Review

 An anderer Stelle habe ich, um einen Film schlecht zu machen, "Das Fenster zum Hof" als sehr spannend und interessant, den Bösewicht als geheimnisvoll bezeichnet. Nun war es aber ein paar - um nicht zu sagen: viele - Jahre her, daß ich das Hitchcock-Werk gesehen hatte. Nach neuerlicher Sichtung muß ich allerdings zurückrudern und mitteilen, daß es sich hierbei um einen zähen, mitunter völlig langweiligen Hausfrauen-Krimi handelt.

 Mir ist klar, daß ich ein Sakrileg begehe, aber ich bin nicht sehr religiös, und ob Hitchcock, Kubrick, Tarantino oder wer auch immer, es handelt sich um Regisseure aus Fleisch und Blut, und kein Regisseur hat nur gute oder fantastische Werke abgeliefert. Was der gute Alfred an guten bis sehr guten Werken vollbracht hat, sowie seine Bedeutung für cineastische Technik und Kultur, möchte ich gar nicht Frage stellen. "Das Fenster zum Hof" ist allerdings nicht gelungen. Dabei ist die Idee mit der Behinderung als Grundlage für ein Kammerspiel, in dem der Protagonist in seinen Aktions- und Fluchtmöglichkeiten stark eingeschränkt ist, sehr gut; umgesetzt wurde sie jedoch um ein Vielfaches besser in dem dreizehn Jahre später erschienenen "Warte, bis es dunkel ist".

 Was an Spannung vorhanden ist, wird größtenteils durch die halbromantische, halbkomödiantische Darstellung der ungefestigten Beziehung zwischen James Stewart und Grace Kelly zunichte gemacht. Ihre wenig emanzipierte Rolle als drängende, stets halbbeleidigte Dame, die auf das Ja des Mannes wartet, ist natürlich der Entstehungszeit (und den Hollywood-Standards) geschuldet, lädt aber letztlich nicht zum Mitfühlen ein. Fotograf L. B. Jefferies, halb Macho, halb Trottel, läßt nun erst recht wenig Sym- und Empathie in einem aufkeimen. Ich bin ohnehin kein Fan von James Stewart, doch gerade deswegen muß ich sagen: Diese Rolle ist ihm auf den Leib geschnitten. Nun habe ich irgendwo gelesen, Hitchcock lasse seine Bösewichte gerne mal besser aussehen als den Helden; doch abgesehen von der schauspielerischen Leistung (die hauptsächlich auf seiner düsteren Ausstrahlung basiert), mimt Raymond Burr ja nun nicht gerade den Verbrecher, dem man wünscht, daß er mit seinen Missetaten davonkommt - zu kalt, fies, berechnend, und nicht zuletzt mörderisch verhält er sich dafür.

 Dennoch ist zu bedauern, daß er so wenig Platz in der Geschichte einnimmt. Zuviel Zeit wird für die Darstellung der spannerhaften Neigungen Jefferies', den mäßig lustigen Reaktionen seiner Pflegekraft und, wie gesagt, der Beziehungsgeschichte aufgebracht (wahrhaft humorvolle Spitzen, wie z. B. die Darstellung des jungen Paares von gegenüber, nehmen sich wie ein Tropfen auf dem heißen Stein aus). Zudem kann ich das mancherorts erwähnte (gesellschafts- bzw. zeit-) kritische Moment - genannt werden u. a. Voyeurismus - hier nicht erkennen bzw. halte es für überbewertet; wenn es überhaupt angeschnitten wird, dann nur oberflächlich.

 So wird in den rund 110 Minuten viel Zeit dröge abgesessen (im wahrsten Sinne des Wortes), und weder den aus anderen Hitchcock-Filmen bekannten Humor, noch die viel gerühmte Suspense darf man hier genießen.

 Richtig enttäuschend war dann das Finale, welches ich früher als fingernägelkrallend spannend empfunden habe, das auf mich nun wegen fehlenden Realismus' ("Aaaah, der Blitz, ich bin geblendet und kann mich nicht bewegen") eher lächerlich wirkte, alldieweil man das auch hätte anders lösen können.

 Nun muß ich wohl mal alle Hitchcock-Werke, die mich früher so begeistert haben, einer erneuten Prüfung unterziehen, wobei die Gefahr einiger Entmythologisierungen und Deromantikationen durchaus besteht. Sicher weiß ich nur, daß "Psycho" richtig spannend und "Die dreizehnte Stufe" richtig witzig ist. "Das Fenster zum Hof" ist beides kaum.

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