1989 „Kinjite: Forbidden Subjects" oder „Rache auf Abwegen"
Nach gefühlt 100 Einsätzen als selbst ernannter Richter und Henker war Bronsons Ruf anno 1989 natürlich zementiert. Da kann man schon mal übersehen, dass sein vorletzter reinrassiger Vigilanten-Auftritt ein wenig mehr zu bieten hat als das übliche Rächer-Einerlei. „Kinjite" wartet mit ein paar doppelten Böden auf, die hübsch versteckt unter der formelhaften Oberfläche lauern. An der geht es um einen schmierigen Zuhälter, der junge Mädchen erst gefügig macht, um sie dann seinem finanzkräftigen Kundenstamm anzubieten. Die Polizei steht dem menschenverachtenden Treiben einigermaßen hilflos gegenüber, was den frustrierten Lieutenant Crowe (Bronson) schließlich zu radikalen Mitteln greifen lässt.
Regie führte wieder einmal Bronsons alter Weggefährte J. Lee Thompson. Zum neunten (und letzten) Mal inszenierte er Bronson als toughen Einzelgänger, ein weiterer Grund um hier lediglich Business as usual zu erwarten. Aber schon der Auftakt streut erste Zweifel. In einer schmierigen Softporno-Exposition greift Crowe zum Dildo und malträtiert einen uneinsichtigen, renitenten Freier. Anschließend zeigt er sich angewidert von Tat und Job. Diese Ambivalenz zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Handlungsstränge und ist nicht gerade genretypisch. Vor allem das Protagonistentrio ist für ein solch klassisches B-Szenario erstaunlich mehrdimensional.
Da wäre zunächst Polizist Crowe. Zu Hause bei Frau und Tochter gibt er den liebevollen Biedermann, auf Streife mutiert er regelmäßig zum tollwütigen Rächer. Diese Ausbrüche gipfeln in der Szene, als er Duke zwingt die diamantbesetzte Uhr runterschlucken, mit der dieser vorher geprahlt hatte. Anschließend verbrennt er fast in seinem von Crowe unvermittelt angezündeten Wagen. Diese eruptiven Gewaltausbrüche wirken ob ihrer zynischen Brutalität eher abstoßend denn unterhaltend und machen Crowe keinesfalls zu einem Sympathieträger.
Duke wiederum ist ein eiskalter Gangster, dessen Repertoire von Kidnapping über Vergewaltigung bis hin zu Mord reicht. Seine minderjährigen Opfer macht er sexuell gefügig und anschließend drogenabhängig. Hat er sie erst einmal unter Kontrolle gebracht, behandelt er sie allerdings auffallend zuvorkommend und zeigt sich ausnehmend generös. Das funktioniert so gut, dass Crowe Schwierigkeiten hat, eines seiner ehemaligen Opfer zur Kooperation zu bewegen.
Auch der Dritte im Bunde lässt sich nicht so leicht in ein vorgefertigtes Schema pressen. Der japanische Geschäftsmann Hada kann seine sexuellen Phantasien im prüden Heim nicht ausleben und ist außerehelichen Abenteuern aller Art nicht abgeneigt. Als Symbol für den triebgeilen Asiaten und damit als billiges Feindbild taugt er aber nur sehr oberflächlich betrachtet. Zum einen steht dem Crowes befremdlich militante Prüderie gegenüber, zum anderen werden die übrigen Japaner des Films deutlich gemäßigter gezeichnet.
Thompson lässt sich auffallend viel Zeit, seine drei Antihelden vorzustellen und ihre Handlungsfäden zusammen zu führen. Vor allem die Japan-Episode um Hada wird recht breit ausgewalzt inklusive realer Tokio-Szenen. Für einen reißerischen Actionthriller, zumal nach heutigen Maßstäben, ist das sehr gemächlich, mindestens aber gewagt. Im Gesamtkontext funktioniert dieses entschleunigte Vorgehen aber erstaunlich gut. Zwar ist „Kintje" ganz sicher weder ambitioniertes Charakterdrama noch bietet es profunde Gesellschaftskritik, dafür dringt der B-Odem viel zu sehr aus allen Poren. Dennoch werden Themen wie sexuelle Abgründe oder die amerikanische Phobie vor einer japanischen Invasion nicht einfach nur angerissen, sondern teils provokant, teils kontrovers untergemischt. „Forbidden Subjects" eben.
Diese für das Genre erstaunliche Ambivalenz zeigt sich auch in Thompsons Inszenierung. Die durchgängige „Sleaziness" trifft auf eine für das Duo Bronson/Thompson recht untypische Hochglanzoptik, was die Diskrepanz zwischen Sein und Schein nun auch tonal sehr schön auf den Punkt bringt. Natürlich kommt der gemeine Bronson-Fan auch so auf seine Kosten, soll heißen bei etwaiger Unlust oder Unfähigkeit zur Dekodierung. Wie gewohnt beherrscht Bronson mühelos jede seine Szenen, hält die ganze Chose mit bloßer Präsenz zusammen und langt mitunter kräftig hin. Kurz: so agiert ein echter Filmstar.
Vor allem im actionreichen Finale ist der dann voll in seinem Element, bzw. in jenem, in dem ihn seine Anhänger sehen wollen. Obwohl „Kintje" hier die gängigen Genugtuungsphantasien bedient, werden nicht alle Taten des Films gesühnt. Während Duke für seine Sünden bitter büßen muss, zumal Crowe durchaus auch sadistische Neigungen zeigt, verläuft das Zusammentreffen mit Hada überraschend antiklimatisch. Als er sich bei dem Polizisten für die Rettung seiner Tochter bedankt, erkennt Crowes Tochter in Hada den Mann, der sie im Bus sexuell belästigt hatte. Kurz scheint es so, als wolle sie Hada bloß stellen. Aber es bleibt bei einem wissenden Blickkontakt - und Crowes Rache bleibt aus. Ein konsequentes Ende eines Films, der sich immer wieder mit kleinen Schlenkern der Erwartungshaltung an Genre und Hauptdarsteller entzieht. Vielleicht nicht Bronsons bester Vigilantenbeitrag, aber sicher sein interessantester.