Review

Es gibt kaum ein bedrückenderes Szenario als den Pakt den die 15-jährige Adele mit dem Ausbrecher Timo eingeht. Sie hilft ihm auf der Flucht und sie wünscht sich von ihm als Gegenleistung "von einem Abhang gestoßen" zu werden. Sie will es so und nur so. Alleine diese Ausgangssituation von TÖTE MICH sorgt schon für genügend Verstörung beim Zuschauer. Von Anfang an schnürt es einem die Kehle zu wie konsequent die Heranwachsende ihr Ende herbeisehnt. Nachvollziehen kann man es vielleicht ein wenig in den Anfangsequenzen, der autoritären Familie, der Hoffnungslosigkeit und des Fehlens von jeglicher Liebe in ihrem Umfeld. TÖTE MICH spannt daraus ein sehr minimalistisches Drama als ein Zweipersonenstück, welches den Weg des suizidalen Mädchens und des Verbrechers aufzeigt.

Und so beginnt TÖTE MICH auch mit einer atmosphärischen Einstellung von Adele am Felsen. Selbst springen kann sie jedoch nicht wie sie gegenüber Timo betont, der sich zufällig nach seinem Ausbruch sich in das Haus von Adele und ihrer Familie verirrt hatte. So schmieden sie ein fatales Bündnis und befinden sich nach einer gewissen Zeit beide in Abhängigkeit voneinander, in einer handlungsseitigen und psychologischen Zwickmühle. Aber anfänglich herrscht verständlicherweise großes Misstrauen und nur langsam können sich die Protagonisten annähern. Aber es bleibt stets der markerschütternde Satz von Adele im Raum stehen: "Ich helfe dir nur, wenn du mich dafür umbringst".

Weitere Ausführung erspare ich mir aus Spoilergründen, aber aus meiner Sicht lohnt sich das 90-minütige Abtauchen in diese ungewöhnliche Geschichte. TÖTE MICH ist bei weitem nicht perfekt in diversen Aspekten. Motive und Geschichte beider Darsteller werden nicht ausreichend gewürdigt. Der schiere Minimalismus in der Umsetzung kombiniert mit der erzählerischen und verzwickten Vielschichtigkeit ist eine kaum zu bewältigende Last die auf TÖTE MICH liegt. Auch sind diverse Handlungen und sind in jedem Sinne nachvollziehbar, logisch oder vollends glaubwürdig gestaltet. Der Film nimmt meines Erachtens diese Hürden bewusst in Kauf und setzt es mit den gegebenen Mitteln angemessen um. Ausnahmsweise halte ich die FSK 12 aufgrund der bedrückenden Geschichte für diskussionswürdig.

Dazu gehören die messerscharfen und knappen Dialoge die nur das Wichtigste unterstreichen. Es gibt zu 99% der Laufzeit keine Filmmusik,  was diese radikale Umsetzung noch unterstreicht und man fühlt sich im positiven an Werke Michael Hanekes erinnert, der Musik im Film nur erlaubt, wenn dort jemand ein Instrument spielt. Und tatsächlich wird Adele von Maria-Victoria Dragus dargestellt, die die Klara in Hanekes DAS WEISSE BAND spielte. Sie agiert hier ebenso intensiv wie glaubwürdig und ich kann diese Leistungen in einigen Zeilen hier gar nicht genug würdigen. Dies gilt auch für Roeland Wiesnekker (bekannt aus Rosa Roth und Tatort), der für mich die Zerrissenheit seiner zwiespältigen Rolle gut meistert.

Es gibt eine Reihe von potentiellen Nebenlinien im Film, wie die Reifung und Transformation von Adele in eine junge Frau und gleichzeitig in einer Vermännlichung im Sinne eines Coming-of-Age Kontexts die hier nicht ausreichend ausgeführt werden können. Essentiell betrachtet ist das Ausgangsszenario von TÖTE MICH radikaler als in jedem Horrorfilm. Jemand fordert, willigt ein und schmiedet einen Pakt für seine Tötung. Dies erinnert fatal (zumindest mich) an "Den Kannibalen von Rotenburg" in der Einwilligung seines Opfers zur Tötung und Verspeisung. Dieser Schock wird hier noch verstärkt, da es sich mit Adele um ein junges Mädchen handelt, welches solche schockierenden Absichten gnadenlos verfolgt. Weitere Ausführung lasse ich hier mal bewusst bleiben, potentielle Interessenten wissen eh schon längst, dass dies ein Film für sie ist. Es lohnt sich!

6,5/10 Punkten

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