Review

Es ist Lucies erster Tag als Praktikantin bei einem ambulanten Pflegedienst, als sie das Anwesen der steinalten, im Koma liegenden Frau Jessel, einer ehemaligen Ballettlehrerin, betritt. Sogleich beeindruckt von der prunkvollen Villa erfährt sie, dass auf dem Grundstück ein Schatz versteckt sein soll. Gemeinsam mit ihren beiden Freunden William und Ben brechen die Teenager eines Nachts in das Haus ein, um sich bald in einer tödlichen Falle wieder zu finden…

Ganz ohne Spoiler kann man die Handlung eigentlich kaum wiedergeben. So geht es im Verlauf ganz grob um Vampire und Blut saugende Ballerinas.
Alexandre Bustillo und Julien Maury, die beiden französischen Regisseure von dem Schwangerschafts-Schocker INSIDE, die auch hier wieder für die Regie zuständig waren, setzen uns mit LIVID ein Horrorfilm, beinahe ein Horrormär vor, dass sich viel Zeit im Entstehen lässt und fast ganz auf den Gebrauch von Schockelementen und Gewaltorgien verzichtet. Vielmehr wird man hier von schaurig-schönen Kulissen, dichter Gruselatmosphäre und dem bezaubernden, mit zwei verschieden farbigen Augen gesegneten Hauptcharakter der Lucie in einen Bann gezogen, dem man sich nicht mehr zu entziehen vermag. Wenn die Jugendlichen im Schein der Taschenlampe die stockfinstere Villa erkunden, gefriert einem beinahe das Blut in den Adern und ist stets darauf gefasst dem Grauen in seiner reinsten Form zu begegnen.
Nach und nach kommen Lucie und ihre Freunde hinter das blutige Geheimnis der komatösen Ex-Ballettlehrerin, die sich natürlich bald als gar nicht so weggetreten entpuppt. Der zu findende Schatz wird Nebensache, die körperliche Unversehrtheit, vor allem aber ihr heiß umworbenes Blut, werden zum höchsten Gut, das die Jugendlichen zu retten versuchen.
LIVID (aus dem Französischen ins Deutsch soviel wie „leichenblass“) ist ein wahrer Augenschmaus und strotzt nur so vor Szenen, in denen Schönheit und Tod eine Symbiose eingehen. Beispielsweise wird ein blutverschmiertes Ballerina-Mädchen im Sonnenlicht schwerelos und schwebt über einer Frühlingswiese. Ferner ist die Villa voller ausgestopfter Tiere, manche sogar szenisch aufgestellt, einmal ähnlich dem Teekränzchen aus ALICE IM WUNDERLAND, nur eben auf morbide getrimmt. In manchen Szenen (z.B. einer Strandszenen an einer Steilküste) und auch wegen der Bildhaftigkeit und der durchdringenden Tristesse fühlt man sich oft an die Vampirfilme von Jean Rollin (REQUIEM FOR A VAMPIRE, LIPS OF BLOOD) erinnert. Wer weiß, vielleicht haben sich die beiden Regisseure ja von ihrem genialen, aber leider schon verstorbenen Landsmann inspirieren lassen.

Bei all der opulenten Optik verliert der Film gegen Ende leider nicht nur an Biss, sondern auch seinen roten Faden und wirkt etwas konstruiert oder, als wenn den Machern kein gescheites Finale eingefallen wäre. Hätte sich LIVID, wie etwa MARTYRS, in seiner Bildhaftigkeit verloren und diese ad absurdum getrieben, wäre er gewiss besser gefahren. So bekommt man einen Showdown vorgesetzt, der einen so ein bisschen an das aus Park Chan-wooks THIRST oder das von 30 DAYS OF NIGHT erinnert, das zwar schon so einigermaßen zufrieden stellt, aber eben leider nicht das Sahnehäubchen ist, das man sich erhofft hätte.

Blut: (+)(+)(+)(-)(-)
Splatter: (+)(-)(-)(-)(-)
Spannung: (+)(+)(+)(-)(-)
Atmosphäre: (+)(+)(+)(+)(-)

Fazit:
Bildhafter, beinahe poetischer Vampirhorror fernab aller Konventionen. Glücklicherweise blutiger, morbider und auch böser als beispielsweise das Blutsauger-Drama SO FINSTER DIE NACHT, in letzter Instanz leider etwas zu inkonsequent. Trotzdem aber mehr als nur einen Blick wert.

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