Noch vor seinem allseits bekannten „Psycho“ drehte Alfred Hitchcock mit „Rear Window“ein nicht minder beeindruckendes Werk, das sich wunderbar ins Oeuvre des großen Regisseurs einpasst und noch bis heute sein Publikum ohne Abstriche zu fesseln vermag.
Der durch einen Unfall an den Rollstuhl gefesselte Fotograf L.B. Jefferies vertreibt sich die Zeit damit, die Nachbarn seines Hinterhofs bei ihren Tätigkeiten zu beobachten. Eine verhängnisvolle Beschäftigung, wie sich herausstellen soll, denn eines Tages macht sich sein Nachbar Lars Thorwald des Mordes an seiner Frau Anna verdächtig. Fortan ist Jefferies wie besessen von dem scheinbaren Mordfall und nutzt alle Mittel und Wege, um den vermeintlichen Täter aus der Reserve zu locken.
Alfred Hitchcock erzählt sein „Fenster zum Hof“ über die komplette Spielzeit aus der Perspektive des in seiner Wohnung gefangenen Fotografen Jefferies. Wir sehen nur, was er im Stande ist zu sehen, und wir vernehmen nur, was er vernehmen kann. Das stellt eine Besonderheit in zweierlei Hinsicht dar. Zum einen weckt das Werk durch diese Erzählweise beim Zuschauer gesteigertes Interesse, hebt es sich doch deutlich von den normalen Sehgewohnheiten ab. Doch zum anderen ist es wiederum eine immense Herausforderung, einen Film mit solchen „Beschränkungen“ über die volle Laufzeit interessant und spannend zu halten. Dass es Hitchcock gelungen ist, kann man durch das Zusammenwirken mehrerer Komponenten erklären, die sich gegenseitig -und den Film im Allgemeinen- aufwerten.
Da wäre zum Beispiel die wunderschöne Kameraarbeit, mit welcher der Hinterhof Meter für Meter abgetastet und dem Zuschauer jedes relevante Detail präsentiert wird. Dabei wirken sämtliche Nachbarfenster wie Bildschirme in fremde Welten, die uns mit verschiedenen Einstellungsgrößen – wie zum Beispiel beim Einsatz von Ferngläsern- näher gebracht werden. Doch die Kameraarbeit ist bei weitem nicht das einzige, was dieser Film zu bieten hat. Hinzu kommt ein perfektes Production Design, das in brillantem Technicolor erstrahlt und einen wundervoll, lebendigen Mikrokosmos erschafft. Dieser wirkt zwar künstlich und man erkennt, dass nicht on location, sondern im Studio gedreht wurde, aber genau dieser Punkt trägt nicht gerade unwesentlich zum Charme und zur Atmosphäre des Films bei. Ein letzter Aspekt, der noch genannt werden sollte, sind die ansprechenden und gut ausgearbeiteten Dialoge, die den Film über weite Strecken tragen. Und dazu müssen sie auch fähig sein, denn oftmals sieht man nur das Dreiergespann Jefferies, Lisa und Stella am Fenster stehend über mögliche Motive und Versionen des Mordes schwadronieren. Durchbrochen werden diese ruhigen Szenen durch den gekonnten Einsatz von Spannungsmomenten und Suspense, mit dessen unverkennbarem Meister wir es hier schließlich zu tun haben. Es kräuseln sich schon einmal die Nackenhaare, wenn wir Jefferies Freundin Lisa dabei beobachten, wie sie in das Appartement des vermeintlichen Mörders einsteigt und dieser auch noch zu allem Überfluss just in diesem Moment zurückkehrt. Durch die diversen Fenster der Wohnung lässt sich Lisas Flucht in die Sackgasse genau verfolgen, während Lars Thorwald mit jedem seiner Schritte Lisas’ Entdeckung näher kommt.
Neben der offensichtlichen Mördersuche thematisiert Hitchcocks ’54er „Rear Window“ den Voyeurismus in der Gesellschaft und nimmt so Motive von Michael Powells „Peeping Tom“ (Ausdruck für einen Voyeur) und Hitchcocks eigenem „Psycho“ –beide 1960- vorweg. Jefferies voyeuristische Ader –wenn auch bedingt durch die Langeweile, der er sich ausgesetzt sieht- gibt den Anstoß für den gesamten Film. Hätte sich Jefferies seine neugierigen Blicke aus dem heimischen Fenster verkniffen, wäre er wahrscheinlich nie im Leben dem mordenden Lars Thorwald auf die Schliche gekommen und hätte ihn folgerichtig auch nicht zur Strecke bringen können. Die Frage ist nur: Wie weit darf man in das Privatleben anderer Menschen eindringen? Wo liegen die Grenzen? Jene Fragen kann man sowohl auf den Film selbst, denn Jefferies ist bei weitem nicht der einzige Voyeur, als auch auf das reale Leben übertragen.
„Rear Window“ ist James Stewarts zweite von vier Zusammenarbeiten mit dem Regisseur und anscheinend wusste Hitchcock, warum er des Öfteren auf den smarten Amerikaner zurückgriff (u.a. in „Cocktail für eine Leiche“, „Der Mann, der zuviel wusste“ und „Vertigo“). Wie in den anderen Filmen kann Stewart auch in diesem voll und ganz als besessener Mörderjäger überzeugen und mit seiner Bildschirmpräsenz glänzen. Auch die weibliche Hauptdarstellerin Grace Kelly blieb in Bezug auf Hitchcock kein unbeschriebenes Blatt, denn auf sie griff er ebenfalls drei Mal zurück („Bei Anruf Mord“ und „Über den Dächern von Nizza“). Kelly fungiert, wie oftmals der weibliche Part in Hitchcockfilmen, als kühle Blonde und in diesem speziellen Fall auch als Jefferies Arme und Beine, die die Aufgaben außerhalb seiner Wohnung übernehmen.
Mit „Rear Window“ schuf Alfred Hitchcock ein spannendes und einzigartiges Kammerspiel, das auf kleinstem Raum optimal funktioniert. Die Bewegungseinschränkungen des Protagonisten sind beinahe physisch spürbar und lassen die Blicke der Zuschauer ab und zu unbewusst in Richtung der eigenen Beine schweifen.