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Asa Butterfield spielt den Waisen Hugo, der im Pariser Hauptbahnhof lebt, wo er sich in den Gewölben vor dem Aufseher, gespielt von Sacha Baron Cohen, versteckt und die Bahnhofsuhren aufzieht. Er versucht, eine Art Roboter zu reparieren, den sein verstorbener Vater einst erworben und zu reparieren versucht hatte. Er hat ein Notizbuch, in dem der Aufbau des Roboters skizziert ist. Dieses wird ihm von einem Ladenbesitzer, gespielt von Ben Kingsley, abgenommen, der mehr über die mysteriöse Maschine zu wissen scheint. Hugo tut sich mit dessen junger Nichte zusammen, um das Geheimnis zu lösen.

Sieht man sich die Filmografie von Martin Scorsese an, scheint er nicht sonderlich prädestiniert für einen freundlichen Familienfilm zu sein. Seine Film sind dreckig, wie beispielsweise “Taxi Driver“ oder “Bringing Out the Dead“, blutig und brutal, wie “Good Fellas“ und “Wie ein wilder Stier“, seine letzten beiden Werke sind der Psycho-Thriller “Shutter Island“ und “Departed“, bei dem es sich ebenfalls um einen brutalen Gangsterfilm handelt, der auch im Umgangston alles andere als jugendfrei ist. Zudem offenbaren seine Filme nicht gerade eine Vorliebe für  technische Spielereien. Man konnte also durchaus skeptisch sein, was Martin Scorsese und sein Projekt “Hugo Cabret“ angeht, aber der Altmeister vermag positiv zu überraschen.

Scorseses Film beginnt mit einer eindrucksvollen Kamerafahrt durch das Paris der frühen 1930er und den Hauptbahnhof, eine Szene, für die allein sich die Umsetzung in 3D schon fast gelohnt hat, was man von vielen anderen Produktionen nicht behaupten kann. Die Kulisse ist auf Hochglanz poliert und absolut sehenswert, die Bilder bunt und bis ins Detail genau gelungen, bereits hier liegt, flankiert durch den stimmigen Score von Howard Shore, ein gewisser Zauber in der Luft und dies soll im Folgenden dann auch so weiter gehen.

Die Handlung setzt schließlich bei Hugo ein, man sieht ihn, wie er durch Bahnhofsgewölbe klettert und Uhren aufzieht, wie er die ein- und aussteigenden Menschen beobachtet, wie er dem Bahnhofsvorsteher entkommt, der ihn in ein Waisenhaus stecken würde, wenn er ihn in die Finger bekäme. Wie der 12jährige Waisenjunge in den Bahnhof gekommen ist, warum er die Uhren aufzieht, woher eigentlich der Roboter kommt, den er im Gewölbe versteckt und warum ihm der Spielzeugladenbesitzer sein Notizbuch abnimmt, sind Fragen, die aufgeworfen, aber erst nach und nach geklärt werden. Das gestaltet den Film interessant, macht das Geschehen für die kleineren Zuschauer aber auch schwer zugänglich, aber um einen Kinderfilm handelt es sich bei Scorseses Werk letztlich ohnehin nicht.

In Rückblenden wird die Vergangenheit von Hugo nach und nach aufgedeckt, während Scorsese die Handlung allmählich vorantreibt. Der Protagonist verfolgt den Besitzer des Spielzeugladens bis zu dessen Haus und nimmt Kontakt mit seiner jungen Nichte auf, die bei diesem wohnt. Dabei findet er den Schlüssel zum Roboter. Der wiederum zeichnet eine Grafik, mit der die beiden zunächst einmal nichts anfangen können und auch diesem Geheimnis gehen sie dann nach. So wird die Handlung immer weiter vorangetrieben, permanent neue Fragen aufgeworfen, der Zuschauer bei der Stange gehalten und auch den Kleineren immer wieder etwas geboten, was sie im Mittelteil beschäftigt. Die Dramaturgie ist dabei zwar etwas umständlich, sodass kleinere Längen aufkommen, aber für diese entschädigen die opulenten, wunderbaren Bilder, die Scorsese liefert.

