Hinter der harmlos scheinenden Vorstadtidylle verbirgt sich die Hölle in Form einer vierköpfigen Mittelklassefamilie. Phyllis (Traci Lords), die autoritäre, auf Benehmen viel Wert legende Mutter, hat die Hosen an, während ihr lethargischer Mann Bob (Roger Bart, noch gut in Erinnerung als einer der Killer aus Hostel: Part II) zu allem ja und amen sagt, nur um seine liebe Ruhe zu haben. Die achtzehnjährige, nicht besonders attraktive Tochter Pauline (AnnaLynne McCord) scheint der typische, rebellische Teenager zu sein, der seinen Eltern mit diversen Eskapaden das Leben schwer macht und mit Hygiene nicht viel am Hut hat, wohingegen das süße Nesthäkchen Grace (Ariel Winter) an und für sich pflegeleicht wäre, würde sie nicht an einer schweren Lungenkrankheit leiden. Mit der Zeit wird klar, daß hier viel mehr im Argen liegt, als es zunächst den Anschein hat. Vor allem Pauline sorgt für stetig wachsende Beunruhigung, nicht nur aufgrund ihrer absonderlichen Handlungen, sondern auch durch ihr bizarres Innenleben, kongenial visualisiert durch verstörend-fetischisierte, grotesk-blutige Tag-/Alpträume, die sich meist um ihren Traumberuf Chirurgin drehen und einen nekrophilen Einschlag haben.
Spätestens gegen Mitte des Filmes sollte für aufmerksame Zuseher der Zeitpunkt erreicht sein, wo ihnen dämmert, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Und ab da wird es erst so richtig ungemütlich. Denn je länger der (recht kurze) Film dauert, desto unbehaglicher fühlt man sich. Zu wissen, daß bald etwas Gräßliches passieren wird, zu ahnen, was das in etwa sein wird, aber nicht das Geringste dagegen tun zu können und hilflos mitverfolgen zu müssen, wie sich die Situation mehr und mehr zuspitzt, das schmerzt gehörig, zumal einem die Charaktere mit der Zeit - trotz all ihrer beträchtlichen Schwächen - sehr ans Herz wachsen. Das liegt vor allem an den Schauspielern, die es so bravourös wie glaubhaft verstehen, ihren jeweiligen Figuren trotz Überzeichnung Leben einzuhauchen. Das sind keine eindimensionale Abziehbilder, wie man sie in Horrorfilmen viel zu oft antrifft (Excision ist aber auch kein Horrorfilm), sondern Menschen aus Fleisch und Blut, mit denen man so richtig schön mitfiebern und mitleiden kann. Und deshalb geht einem der letzte Schrei auch so dermaßen an die Nieren.
Excision ist durch die Bank, bis in kleinste Nebenrollen, perfekt besetzt, oft mit Schauspielern, die selbst schon für die eine oder andere Kontroverse gesorgt haben (irgendwie passend für diesen nicht ganz unkontroversen Film). Allen voran ist hier natürlich der skandalträchtige Ex-Teenie-Pornostar Traci Lords zu nennen (die übrigens noch nie so gut war wie hier), aber auch John Waters (Pink Flamingos) als Seelsorger, Malcolm McDowell (A Clockwork Orange) als Lehrer und Ray Wise (Twin Peaks) als Schuldirektor brillieren in ihren jeweiligen Rollen. Ebenfalls gelungen ist das Cameo von Marlee Matlin (Children of a Lesser God), die für einen der größten Lacher des Filmes sorgt. Überhaupt ist Excision zum Teil verdammt lustig (Höhepunkte diesbezüglich sind Paulines urkomische, vor Sarkasmus triefende Monologe Richtung Gott, an dessen Existenz sie ja eigentlich gar nicht glaubt!), was die tragischen Momente nur umso effektiver, berührender und schockierender macht.
Die Entdeckung des Filmes ist zweifellos AnnaLynne McCord, die eine unfaßbar ambivalente Vorstellung abliefert. Eine Figur, die solch widersprüchliche Gefühle auslöst, ist mir schon lange nicht mehr untergekommen. Daß Pauline es im Grunde gut meint und verzweifelt um die Liebe und Anerkennung ihrer strengen Mutter kämpft (die an einer Stelle resignierend meint: "It is impossible to love her"), macht das Ergebnis nur noch schrecklicher. Excision, herausragend photographiert von Itay Gross, ist keine leichte Kost und läßt sich auch nicht so ohne weiteres in eine Schublade stecken. Interessanterweise gab es exakt zehn Jahre zuvor einen ähnlich großartigen und nachhaltig beeindruckenden Film, mit dem ihn eine Art Seelenverwandtschaft verbindet, nämlich Lucky McKees May. Hier wie dort steht eine gestörte aber irgendwie doch liebenswerte Antiheldin im Zentrum des Geschehens, die keine (bewußt) bösen Absichten hegt, leider jedoch die falschen Entscheidungen trifft.
Excision, der auf Bates' 2008 entstandenen Kurzfilm gleichen Namens basiert, ist scharf und präzise wie die von einem geübten Chirurgen geführte Klinge eines Skalpells und geht ebenso tief und schmerzhaft unter die Haut. Ein Fixkandidat für meine Top-10-Liste der besten Filme des Jahres 2012. Auf weitere Werke des talentierten Regisseurs darf man sehr gespannt sein.