Wie gewonnen so zerronnen
Aus den 70ern, den 60ern und den 50ern habe ich in den letzten Tagen Filme von Ingmar Bergman gesehen - alle auf einem meisterhaften Niveau. Nun ging’s noch ein paar Jährchen zurück in seine absolute Anfangszeit - wo er mit „Törst“ aka „Durst“ noch nicht ganz auf diesem legendären Level angekommen war. Jedoch schon ganz klar Ansätze und Stilblüten andeutete, die Großes am Horizont erhoffen ließen. Hier lässt er ein kriselndes bis zerrüttetes schwedisches Ehepaar im Zug durch das kaputte Nachkriegsdeutschland (!) fahren und per Rückblenden auf ihre Leben und verflossenen Lieben einige Traumata und Konflikte erklären…
Männer dürfen alles…?
„Durst“ hat wirklich erstaunliche Grundpfeiler und Bergmans Magie sprüht schon hier immer wieder ein paar Funken. Der beengte Zug und das zerbombte Deutschland sind exzellente und sich ergänzende Locations. Die Darsteller machen einen guten Job. Es gibt klare Motive über Männer, Frauen und mögliche Konflikte, Missverständnisse, Brücken beider Geschlechter. Es gibt schwere Themen wie Betrug, Ungleichheit oder Abtreibungen. Die Trümmer draußen repräsentieren das Seelenleben gut. Und die Kameraarbeit ist schon hier messerscharf, egal ob Gesichter, Landschaften, Räume oder Emotionen eingefangen werden. Und allgemein ist der Aufbau auf dem Papier genial samt Wechselwirkung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und doch schafft es Bergman hier noch nicht ganz die Puzzlestücke wirklich nahtlos ineinandergleiten zu lassen. Es kommt immer wieder etwas Verwirrung und Sprunghaftigkeit, Ausgefranstheit und Chaos auf, sodass man als Zuschauer ähnlich wie der hier vielleicht noch etwas überambitionierte Regisseur die Übersicht und Connection zu den Figuren verliert. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau und eher Wunschdenken, da hier deutlich noch mehr drin gewesen wäre und der spätere Bergman hieraus sogar ein Meisterwerk hätte formen können. Doch der Weg zum Zenit und Pantheon ist selbst für absolute Legenden eben nicht immer hürdenlos…
Fazit: Durst auf Beziehung, auf Nachkriegseuropa, auf Frauen, auf eine Legende zu werden… Bergmans „Durst“ lässt einem das Wasser nach mehr im Mund zusammenlaufen. Selbst wenn er hier vor allem inhaltlich und organisatorisch noch lange nicht angekommen war auf seinem gewöhnten, unfassbaren Niveau. Trotzdem ein interessantes Frühwerk mit komplexesten und ambitioniertesten Ansätzen.