Review

In den typischen amerikanischen Filmen läuft es doch immer gern nach einem bekannten Schema ab: die Hauptfigur befindet sich in einer bestimmten Situation und fühlt sich bemüßigt, seine Lage mittels verschiedener Maßnahmen zu verändern. Das muß dann zum Zwecke der Unterhaltung zu vielen dramatischen oder lustigen Situationen führen, die schlußendlich in einem lebensverändernden Umdenkprozeß enden. Und dann kann es ja nur noch glücklich bergauf gehen.

"Young Adult", Jason Reitmans Gegenentwurf zu seinem eher lebensbejahendem Teenager-Babydrama "Juno", fängt zwar genauso an, führt dann jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die Turbulenzen, die der üblichen Schnapsidee der Protagonistin entspringen, sind in der Folge nicht lustig, sondern eher bitter und das Fazit ähnelt mehr der Vorstellung einem unausweichlichen Zugunglück in Zeitlupe beiwohnen zu dürfen.
Kann so ein Film einen wirklichen Nährwert haben, ohne zu deprimieren?
Er kann!

Charlize Theron spielt Mavis Gary, die einstmals in ihrer verhaßten Heimatkleinstadt in Minnesota so eine Art Ballkönigin war. Blond, schön, hungrig und stets das Ziel vor Augen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Das hatte zur Folge, aus dem Kleinstadtmief auszubrechen, was sie als eine von wenigen geschafft hat. Ihr Weg hat sie in die Großstadt geführt, auch wenn es nicht New York, sondern Minneapolis wurde - oder Mini-Apple, wie es im Film stets zweideutig genannt wird, das große Ziel ist gleichzeitig nur halb so groß, wenn man die Möglichkeiten an sich bedenkt.
Inzwischen ist sie erfolgreich geworden, als Ghostwriterin einer Serie von High-School-Romanen, die in der Sparte "Young Adult" verkauft werden, also für die Zielgruppe Teenager und Twens gedacht ist. Aber auch dieser Erfolg gehört ihr nicht allein, sie führt die Serie nun mit kleiner Autorennennung im Innenteil für die ursprüngliche Autorin weiter. Und auch sonst ist das Leben in der Großstadt zu der 37jährigen nicht so gewesen, wie man angesichts ihres "Aufstiegs" hätte erwarten können. Sie ist immer noch Single, lebt in einer leicht verlebten Hochhauswohnung, hat einen dieser typischen Sex-in-the-City-Hündchen namens Dulce, ernährt sich von Junkfood, Fertiggerichten und Literflaschen Coke Light und ist schlußendlich ein Opfer von Dutzenden Affären, die zwar in ihrem Bett landen, aber ihr Leben nicht reicher machen. Dann Mavis ist letztendlich etwas oberflächlich, mäßig gebildet und unzufrieden. "Ja, wir haben echt Glück gehabt, da raus zu sein!", sagt ihr eine ihrer Freundinnen, als sie ihr die Babyglückwunschkarte ihrer alten Highschoolliebe zeigt, doch der Tonfall klingt eher so, als wären sie alle ein Stückchen näher am Suizid als zuvor.

Besagte Karte ist auch der Auslöser für eine spontane Lebenskrise; die Texteinladung, mit dem glücklichen Elternpaar zu feiern, treibt Mavis in der Folge ungewollt so lange um, bis sie eines Morgens ihre Sachen packt (der letzte Galan liegt noch im Bett) und mit Hund und Koffer in ihrem kleinen Mini aufbricht, die alte Heimat heimzusuchen. Unbewußt entwickelt sie eine gewisse Besessenheit einer ganz speziellen Idee: ihr alter Schwarm Buddy Slade wird auch ihr neuer werden, sie muß nur dessen Widerstand brechen, indem sie ihm klarmacht, welche Fehlentscheidung die Hochzeit war, wie öde Babys sind und wieviel besser er es doch mit ihr hätte.

Was folgt, ist ein Road Trip der besonderen, der bitteren Art und er strahlt eine Faszination aus, die geradezu sensationell ist. Ohne links und rechts zu schauen, mietet sie sich mit der Dreistigkeit des vermeintlich im Recht Befindlichen und Erfolgreichen im Hotel ein und sucht den Kontakt zum glücklichen Paar. Sie ignoriert alle Widerstände, alle Einwände, alle Mahnungen. Letztere erfolgen hauptsächlich von ihrem Gegenentwurf aus High School-Zeiten, der Zufallswiederbekanntschaft Matt (ein in Sensationsform befindlicher Patton Oswalt), der alles ist, was sie nicht ist - er ist dicklich, ein versehentlich Haßverbrechen ließ ihn zum Krüppel werden, er hat kaum Freunde und lebt mit seiner Schwester zusammen, destilliert in der Garage Whisky und bastelt an Superheldenfiguren herum.
Matt ist nicht weiter als sie, ruht sich in seiner Leidensrolle als Stadtkrüppel aus - für die er sogar in dem kleinen Nest noch Konkurrenz bekommt, wie sich in einer irrwitzigen Barszene zeigt - und nimmt seine Situation als Entschuldigung, den entscheidenden Schritt nie gewagt zu haben. Demzufolge fühlt sich Mavis ihm überlegen, was aber ein bedeutender Irrtum ist, denn schon das alkoholische Fassungsvermögen der beiden beweist, wie nah sie sich in ihren Lebensentwürfen doch gekommen sind. Und daß Mavis geradezu elchartige Mengen schlucken kann, geht auch an ihr nicht vorbei, wenn sie jeden Morgen kopfüber in ihrem Bett wieder zu Bewußtsein kommt.

