Review

“Being A Teen Is A Living Hell.“ (Werbezeile)

Pauline (AnnaLynne McCord) ist ein relativ typischer Teenager. Sie ist ein Außenseiter, hat keine Freunde, dafür Pickel, Herpes und fettige Haare. In ihrer Phantasie hat sie Blut überströmt Sex, badet wie Gräfin Bathory in Blut oder treibt es mit kopflosen Leichen. Genau genommen ist Pauline ein ziemlicher Freak. Die Noten in der Schule stimmen zwar, besonderes Interesse hegt sie für Biologie, insbesondere Anatomie, anderweitig kommt sie im Leben aber nicht wirklich klar. Egal ob Eltern (Traci Lords), Lehrer (Malcolm McDowell), Mitschüler oder der Gemeindepfarrer (John Waters), allesamt halten Pauline für krank und absonderlich. Zudem steht sie im Schatten ihrer kleinen Schwester, die ein Lungenleiden plagt und deswegen höchstwahrscheinlich an Lebenszeit eingeschränkt sein wird. Doch das hochbegabte Mauerblümchen Pauline hegt bereits Pläne…

EXCISION (zu deutsch: Ausmerzung, Entfernung [med.]) ist eine pervertierte Mischung aus Gesellschaftssatire, Teenager-Drama und Horrorfilm und eine berauschende Berg- und Talfahrt durch die Untiefen der Jugend bestehend aus juveniler Orientierungslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühlen, Sex- und Mordphantasien. Hauptdarstellerin AnnaLynne McCord stellt Mut viel zur Hässlich- und Absonderlichkeit unter Beweis. Ihre im Grunde durchgehend herausragende Performance trägt den ganzen Film. Sie schnuppert an gebrauchten OB’s, kotzt eine Mitschülerin während des Unterrichts an (wörtlich zu nehmen!) und lässt sich von einem Jungen oral befriedigen, obwohl sie ihre Tage hat, was einen blutigen Lippenstift und angewidertes Missfallen seitens des Sexualpartners zur Folge hat. Ein weiblicher Freak – so was sieht man gerne. Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ lässt zwar heftig grüßen, wird aber gleichzeitig in seine Schranken verwiesen und übertölpelt. Auch sind Parallelen zu sexuelle desorientierten Filmen wie TEETH und Cronenbergs PARASITEN-MÖRDER nicht von der Hand zu weisen.
Die bildgewaltigen, in Neonfarben getauchten Sexträume sind ein weiteres Highlight des Films. Hierbei handelt e sich zwar nur um kurze Sequenzen, diese haben es allerdings wahrlich in sich und weisen einen Perversheitsgrad auf, der Vergleiche zu Filmen wie MARTYRS oder HUMAN CENTIPEDE zulassen. In ihnen durchbricht Pauline ihr „Hässliches-Entlein-Image“ und träumt sich zur wunderhübschen Splatterqueen, die allen Schönheitsidealen entspricht.

Inhaltlich schwächelt der Film merklich. Es geht ganz grob um sexuelle Neugier, Orientierungslosigkeit, Hormonschübe, gedankliche Experimentierfreudigkeit, Introvertiertheit, mangelndes Selbstbewusstsein, Probleme beim sich Einfügen wollen in die Gesellschaft mit harschen Abstoßreaktionen, ergo: um relativ „normale“ Teenager-Probleme – zwar überspritzt dargestellt, aber doch relativ normal. Die Story springt aber von einem Thema zum nächsten. Zuerst reißt sich Pauline einen Kerl auf, um endlich ihre verhasste Jungfräulichkeit loszuwerden. Dann nervt sie der beknackte Tanzkurs. Dann ist da noch das Problem mit ihrer lungenkranken Schwester, das Pauline gerne bereinigt hätte. Ein roter Faden wird nicht geboten. Halt spendet also hauptsächlich Hauptcharakter Pauline, der man im Grunde aber ganz gerne bei ihrem frivolen Treiben zusieht.

Der Schalk trifft einen als Genrefreund, sieht man sich an, wer aller auf der Besetzungsliste steht. Hier geben sich die alternativen Größen die Klinke in die Hand. Besonders geil auch, in welche prüden Sittenwächter-Rollen die einstigen Vorzeigefiguren des Mondo-, Porno-, Sex- und Sleazekinos gepfercht wurden:
- Traci Lords (CRY-BABY, BLADE, NEW WAVE HOOKERS), bekannt geworden als die jüngste Pornodarstellerin der USA, mimt die konservative, gutbürgerliche Mutter und Hausfrau,
- Malcolm McDowell (CLOCKWORK ORANGE, Dr. Loomis im HALLOWEEN-Remake) gibt den strengen Lehrer ab,
- John Waters (PINK FLAMINGOS, FEMALE TROUBLE, SERIAL MOM) – ein homosexueller, über alle Maßen kontroverser US-Filmemacher. Er ließ seinerzeit Trashkönigin Divine echte Hundescheiße fressen, Johnny Knoxville zum sexuellen Messias aufsteigen und dagegen kein Haar an der US-amerikanischen Kleinbürgerlichkeit und ihrer Prüderie. Er geizte nie mit Nacktheit und Absurdheiten in seinen Filmen. Hier spielt er einen enthaltsamen, weltfremden Priester.
Daneben geben sich noch Roger Bart (HOSTEL 2, MIDNIGHT MEAT TRAIN) und Ray Wise (Bösewicht in diversen 80er- und 90er-Produktionen) die Ehre. Das Auftreten aller wirkt wie ein überdimensionales Augenzwinkern und lässt den EXCISION als eine Art Hommage an den experimentellen Sleaze der 70er-Jahre erscheinen.

Blickt man bei EXCISION über den inhaltlichen Tellerrand hinweg, erschließt sich ein überaus gelungenes Projekt voller Seitenhiebe, Moralkritik und Normensprengung, dessen Bildgewalt auch ein mächtigerer Trumpf ist als dessen Plot. Der Film ist ein Spiel mit Tabubrüchen, mal plump, meist genial. Trotz unübersehbarer Mängel kommt man aber als Fan von Filmen abseits des Mainstreams nicht drum herum, diesen Schlag in die Fresse der Kleinbürgerlichkeit sympathisch und stellenweise großartig zu finden.

Fazit:
AMERICAN BEAUTY goes „Feuchtgebiete“² – Die Pubertät als Splatterfilm. Der Hormonschub als Psychose. In jedem Teenager steckt ein nekrophiler Justin Bieber.

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