Mit dem 14jährigen Asa Butterfield hat Scorsese zudem einen guten Hauptdarsteller, der durchaus durch den Film trägt und mit der ebenfalls 14jährigen Chloe Moretz harmoniert, die ja schon in “Kick-Ass“ überzeugte. Hinzu kommen ein paar amüsante Stellen, die unter anderem aus den einfachen, aber sympathischen Slapstick-Einlagen von Sacha Baron Cohen resultieren, die ab und an aber auch ein wenig deplatziert wirken. So ist der Unterhaltungswert sehr gut, während die brillante Optik, die opulente Ausstattung, die sehenswerte 3D-Inszenierung, die eindrucksvollen Kulissen und die ausgezeichnete Kameraführung mit berauschenden Bilderfluten ihr Übriges leisten.

Zum Ende hin kann Scorsese “Hugo Cabret“ dann noch einmal steigern. Es folgen zahlreiche Anspielungen und Referenzen an die Anfänge des Kinos, eine Hommage an die Leinwand-Pioniere, die mit wenig Geld ,aber zahlreichen Ideen und Liebe zum Medium, mit Begeisterung für die Technik und ihre Möglichkeiten, ans Werk gegangen sind, in einer Zeit, in der Kino und Filme noch nicht alltäglich waren und die Menschen noch zu berühren vermochten. Ben Kingsley spielt am Ende zudem ganz groß auf und gibt dem hervorragenden letzten Drittel des Films die notwendige Emotionalität, um zu fesseln. Scorseses Film ist damit eine emotionale, sympathische und nostalgische Liebeserklärung ans Kino, an dessen Magie, geworden, der man sich kaum entziehen kann, letztlich ist ihm hier nicht weniger als ein Meisterwerk gelungen. Zudem ist es kein Widerspruch, dass Scorsese hier auf modernste inszenatorische Mittel zurückgreift, um die Anfänge des Kinos zu feiern, denn so entfaltet sein Film wiederum eine ganz eigene Magie. “The Artist“ hat dagegen natürlich gezeigt, dass eine derartige Hommage auch ganz anders umgesetzt werden kann.

Scorsese meinte, er habe den jungen Zuschauern mit “Hugo Carbret“ aufzeigen wollen, dass Kino mehr ist als bedeutungsloser Konsum. Ob Kinder und Jugendliche die Botschaft verstehen, kann bezweifelt werden, zumal sich diese wohl herzlich wenig um die Geschichte des Kinos scheren, aber er führt es hier auch den erwachsenen Zuschauern noch einmal gekonnt vor Augen. Kino ist Magie und Emotion, nicht nur bloße Unterhaltung, das spürt man bei Scorseses Werk fast durchgehend, weil sein Macher mit aller Liebe zum Film und zum Detail ans Werk gegangen ist.

Letztlich ist “Hugo Cabret“ also vor allem eine Verneigung vor den Pionieren des Kinos, vor den Künstlern und Visionären ihrer Zeit. Über diese vergisst Scorsese mitunter seine Handlung ein wenig, aber dies stört im Grunde kaum. Die wahre Qualität des Films spürt man vor allem dann, wenn er fesselt, auch ohne, dass die Handlung nennenswert vorankommt. Abschließend sei noch erwähnt, dass es handwerklich nichts zu bemängeln gibt, auch der restliche Cast, unter anderem mit Christopher Lee und Jude Law besetzt, überzeugt und das Geschehen auch am Ende mit vielen innovativen Ideen überrascht.

Fazit:
“Hugo Cabret“ ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung ans Kino, eine magische Hommage, ein nostalgisches, elegantes und sympathisches Meisterswerk, das mit seiner berauschenden Optik und einem guten Cast überzeugt und beste Unterhaltung bietet. Es gibt immer wieder neue Überraschungen, Wendungen, Emotionen und Bilder, Scorsese zeigt hier deutlich auf, was Kino leisten kann, reißt mit und tritt damit in die Fußstapfen der Leinwandpioniere, die er hier feiert. Die etwas unglückliche Dramaturgie, die Scorseses Reise in die Filmgeschichte ein wenig ausbremst, lässt sich da definitiv verschmerzen. Scorseses Werk, das eher ein Film für Cineasten, aber auch für Familien geworden ist, verdient Anerkennung und den Oscar.

93%

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