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„Ich muss doch in die Kirche!“

Mit seinem nach „Das siebente Siegel“ zweiten im Mittelalter spielenden Film „Die Jungfrauenquelle“ bediente sich der populäre schwedische Nachkriegsregisseur Ingmar Bergman („Die Zeit mit Monika“) bei der mittelalterlichen Ballade „Töres dotter i Wänge“, die Ulla Isaksson für das Drehbuch adaptierte. Der im Frühjahr und Sommer 1959 in der Provinz Dalarna gedrehte und 1960 veröffentlichte Schwarzweißfilm schockierte mit seiner Vergewaltigungsszene, erhielt den Oscar für den besten fremdsprachigen Film – und gilt, wenngleich als Drama angelegt, als Proto-Rape-&-Revenge-Genrefilm.

Irgendwann im finsteren Mittelalter will die jungfräuliche Karin (Birgitta Pettersson, „Das Gesicht“) zusammen mit Magd Ingeri (Gunnel Lindblom, „Wilde Erdbeeren“) Kerzen in die Kirche bringen, doch Ingeri weigert sich, durch den dunklen Wald zu reiten. Karin zeigt in ihrer kindlichen Unschuld keinerlei Furcht und macht sich allein weiter auf den Weg, auf dem sie schließlich drei Viehdieben (Axel Düberg, „Frauenträume“, Tor Isedal, „Das siebente Siegel“ und Ove Porath) begegnet, die sie überfallen, vergewaltigen und umbringen. Dass sie anschließend ausgerechnet in Karins Elternhaus Unterkunft suchen, erweist sich als eher semigute Idee…

Bergmans ausgiebige Exposition, in der Karins Eltern (Max von Sydow, „Fräulein Julie“ und Birgitta Valberg, „Das Lächeln einer Sommernacht“) als überaus gottesfürchtige, fromme Menschen dargestellt werden, die ihre Tochter – ihr einziges überlebendes Kind – so sehr umsorgen und verhätscheln, dass es sich in einer heilen Welt voll eitel Sonnenschein wähnt, gerät in ihren tristen Bildern und mit ihrer gestelzten Sprache ein Stück weit zur Geduldsprobe. Karins Eltern verfahren nach einem simplen Schwarzweißschema: Ihr kleiner Engel kann kein Wässerchen trüben, Magd Ingeri hingegen, unverheiratet und trotzdem schwanger, macht alles falsch. Tatsächlich gibt sich Ingeri verrucht, rebellisch und garstig, was einen angenehmen Kontrast zur unerträglich biederen, naiven Einfalt Karins darstellt. Beinahe müßig zu erwähnen, dass Karin blond und Ingeri dunkelhaarig ist.

Diese eindimensionale Figurenzeichnung und das altertümliche Ambiente verleihen der Film etwas Märchenhaftes; ein Eindruck, der sich verstärkt, wenn nach einer halben Stunde das mörderische Trio auf der Bildfläche erscheint: Als sei es der böse Wolf und Karin das Rotkäppchen umgarnt der Älteste der drei das Mädchen und überredet es zum gemeinsamen Picknick. Während sich der Maultrommelspieler sehr gut auszudrücken versteht, wurde dessen Bruder einst die Zunge herausgeschnitten. Der Dritte im Bunde ist ein präpubertäres Kind. Karin geriert sich ihnen gegenüber wie eine Königstochter, was dem Treiben weitere märchenhafte Züge verleiht. Als sie realisiert, dass es sich um Viehdiebe handelt, eskaliert die Situation und sie wird vergewaltigt, heimlich beobachtet von Ingeri (die Karin tatsächlich nichts Gutes wünschte). Der stumme Bruder erschlägt Karin schließlich, die noch einmal kurz den Kopf aufrichtet, als wolle sie fragen: „Warum?“

Der konsequenten alttestamentarischen Rache des Vaters gehen Suspense-Sequenzen der langsamen gegenseitigen Bewusstwerdung, mit wem man es jeweils zu tun hat, voraus. Im Epilog sprudelt schließlich die Jungfrauenquelle und eine Kirche soll erbaut werden, was alle noch Lebenden von Leid und Sünde befreit. Das ist derart ungebrochen klerikal-pathetisch aufgeladen, dass man davon ausgehen muss, Bergman habe das ernstgemeint. Wer glaubte, es würde etwas tiefgründiger, eventuell verquickt mit Kritik an übertriebener Frömmigkeit oder Sexualfeindlichkeit, sieht sich getäuscht. Innerhalb seines religiösen Sujets geht alles auf, ergibt alles einen Sinn, wird nichts mehr infrage gestellt. Auch diese Reduktion sollte, wenn auch in abgewandelter Weise, zum festen Bestandteil des Rape-&-Revenge-Films werden.

„Die Jungfrauenquelle“ ist mit seinen unwirtlichen Bildern, seiner beklemmenden, fast schon klaustrophobischen Stimmung und seinem profanen Rollenensemble einerseits sehr spröde, bildet andererseits immer wieder seine märchenhaften Kontraste, inszeniert die Schönheit der Natur und die heile Welt der Unschuld, die erst durch – harsch audiovisuell umgesetzte – Übergriffe von außen zerstört wird. Davon geht die nicht ungefähre Faszination einer an ihren Polen übersteuerten, ein Zerrbild der Realität liefernden Parallelwelt aus, in der schwarzes Haar noch Pech und Schwefel bedeuten, Kerzen in die Kirche wie Eulen nach Athen getragen werden, die Vagabunden zu nichts nutze und böse sind und die sämtliche irdischen Genüsse entsagenden, hart arbeitenden Bauern es zu bescheidendem Wohlstand bringen, ihre Töchter aber am besten wegschlössen. Den Film mit der Vorstellung im Hinterkopf zu rezipieren, er spiele auf dem schwedischen Lande des Jahres 1959, führt zu einem besonders grotesken Seherlebnis.

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