Review

Die Filme Ingmar Bergmans wurden in Deutschland für eine ganze Weile ignoriert, bis im Jahre 1960 auf einmal ein Drama mit dem Titel "Die Jungfrauenquelle" für Furore sorgte. Vor allem eine Vergewaltigungsszene führte dazu, dass der Streifen schnell als Skandalfilm angesehen wurde. Und urplötzlich wollte jeder ihn sehen!

Schweden im 14. Jahrhundert- Die hübsche Karin (Birgitta Pettersson) ist der ganze Stolz ihres Vaters Töre (Max von Sydow) und ihrer Mutter Märeta (Birgitta Valberg). Töre ist ein Gutsbesitzer und im Grunde ein recht frommer, gutmütiger Mensch, auch wenn er die Strenggläubigkeit seiner Frau, die sich für Gott auch schon mal Schmerzen zufügt, nicht teilen kann. Märeta macht Töre Vorwürfe, dass er zu nachsichtig mit Karin umgeht, die im Gegensatz zu ihrer Mutter ein recht sorgloses Leben führt. Töre beschließt daraufhin, seine Tochter zur Kirche reiten zu lassen, wohin sie die Marienkerzen für die heilige Mutter Gottes bringen soll. Ein Brauch, der nur von einer Jungfrau ausgeführt werden darf. Obwohl diese Prozedur eigentlich am frühen Morgen stattfinden soll, Karin nach einer durchtanzten Nacht aber bis zum Mittag geschlafen hat, schickt Töre sie trotzdem los. An ihrer Seite, die schwangere Ingeri (Gunnel Lindblom), Karins Adoptivschwester, die jedoch böse Gedanken gegen das Mädchen hat, welches alle Welt mit seinem Liebreiz um den Finger zu wickeln scheint. Auf dem Weg zur Kirche sind die Mädchen gezwungen, durch einen dichten Wald zu reiten. Es kommt zu einer grausamen Tragödie, die das Leben aller Beteiligten für immer verändern wird...

Die Leser dieses Reviews werden sicher schon gemerkt haben, dass ich versucht habe, möglichst wenig über den Inhalt dieses bedrückenden Dramas zu verraten. Denn leider scheint es bei diesem Film mittlerweile selbstverständlich zu sein, die gesamte Plotstruktur offen darzulegen. Aber "Die Jungfrauenquelle" wirkt nun einmal am Besten, je weniger man über die Handlung weiss.Kennt man den Inhalt nämlich im Groben schon, gibt es von der Geschichte her eigentlich kaum noch Überraschungen.
Wieder einmal ist Ingmar Bergman eine Vorreiterrolle zuzusprechen. Mit seinen bisherigen Filmen hat der Schwede schon Maßstäbe gesetzt, doch mit "Die Jungfrauenquelle" geht er noch darüber hinaus. Im gleichen Jahr entstanden wie Alfred Hitchcocks Meisterwerk "Psycho", gibt es auch in Bergmans Film Gewaltdarstellungen, die es so vorher nicht zu sehen gab. Weiterhin haben beide Filme natürlich auch inhaltlich Schranken niedergerissen, wenngleich sie inszenatorisch nicht wirklich miteinander zu vergleichen sind. Von der Geschichte her allerdings schon, kann man doch bei beiden Streifen Einflüsse des Märchens "Rotkäppchen und der böse Wolf" finden.
Dabei geht Bergman noch recht subtil vor. Er drückt sich nicht vor den Gewaltmomenten, die sich alle aus der Handlungsabfolge ergeben und zu keinem Zeitpunkt selbstzweckhaft sind, aber er schlachtet sie auch nicht aus (ganz im Gegensatz zu Wes Craven und dessen losem Remake "Das letzte Haus links"). Im Gegensatz zu früheren Filmen fehlt hier jeglicher Humor. Stattdessen gibt sich die Inszenierung recht distanziert, während das Drehbuch mit eher unzugänglichen Charakteren aufwartet. Die Darsteller liefern- wie so oft in Bergmanfilmen- gute bis eindrucksvolle Leistungen. Hier können vor allem Max von Sydow als verzweifelter Vater und Gunnel Lindblom als unglückliche Intrigantin ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Die Kamera wartet zudem mit formvollendeten Naturaufnahmen auf, die im krassen Gegensatz zu der deprimierenden Geschichte stehen.
Was "Die Jungfrauenquelle", im Vergleich zu anderen Bergmanfilmen, etwas schwächeln lässt, sind die religiösen Aspekte, die vor allem gegen Ende reichlich aufgesetzt wirken. Bergman versucht hier Hoffnung zu säen, wo es eigentlich keine geben kann. Da wäre ein düsterer, aber dafür realistischer Abschluss mit Sicherheit stimmiger gewesen.

Dennoch handelt es sich hier um einen sehenswerten Film, der zwar nicht das Meisterwerk ist, das alle Welt aus ihm macht, aber dafür ein überraschend sperriger und durchaus verstörender Genrebeitrag, der märchenhafte Elemente mit denen der griechischen Tragödie mischt.
7/10 Punkten

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