

Es wird deutlich, das am Grundgerüst der Originalstory wenig verändert wurde, die Charaktere aber zu mehr Eigenständigkeit hochstilisiert wurden. Zudem wurde das Märchen noch um das klassische Motiv der Auflehnung gegen einen Tyrannen erweitert, der nicht einfach zu besiegen ist, da er sich der Unterstützung des Zauberspiegels sicher sein kann. Auch dieser verfügt über deutlich mehr Fähigkeiten, als nur die schnöde Aussage, wer die Schönste im Land ist - hier ein zu vernachlässigender Aspekt.

Trotz des freien Umgangs mit der Originalvorlage, wagt sich der Film nicht an die Essenz des Märchens heran. "Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" ist durchgehend unterhaltend, verfügt über ein hohes Tempo und ist vor allem optisch originell, aber die wirklich respektlosen Momente bleiben selten, sind letztlich nur Makulatur. So sehr Julia Roberts versucht, die Meinungshoheit an sich zu reißen - auch sie muss als böse Stiefmutter an der allgemeinen Erwartungshaltung scheitern (6/10).

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