Die meisten Regisseure versuchen sich ihren Ruhm durch das Abdrehen bekannter oder bestimmter Stoffe und dem Einbau von zuschauerfreundlichen Elementen zu verdienen. Hier jedoch haben wir es mit Lars von Trier, mit einem Exemplar der Regisseurriege zu tun, das sich in diesem Film einmal nicht an Zuschauerbedürfnissen orientiert, sondern in absolut innovativer und anspruchsvoller Weise einen Film hervorbringt, den man trotz seiner eher an ein Theaterstück erinnernden Weise, getrost als Meisterwerk des Kinofilms betrachten kann.
Lars von Trier schildert seine Geschichte in einem Prolog plus neun Akten, die sich zusammen über fast drei Stunden hinziehen. Schauplatz der Handlung ist das winzig kleine Städtchen Dogville, das abgelegen in den Rocky Mountains liegt. Eine handvoll recht normaler Leute bewohnt die Stadt. Einer von ihnen ist der Schriftsteller Tom, der eines Tages die Bekanntschaft mit der mysteriösen Grace macht, die sich auf der Flucht vor Kriminellen befindet. Tom ist sofort angetan von der schönen Frau und kann die Bewohner überzeugen ihr Zuflucht und Schutz zu bieten. Die junge Frau schafft es trotz anfänglicher Schwierigkeiten sich in die kleine Gemeinde zu integrieren. Als jedoch eines Tages ein Steckbrief mit einem Kopfgeld für die Frau auftaucht, kippt die Stimmung langsam und die Bewohner beginnen Grace missliche Lage auszunutzen und ihr Qualen und Peinigungen aufzuerlegen von denen sie nie geträumt hätte. Doch Grace Vergangenheit wird den Bewohnern von Dogville noch eine böse Überraschung bereiten.
Die Geschichte die Lars von Trier erzählt wirkt zwar zu Beginn des Films nicht besonders aufregend und man kann sich noch nicht so recht vorstellen, wohin der Film hinauslaufen soll. Doch wenn man sich darauf einlässt und der Geschichte folgt ergibt sich ein aufwühlendes Psychogramm einer Kleinstadt, das einen innerlich aufwühlt und zeigt das das abgrundtief Schlechte oft nicht da lauert wo man es erwartet, wie in den verdorbenen Großstadtsümpfen, sondern dort wo man eigentlich ein idyllisches Leben erwartet und auch sieht. Wird diese Fassade jedoch durchbrochen ergibt sich ein Bild von dem nie jemand zu träumen gewagt hätte, das von Trier aber in schonungsloser Weise aufzeigt. Besonders gelungen ist ihm dabei die Darstellung des Dorfbewohners Tom, der sich zunächst als verständnisvoller und guter Mensch Grace offenbart und mit seinen Moralvorstellungen selbst die Bewohner durchschaut und verurteilt. Jedoch wandelt sich Tom's Bild während des Films langsam aber sicher und sein wahrer Charakter kehrt sich hervor, der sich in kaum einer Weise von dem seiner Mitbürger unterscheidet, nein, deren Verdorbenheit er nahezu noch übertrumpft.
Neben der gelungenen Story und Charakterdarstellung sorgt Lars von Trier für eine eigenwillige Darstellungsform, die sich am Brechtschen Theaterkonzept orientiert, indem er die gesamte Geschichte nur auf einer Bühne ablaufen lässt und nur nötigste Kulissen einbaut. Der Rest wird einzig durch Bodenbemalungen dargestellt, durch die die Umrisse von Wegen und Häusern erkennbar sind. Dies sorgt auch dafür das die Darstellerleistungen umso höher zu bewerten sind, da sie sich durch die Szenen kämpfen müssen ohne sich in einer geeigneten Umgebung zu befinden. Es wirkt dann auch auf den Zuschauer manchmal etwas merkwürdig wenn die Figuren unsichtbare Türen behutsam öffnen oder nur auf den Boden gemalte Sträucher pflegen. Darüberhinaus sorgen die fehlenden Kulissen für eine höhere Konzentration auf die überzeugenden Darsteller, die ihre Figuren absolut grandios verkörpern. Besonders hervorzuheben ist Nicole Kidman als Grace, die wahrscheinlich eine der besten Leistungen ihrer Karriere abliefert und es schafft dem Zuschauer Anteilnahme am Schicksal ihrer Figur abzuringen.
Insgesamt kann man Dogville als grandioses Meisterwerk bezeichnen, das jedoch nur bei den Leuten Zugang finden wird, die sich aufgeschlossen auch anderen Darstellungsformen des Kinos zuwenden können und nicht nur das actionbelastete Popcornkino an sich heranlassen. In dieser Hinsicht bietet Lars von Trier ein resolute Alternative, die sich auch als kritischen Gegenpol zu derartigem Kino verstehen lässt.