Nach einem gritty Copthriller („Narc“), einem überdrehten Tarantino-Style-Ableger („Smokin’ Aces“) und einem campy 80ies-Revival („Das A-Team“) widmet sich Joe Carnahan nun dem Survivalfilm.
Eine raue Melancholie durchzieht bereits das Intro, das unterlegt von markigen Reibeisenstimme John Ottways (Liam Neeson) eine Einführung gibt. Ottway ist wie so viele seiner Kollegen in einem Ölbohrunternehmen ein am Ende der Welt Gestrandeter, der fertig mit selbiger ist. Er beschützt die Arbeiter als Scharfschütze vor Wölfen, doch ist bereits kurz davor die Waffe gegen sich selbst zu richten, wie er in einem Brief an seine Frau schreibt. Diese ist fort, taucht aber immer in Traumsequenzen auf, die eigentlich die einzige Stilisierung des sonst eher grobkörnigere Bilder und Realismus getrimmten Films ausmachen.
Auf dem Heimflug stürzt die Maschine ab, welche Ottway und seine Kollegen transportiert, und dies erweist sich bereits als denkwürdige Sequenz: Entgegen der Konventionen schildert Carnahan den Absturz konsequent aus Ottways Perspektive, keine Außenaufnahmen des zerbrechenden Flugzeuges, stattdessen eine Fülle flüchtiger Eindrücke, Blicke aus dem Fenster auf eine brechende Tragfläche, ein seh-, fühl- und erfahrbares Chaos.
Ottway gehört zu denen, welche den Absturz überleben. Doch er und seine Kumpane müssen feststellen, dass sie im Jagdrevier von Wölfen gelandet sind. Da die Tiere bei der Revierverteidigung besonders angriffslustig sind und keine Scheu kennen, bleibt nur eine strapaziöse Wanderung durch die unwirtliche Wildnis…
Wer auf derbe Wolfsaction und viele Schauwerte hofft (ein Eindruck, den die leider suboptimalen Trailer untermauern), der schaut ähnlich in die Röhre wie die Verfolgungspuristen bei „Drive“. Die Wölfe sind zwar stets präsent, dürfen bei ihren Attacken immer wieder für Schockeffekte und Spannungspassagen (z.B. bei der Verteidigung eines Lagerfeuers, das von Wölfen umzingelt wurde), funktionieren aber eher als Katalysator: Sie zwingen die Gruppe zum Wandern, sie intensivieren zwischenmenschliche Konflikte oder bringen sie erst hervor. Insofern ist es auch kaum erheblich, dass die CGI-Effekte eher in den Bereich solide fallen und nicht mit der (besser budgetierten) Blockbusterkonkurrenz mithalten können.
Dabei bedient sich „The Grey“ durchaus gewisser Tierhorrormaßnahmen und stellt die Wölfe gefährlich dar als sie es normalerweise sind. Gleichzeitig gleitet der Film nichts in Dämonisieren ab, betont mehrfach, dass es die Nähe zur Behausung der Wölfe ist, die diese so aggressiv macht und wenn Ottway zu Beginn des Films einen Wolf erlegt, dann gibt es diesem noch eine Art letztes Geleit, ist geprägt vom Respekt für die Tiere, weshalb „The Grey“ nicht der eindimensionale Hetzfilm ist als den ihn Horden protestierender Tierschützer brandmarken wollten.
Um die Wölfe geht es auch nur bedingt. Wenngleich der Film die Gruppe Überlebender gelegentlich metaphorisch mit dem Wolfsrudel gleichsetzt, gerade wenn Ottway seine Position als Alphatier des Trupps behaupten muss, so widmen sind größere Teile des Films pures male melodrama, lassen die Überlebenden ihre Ängste, ihre Hoffnungen und ihre Schicksale diskutieren. Dank der durch die Bank weg glaubwürdigen Charaktere und der aufmerksamen Inszenierung funktioniert das Zwischenmenschliche des Films – eine der stärksten Szenen ist jene, in der Ottway einem Sterbenden nach dem Absturz das letzte Geleit gibt, keinen Alles-wird-gut-Sermon absondert, sondern diesen mit den Worten „You’re gonna die, but that’s okay“ beruhigt.
So schreitet der Film bis zum unerwarteten Ende voran, das den einen oder anderen Zuschauer vor den Kopf stoßen dürfte, aber wirkt. Der Weg dahin hat gelegentlich den Hauch des Formelhaften, wenn man oft pro Gefahrenquelle genau eine Person verliert, dank des Castings ist aber nicht so einfach zu ersehen wen es wann erwischen wird. Außerdem kann „The Grey“ auch hier immer wieder mit eingängigen Passagen aufwarten – etwa jene, in der die Männer einem Zurückgefallenen helfen wollen, der von Wölfen attackiert wird, aber im Tiefschnee so einsinken, dass die wenigen Meter nur beschwerlich und langsam zurückzulegen sind, während dieser ganz in ihrer Nähe um sein Leben kämpft.
Trotz mehrerer Hauptfiguren ist Liam Neeson der unbestrittene Star des Films, kann mit seinem abgeklärten Sprüchen und dem Nähe schaffenden Off-Kommentar den Zuschauer aber auch erfreulich schnell einnehmen. Neesons Präsenz kann den Film tragen, doch auch der Supportcast überzeugt durch die Bank weg – vor allem Frank Grillo als Querkopf der Truppe und Dallas Roberts als aufmerksame gute Seele wissen zu gefallen.
Kleines Budget, große Wirkung: „The Grey“ ist ein gelungenes Survivaldrama, das vor allem von seinem starken Hauptdarsteller, der Dynamik der Charaktere und Joe Carnahans Inszenierung lebt. Wer nicht nur auf Action aus ist, auch wenn der Trailer anderes suggeriert, der bekommt einen mitreißenden Überlebenskampf geboten.