Noch einmal Lisbeth Salander - brauchen wir das?
Die Amerikaner, die ja seit jeher ohne Synchronisation auskommen müssen und schwedisch mit Untertiteln durchkämpft haben, brauchen es bestimmt, wenn ein namhafter und gefeierter Regisseur wie David Fincher sich nur gut zwei Jahre nach den schwedischen Originalen an eine englischsprachige Neuverfilmung der weltweiten Bestseller von Stig Larsson macht, aber wo sieht der deutsche Kinobesucher den Sinn, sich die bekannte Geschichte noch einmal anzusehen.
Kann man einem Buch so noch einmal eine neue Seite abgewinnen oder ist amerikanisch für deutsche Sehgewohnheiten vielleicht doch angenehmer. Kaum vorstellbar nach dem monumentalen Erfolg der originalen Millenium-Trilogie.
Doch Fincher ist eine Hausmarke und er hat Pfunde dabei, mit denen man wuchern kann: einmal die ebenso wie Noomi Rapace sich wie wahnwitzig in die Erfolgsrolle "Salander" hineinsteigernde Rooney Mara und dann den angesehenen Bonddarsteller Daniel Craig. Und seine gewohnte grimmige Optik, eine gekonnte Visualisierung des düsteren, abgründigen Romans durch einen videocliperfahrenen und gereiften Künstler.
Wer die Originale kennt, dem bleibt nur eine Möglichkeit: die geliebte Story noch einmal zu durchleben und den unvermeidlichen Vergleich zu ziehen.
Und siehe da, wenn man all die bekannten Parameter abzieht, ist Fincher tatsächlich eine vorlagengetreue Version gelungen, die man sich ohne Anzeichen von Langeweile noch einmal zu Gemüte führen kann.
Nichts Wesentliches an der Story hat der oscargekrönte Autor Seven Zaillian an Larssons Vorlage verändert, gegenüber den schwedischen Filmen höchstens an der Figurengewichtung gedreht.
Die Story blieb die gleiche: der in wirtschaftliche und juristische Bedrängnis geratene Journalist Blomkvist (Craig) wird von dem Großindustriellen Vanger engagiert, um das Verschwinden bzw. den Mord an dessen Nichte von vor 40 Jahren aufzuklären. Als Belohnung dafür bietet er Informationen über Blomkvists Gegner aus einem verlorenen Prozeß, der den Journalisten in eine Falle gelockt hat. Doch der Mordfall hat viele erschwerende Komponenten. Die weitreichenden Familienverhältnisse sind kompliziert, der Fall uralt. In der Familie Vanger gab es mehrere fanatische Unterstützer des Nationalsozialismus und niemand scheint wirklich an der Aufklärung des Falles interessiert zu sein.
Und dann ist da noch die meist als virtuell tätige Ermittlerin tätige Lisbeth Salander, ein scheinbar punkiger Dropout mit eidetischem Gedächtnis, die unter der Vormundschaft des Staates und damit eines gewalttätigen Schänders gerät, sich an diesem rächt und dann trotz ihres angegriffenen psychischen Zustandes und ihrer Menschenscheue mit Blomkvist ein Ermittlerteam bildet, das eine ganze Reihe Morde eines Serienkillers aufdeckt.
Nur Nuancen sind erzählerisch abgeändert worden, das Schicksal der verschwundenen Nichte wurde latent vereinfacht, die vielfältigen Beziehungen Blomkvists vertieft. Das nationalsozialistische Element wurde zur Begleiterscheinung vereinfacht, die Aufklärung des alten Falls anhand von Fotos, Polizeiakten und Zeitungsartikeln visuell beschleunigt.
Stärker wiegt da schon eine Verschiebung der persönlichen Beziehungen der beiden Hauptdarsteller. Zwar landet auch Finchers Protagonistenpärchen irgendwann gemeinsam im Bett, aber die Gewichtung der Rollen hat sich verschoben. Hatte die schwedische Version mit der überaus dominant strahlenden Noomi Rapace ein abgründig schweres Zentrum, das alle anderen Figuren an die Wand spielte, ist bei Fincher ein Patt festzustellen.
Craig ist ein direkterer, agressiverer Blomkvist als Michael Nykvist, der fast schüchtern vorging. Er ist zwar nachdenklich, aber auch sarkastisch und auf die Leute zugehender. Dennoch wurde aus ihm kein Übermensch, so daß seine nach und nach einsetzende Überforderung durch die aufgedeckte Grausamkeit mit der detektivischen Faszination Schritt halten kann.
Gleichzeitig läßt sich Craig nicht von der sehr viel jünger als Rapace wirkenden Mara nicht die Butter vom Brot nehmen, so daß beide Figuren aufblühen können. Die besonderen Fähigkeiten Salanders treten etwas in den Hintergrund, die vor sich hinschwelende Mara scheint sich mehr vor der Welt zu ducken und macht doch gleichzeitig stets den agressiven Buckel, nicht aufzugeben, egal wie groß die Widerstände sein mögen.
