Ein Film von Alfred Hitchcock (Der unsichtbare Dritte, Die Vögel) ist in keinster Weise gewöhnlich, auch wenn die Story zunächst den Anschein erweckt. Seine Filme strotzen nur so vor Ideen, Anspielungen und Innovationen, jeder andere Regiesseur hätte daraus einen simplen Krimi kreiert. Doch Hitchcock lässt "Das Fenster zum Hof" zu einem Jahrhundertfilm werden, wie viele seiner Werke. Dabei basiert das Ganze auf der Kurzgeschichte "It Had To Be Murder" von Cornell Woolrich, die zum ersten Mal im Jahr 1942 veröffentlicht wurde. Hier begann für Drehbuchautor John Michael Hayes (Über den Dächern von Nizza, Der Mann, der zuviel wusste) eine steile Karriere, denn er lieferte weitere Skripte für Hitchcock Filme. Hauptdarsteller James Stewart (Aus dem Reich der Toten, Der Flug des Phönix" verzichtete sogar auf seine Gage, um nach "Cocktail für eine Leiche" einen weiteren Film mit Meister Hitchcock drehen zu können. Somit darf sich "Das Fenster zum Hof" zu den zeitlosen Filmklassikern gesellen, ein recht passables Remake mit Christopher Reeve in der Hauptrolle folgte im Jahr 1998, auch "Disturbia" darf man als inoffizielles Remake betiteln.
Der erfahrene Fotograf L.B. Jeffries (James Stewart) hat sich bei einem Arbeitsunfall das Bein gebrochen und ist schon seit fast sieben Wochen an den Rollstuhl gefesselt. Noch eine Woche hat er bis der Gips abkommt, solange beschäftigt er sich damit seine umliegenden Nachbarn genau zu beobachten. Dabei fällt sein Interesse besonders auf den Vertreter Lars Thorwald (Raymond Burr), dessen kranke Frau plötzlich spurlos verschwunden ist. Jeffries ist sich ziemlich sicher, dass Thorwald seine Frau ermordet hat. Teile von ihr scheint er in seinem Blumenbeet vergraben zu haben, plötzlich ist auch der Hund der Nachbarn tot, welcher dort immer gebuddelt hat. Jeffries steigert sich immer mehr in die Sache hinein, auch seine Freundin Lisa Carol Fremont (Grace Kelly) steckt er mit seiner Neugierde an. Nur sein Kumpel Detective Thomas Doyle (Wendell Corey) will ihm nicht so recht glauben. Und bald ist sich Jeffries tatsächlich nicht mehr sicher, ob er Thorwald nicht zu Unrecht verdächtigt.
Mit Jeffries haben wir eine Figur, in die man sich sofort hinein versetzen kann. Außerdem waren die Unterhaltungsmöglichkeiten damals sehr beschränkt und so vertreibt sich Jeffries die Zeit, in dem er seine vielseitigen Nachbarn beobachtet. Durch seinen Job als Fotograf ist ihm der Voyeurismus kein Fremdwort und er fühlt sich in keinster Weise schlecht dabei. Doch auf die eigentliche Geschichte mit dem Mord muss man eine Weile warten, denn Hitchcock lässt es sich nicht nehmen dem Zuschauer einen ausgiebigen Blick auf Jeffries Umfeld zu geben. Da tummeln sich neben Thorwald eine sehr freizügig gekleidete Tänzerin, ein Songwriter der gerne Parties in seiner Appartement-Wohnung feiert, ein Ehepaar welches ihren kleinen Hund mit Hilfe eines Körbchens in den Garten hinunter lässt und auch eine einsame Frau die sich zwischendurch sogar das Leben nehmen will gehört zu dem unterschiedlichen Haufen. Obendrein tritt besonders Jeffries leicht angespanntes Verhältnis zu Lisa in den Fordergrund. Eigentlich wäre sie die perfekte Frau, doch aufgrund von Bindungsängsten versucht Jeffries sie sich madig zu machen. Natürlich wartet man als Zuschauer ungeduldig auf den Mord, doch der will nicht kommen. Hitchcock gestaltet die Sache dadurch viel interessanter, dass der Zuschauer nie einen Mord zu Gesicht bekommt. Zwar teilt man Jeffries Neugierde, ist sich aber dennoch nicht sicher, ob tatsächlich etwas passiert ist.
So lässt uns Hitchcock sehr lange im Dunkeln tappen. Liefert Jeffries einen Beweis zum Tod von Thorwalds Frau, so wird dieser gleich wieder mit einem Gegenargument von Doyle abgeschwächt. Doch Jeffries kommt immer wieder mit neuen Theorien und setzt zur Beweissammlung nicht nur Freundin Lisa ein, sondern auch seine Krankenschwester Stella (Thelma Ritter). Vielleicht hätte man sich dabei in einigen Details kürzer fassen können, trotzdem gelingt es Hitchcock die Spannungsschraube anzudrehen. Dies geschieht ohne jegliche Effekthäscherei und man ist sich selbst nach dem Tod des kleinen Hundes noch nicht ganz sicher, dass Thorwald als Mörder abgestempelt wird. Jeffries geht sogar soweit, Thorwald mit Briefen und Anrufen zu verunsichern. Kurz gesagt, er ist im Begriff das Leben eines Menschen völlig ohne Grund zu zerstören, denn es gibt keine eindeutigen Beweise, dass Thorwald wirklich schuldig ist. So steuert "Das Fenster zum Hof" auf einen fast unerträglich spannenden Showdown hinaus, wobei die Auflösung nur mit den nötigsten Worten erfolgt. Der Zuschauer wird hiermit aufgefordert, sich selbst ein paar Gedanken zu dieser Geschichte zu machen. James Stewart liefert hierbei eine glaubwürdige Vorstellung und Kollegin Grace Kelly (Der Schwan, Grünes Feuer) setzte mit ihrem schicken Kleidungsstil Maßstäbe.
Die teilweise sehr humorigen Dialoge beißen sich nicht mit der ernsten Krimi-Thematik. Überhaupt ist Hitchcock hier ein kleines Meisterwerk gelungen, welches aus einer an sich einfachen Story eine richtig komplexe Angelegenheit macht. Mit vielen falschen Fährten wird der Zuschauer verunsichert und im letzten Drittel ist Hochspannung angesagt. Dazu gehören tolle Darsteller, nebst fühlt man sich durch Kulisse und Musik in die 50er Jahre zurückversetzt.