„Meine Arbeit fängt da an, wo andere sich vor Entsetzen übergeben.“
Was der NDR während der Weihnachtszeit 2011 ohne jede PR-Arbeit in seinem Nachtprogramm da versteckt hatte, war nicht weniger als die erste Staffel der durch den Grimme-Preis und vor allem großen Publikumszuspruch später zu Ehren gekommenen deutschen Sitcom „Der Tatortreiniger“, die 2018 mit der einunddreißigsten Episode auf ihrem Zenit endete. „Stromberg“-Regisseur Arne Feldhusen, Autorin Mizzi Meyer und Hauptdarsteller Bjarne Mädel (einem breiteren Publikum als Ernie aus „Stromberg“ bekanntgeworden) hatten sich zusammengetan, um die deutsche Comedy-Serien-Landschaft um einen ebenso witzigen wie intelligenten Beitrag zu erweitern.
„Im Gegensatz zu Thomas Mann werde ich ja meistens eher unterschätzt.“
In 31 bis auf wenige Ausnahmen 25- bis 30-minütigen Episoden begleitet das Publikum Heiko „Schotty“ Schotte (Bjarne Mädel) bei seiner Arbeit: Als Angestellter der Hamburger Gebäudereinigungsfirma Lausen verdingt er sich als Tatortreiniger, also als derjenige, der mit reichlich Chemikalien und Putzwerkzeug ausgestattet die Tatorte vom „letzten Dreck“ beseitigt, meint: von Körperflüssigkeiten, fauligem Fleisch und sonstigen Unappetitlichkeiten, nachdem die Polizei den jeweiligen Ort wieder freigegeben hat – auf „Spusi“ (Spurensicherung) folgt „Spube“ (Spurenbeseitigung). Meist trifft er dabei auf Hinterbliebene des oder der Toten, wodurch er tiefergehende Einblicke in deren Umfeld und Leben erhält. Und dabei handelt es sich selten um normale Durchschnittsbürgerinnen oder -bürger wie (von seiner Berufswahl abgesehen) ihn: Schotty lernt eine Prostituierte, einen Schriftsteller, Vertreter(innen) der vermögenden Oberschicht, einen (toten!) Psychiater, eine Veganerin, einen Schamanen, einen Wachkomapatienten und viele weitere ungewöhnliche Zeitgenossinnen und -genossen kennen.
„Alkohol ist keine Lösung! Alkohol ist eine Löse – das ist ein Riesenunterschied!“
Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Die Serie lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Beruf, über den die meisten eigentlich möglichst wenig wissen möchten und über den daher auch den wenigsten etwas bekannt ist, und vermittelt zugleich Perspektiven von Menschen, die die überwiegende Mehrheit für gewöhnlich nicht oder nur unzureichend versteht. Das potenziert sich zu urkomischen, alltagsphilosophischen Dialogen, hitzigen Debatten, skurrilen Situationen und durchaus sensiblen, nicht nur an der Oberfläche schürfenden Betrachtungen anderer Lebensentwürfe. Beinahe müßig zu erwähnen, dass allein schon aufgrund des Sujets der schwarze Humor nicht zu kurz kommt. Die Qualität der häufig als Kammerspiel angelegten Umsetzung lässt Rückschlüsse auf ehrliche Interessen der Autorin an ihren Figuren und dem, was sie verkörpern, zu.
Schotty ist kein hochgebildeter, gleichwohl mehr als nur bauernschlauer, sympathischer Jedermann, an dem sein Beruf das Außergewöhnlichste ist. Er ist kein Arschloch, aber HSV-Fan, er ist kein strahlender Held, verfügt aber über ein gutes Gerechtigkeitsempfinden. Seine Aufgeschlossenheit und Neugierde bilden meist den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit seinem jeweiligen Gegenüber. Bjarne Mädel hat mit dieser Rolle sein „Ernie“-Image aus „Stromberg“ endgültig hinter sich gelassen und sichtlich Spaß an ihr. Mitunter geht’s auch übernatürlich, surreal oder auch – als eine Hommage – kafkaesk zu. Eine Art kleines Crossover mit der „Polizeiruf 110“-Krimiserie feiert die allererste Episode, in der das Rostocker Ermittlungsduo König (Anneke Kim Sarnau) und Bukow (Charly Hübner) einen Gastauftritt hat. Weitere Cameos haben Olli Dittrich als Dittsche und Fußballidol Uwe Seeler.
Auf ihrem Zenit beschloss Autorin Mizzi Meyer, die Serie zu beenden. Für den Schwanengesang hatte man sich mit der Episode „Einunddreißig“ etwas Besonderes einfallen lassen: In Überlänge wird Schotty zu seinem eigenen Ableben gerufen. Erneut beackerte man damit das Feld des Surrealen und ließ zahlreiche Figuren aus vorausgegangenen Episoden von Schotty und der Serie Abschied nehmen. Das Ergebnis fiel vielleicht etwas überambitioniert, vor allem aber traurig aus: Wenn einem eine Figur so sehr ans Herz gewachsen ist, fällt das Loslassen schwer. Ich gebe zu: Eine „normale“ Abschlussepisode wäre mir lieber gewesen. Daran, dass „Der Tatortreiniger“ zur besten fiktionalen TV-Unterhaltung gehört, die dieses endende Jahrzehnt hervorgebracht hat, ändert dies indes nichts. Inhaltlich und technisch (Die Kamera! Die Musik! Und nicht zuletzt: Der messerscharfe Schnitt!) grandios!