Der grauenhafte Nebenhandlungsstrang mit Salanders Vergewaltigung, Demütigung und ihrer noch schrecklicheren Rache blieb erhalten, allerdings versucht Fincher, mit gewissen Zwischenschnitten der zuschlagenden Wirkung etwas von der Härte zu nehmen, die die fast nüchterne Betrachtung der ausweglosen Schändung der schwedischen Fassung auszeichnete. Dennoch bleibt es eine besondere Härte von Szene, wenn Salander erst schmerzhaft und entblößend mißbraucht wird, um sich dann später grausam zu rächen. Allerdings darf Mara auch immer wieder ermittelnd im Hintergrund bleiben, während Craig im Fokus bleibt und Angriffsfläche bieten muß - und so seine erschütterte menschliche Seite zum Vorschein kommt, etwa in einer neuen Szene mit einer geschlachteten Katze.
Offenbar leidet der vielseitige Darsteller dabei schon sehr an seinem ultraharten Bondmythos, denn für die Gefühlsausbrüche wurde Craig am meisten gehänselt, dabei sind dies seine stärksten Szenen, weil sie eben sehr menschlich sind und das Verletzliche zeigen.
Wirklich abgeschwächt hat Zaillians Version jedoch das Finale, in dem Craig dem Killer ausgeliefert ist. Das vorangehende Katz- und Mausspiel ist tatsächlich stärker geraten, doch die eigentliche Folterszene, in der erst die wahre Natur des Frauenhassers und Massenmörders in allen Facetten präsentiert wird, ist überschaubarer und längst nicht so monumental umfänglich geraten. Im Anschluß kehrt das Skript dann jedoch zu einem Finale zurück, daß im Wesentlichen buchstabengetreu der Vorlage folgt, was allerdings bedeutet, daß man eine Art langgezogenes "Herr-der-Ringe"-Finale nach dem eigentlichen Höhepunkt verfolgen muß.
Darstellerisch entsteht so ein Patt, erfreulich nach der Dominanz Rapaces, die allerdings mehr Ausstrahlung als die eher mausgrau uncharismatische Mara hatte, welche jedoch wiederum stärker verfremdet wirkt, durch Aufzug, Tattoos, Piercings und ein dräuendes Gehabe. Rundum gute ergänzende Leistung kommen von etablierten Nebendarstellern wie Stellan Starsgaard und Christopher Plummer, sowie den eingesetzten schwedischen Akteuren. Jemanden wie Goran Visnjic in einer kleinen Nebenrolle zu verschwenden und einen Mimen vom Schlage Julian Sands für einen fast wortlosen Part als den jüngeren Vanger in sepiagefärbten Rückblenden einzusetzen, grenzt schon fast an opulente Verschwendung.
Stilsicher wie immer ist jedoch Fincher grauer, charismatischer Look des düster dreinblickenden schwedischen Hinterlandes, eine Symphonie in Schnee, Eis, Wind und Schatten, eine Studie in bedrohlicher Isolation und Abgeschiedenheit, die die Figuren stetig zu bedrohen scheint. Die gesellschaftlichen Mißstände einer scheinbar durch und durch demokratischen Nation, die sich hinter geschlossenen Türen jedoch Fremden- und Frauenhaß hingibt, fallen hier leider fast unter den Tisch, man muß schon sehr mitdenken, um diese Botschaft überhaupt wahrzunehmen.
Trotz noch ausgebauter Lauflänge gegenüber der schwedischen Kinoversion rollt Finchers Werk jedoch stets flüssig dahin - selbst bei über zweieinhalbstündiger Dauer. Da der Fall verdichtet und beschleunigt aufgeklärt wird, ist der Blick für die Figuren geschärfter, der die sehr komplizierte Story und die noch verwirrenderen Famlienverhältnisse vergessen läßt. Der Interesselevel wird mühelos von den Darstellern hochgehalten und die Optik tut das Ihrige dazu.
So wird jeder Fan selbst entscheiden müssen, welcher Version er den Vortritt gibt. Tatsächlich fehlt Finchers ausgefeiltem Kinolook das Körnige der TV-Film-Vorlage, die jedoch manchmal grimmiger und weniger poliert wirkte. Rapace hat darstellerisch sicher vielerlei Vorteile gegenüber der unerfahrenen Mara, aber daß sie sich gegen die Übermacht mit ihrer Version nicht behaupten könnte, ist nun auch wieder nicht wahr. Craig wertet mit seiner rauhbeinigen Präsenz Finchers Film deutlich auf, allerdings wirkt die schwedische Fassung komplexer und damit lohnenswerter, weil man sich diese erst schwer erarbeiten muß.
Lohnenswert sind aber beide, eine Verwässerung fand nicht statt und so einen derben und verzweifelten, wenn nicht schier hoffnungslosen Film als möglichen Start für eine ganz an Erwachsene gerichtete Filmtrilogie an Weihnachten anzusetzen und damit nicht zu scheitern, muß man Fincher hoch anrechnen.
Hochklassiges Kino, bei dem man dem Publikum nur schlüssig vermitteln muß, daß es nichts ausmacht, daß man das alles schon mal gesehen hat. (8/10)