"Young Adult" ist ein bizarrer, ein mitreißender Film, der nicht dahingehend angelegt wurde, sich der Hauptfigur überlegen zu fühlen. Stattdessen gewinnt der Figurenentwurf mit zunehmender Filmdauer immer mehr Facetten dazu - und die sind um so unterhaltsamer, je tragischer sie werden. Das Skript von Diablo Cody (die ja auch "Juno" schrieb) erklärt nichts und diskutiert sich nicht tot, das Wesentlich transportieren die Bilder, die kleinen Vignetten, die Ausstattung, die winzigen Handlungen und Gewohnheiten der Figuren, die mehr über sie verraten als ihr Verhalten. Das ist nämlich zutiefst irrational und daher so emotionalisierend.
Allein dreimal läßt sich Mavis in diesem Film vor Ort umstylen, stets um in einer neuen Variante ihre Femme-Fatale-Falle aufzustellen: einmal als der alte Kumpel bei einem Drink, dann bei einem Konzert einer unsäglichen Mütterrockband (am Schlagzeug Buddy's Frau persönlich), die auch noch "Nipple Confusion" heißt und dann schlußendlich bei der Namensparty für das Kind. Neue Frisur, neuer Look, neue Klamotten, Mavis fährt alles auf und ihre tunnelblickartige Hartnäckigkeit ist geradezu berauschend, während sie nebenbei säuft und am nächsten Buch schreibt, für das ihr zunehmend die Ideen ausgehen, weswegen sie sich Einfälle von Jugendlichen in Fast Food-Restaurants borgt, die kaum noch peinlicher sein könnten.

Daß sie selbst gescheitert ist, merkt der Zuschauer so noch viel eher als Mavis selbst, wie sehr sie gescheitert ist, wird fast beiläufig mitgeliefert und Theorn liefert eine awardwürdig Vorstellung ab als angeschlagenes Biest, das allmorgentlich an der Zwei-Liter-Pulle Coke nuckelt, mit den Augen rollt oder sich in den stillen Momenten selbst die blonden Haare ausrupft. Just als sie zur Bestätigung ihren Ruhm feiern will, erfährt sie von einem Angestellten eines Buchladens, das ihre Serie am Ende ist, weil sie sich nicht mehr verkauft, etwas, was sich in ignorierten Telefonaten schon angedeutet hatte. Dennoch besteht sie darauf, die Bücher im Laden zu signieren, was der Angestellte aber ablehnt, dann könne man sie nicht mehr zurücksenden.

Trotz allem bleibt der Film dabei immer ambivalent genug, um nicht in Schwarz/Weiß-Zeichnung zu zerfallen. Bei aller Ignoranz ist etwas Liebeswertes an der einsamen Frau, spürt man die Isolation des "Erfolgs". Denn daheim in der Kleinstadt gilt sie als Promi, wird bewundert und auch ein bißchen mißtrauisch beäugt, wobei Mavis selbst keine Gelegenheit ausläßt, über das Landleben herzuziehen. Doch niemand scheint dort in der Kleinstadt auch wirklich glücklich zu sein, die üblichen Fastfood-Restaurants sind eine Sensation, die Gespräche über das glückliche Familienleben enden auch nach ein paar Sätzen, Matts Schwester schließlich bringt es im Finale auf den Punkt: die alte Heimat ist scheiße und Mavis hat es doch geschafft. Was ihr die Gescheiterte dummerweise glaubt.

Was bleibt, sind jede Menge Lebenslügen und einige Enthüllungen, die beide Seiten in dieser Form nicht erwartet hätten - in einer der wohl unangenehmsten Schlafzimmerszenen der jüngeren Filmgeschichte, nähern sich zwei Figuren schließlich der Wahrheit größtmöglichst an, um dann wieder auseinander zu gehen. Dabei schafft es Reitmans nüchterne, leicht distanzierte und doch sehr lakonische Regie, immer ganz hart an der Fremdschämgrenze entlang zu schrammen, diese aber über die volle Länge nicht zu überschreiten.
Ob am Ende jemand der Beteiligten etwas gelernt hat, bleibt offen und ist eher pessimistisch zu sehen, der finale Blick von Mavis könnte sowohl Hoffnung implizieren wie ihren Zustand zu definieren: ein Wrack, eingedellt, häßlich, aber noch fahrtüchtig. Die Lektion daraus nimmt jeder Zuschauer mit nach Hause.

Mit Sicherheit ist Reitmans Film kein Werk für glückliche Paare und Familien, aber er ist eine präzise Charakterstudie über Menschen, die notgedrungen weder gut nach vorn noch nach hinten blicken können und sich mangels Alternativen blind in eine Richtung stürzen. "Young Adult" macht damit nicht glücklich, bietet keine Lebenshilfe und schenkt keine Erleuchtung, denn das was uns rettet, das müssen wir erst finden. Und in der Vergangenheit liegt es offenbar nicht. (9/10)

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