Bei "Jonas" handelt es sich um ein Experiment und seine Macher - Christian Ulmen als Hauptdarsteller und Drehbuchschreiber, Robert Wilde als Regisseur - machen daraus auch kein Geheimnis. Wie schon in seinen Fernsehsendungen, versetzt sich Ulmen auch hier in die Rolle eines Außenseiters, um möglichst realistische Reaktionen der Umwelt darauf festzuhalten. Allerdings wählte er hier keine Figur zum Fremdschämen, sondern - eher gemäßigt, wenn auch nicht ganz frei von gewissen Eigentümlichkeiten - einen Schüler, der dank einiger Ehrenrunden ein paar Jahre älter ist als seine Mitschüler.
Dabei ist die optische Verwandlung des Mittdreißigers Ulmen in einen 18jährigen noch die kleinste Hürde, da Ulmen jungenhaft wirkt und eine gute Maske die paar Jahre schon wegzuschminken in der Lage ist. Zudem wusste jeder Schüler und Lehrer sowieso, wer sich tatsächlich hinter "Jonas" verbarg - diesen Gedanken fortgesetzt, stellt sich die Frage, warum es notwendig war, ihn so aufwendig auf jung zu stylen?
Dahinter verbirgt sich die entscheidende Frage, ob ein solches Experiment gelingen kann, wenn ein bekannter Schauspieler, ständig von Kameramännern und Beleuchtern begleitet, in den realen Schulbetrieb eindringt. Welcher Mitschüler würde ihn nicht mit Respekt behandeln und welcher Lehrer sieht in ihm einen Jugendlichen und nicht den berufstätigen Erwachsenen? - Wird dem Betrachter des Films nicht nur ein großes Theater vorgespielt, das nichts mit der Realität an den Schulen in Deutschland zu tun hat?
Nicht nur, dass Christian Ulmen diese Fragen natürlich bewusst waren, auch das Ergebnis verdeutlicht, das diese Gefahren nicht gänzlich zu umschiffen waren. Der Beginn des Films ist eher zäh. Die Akzeptanz des neuen Schülers, der - obwohl älter und skurriler - auf keinerlei Ressentiments bei den Mitschülern stößt und es sich sogar leisten kann, schnell eigene Aktionen wie den Aufbau einer Schülerband zu beginnen, verdeutlicht, dass "Jonas" nicht in der Lage ist, die Gefahren des Mobbings oder zumindest einer anfänglichen Ausgrenzung, mit der sicherlich fast jeder Neuling einer Klasse schon einmal konfrontiert wurde, zu dokumentieren.
Hinzu kommt, dass Christian Ulmen zwar in der Lage ist, sich mimisch und gestisch wieder in einen Schüler hinein zu versetzen, aber die natürliche Schüchternheit eines Jugendlichen gegenüber dem anderen Geschlecht oder Unsicherheiten, etwa bei der Organisation eines Rock-Konzerts, an dem zum Schluss viele Schüler beteiligt sind, kann er nicht imitieren. In diesen Situationen - wenn er der angebeteten Lehrerin ein Festmahl bei Kerzenschein und Musik serviert oder wenn er mit dem Lautsprecher Werbung für die Rockband betreibt - spürt man auch immer den in diesen Dingen erfahrenen Mann dahinter.
Doch darum geht es in "Jonas" nicht wirklich, sondern um die Momente, in denen seine Umgebung vergisst, dass es sich bei "Jonas" um keine reale Figur handelt. Deshalb ist die optische Illusion eines 18jährigen wichtig und auch die lange Zeit, die Ulmen an der Schule verbrachte, denn auf Dauer kann Niemand aus seiner Haut - kein Schüler, keine Lehrer und auch nicht der Direktor, der gerade, weil ihm sehr daran gelegen ist, einen guten Eindruck des deutschen Schulalltags zu vermitteln, immer authentischer wirkt.
Ulmen ließ schon lange vor Drehbeginn Kameras in der Schule einbauen, damit sich Schüler und Lehrer daran gewöhnen - und das wird vor allem in der zweiten Hälfte des Films deutlich, in dem immer mehr Situationen entstehen, die tatsächlich real wirken und Jeden an seine eigenen Schulerfahrungen erinnern dürften. An diesem Punkt wird auch deutlich, wie wichtig es ist, dass Ulmen einen kauzigen, seine Umgebung immer ein wenig provozierenden Typen spielt, auch wenn er es keinen Moment übertreibt, denn darauf muss sein Gegenüber reagieren, egal, ob ihm dabei eine Kamera zuschaut oder nicht.
"Jonas" konnte kein Film aus einem Guss werden und verfügt auch nicht über einen klassischen Spannungsaufbau, da er sich auf die Ergebnisse seines Experiments einlässt und sie nicht beeinflussen wollte, auch wenn bestimmte dramaturgische Ideen natürlich vorhanden sind. "Jonas" ist viel mehr ein Film geworden, den man sich mehrfach ansehen sollte, da sich die vielen kleinen Momente der Wahrhaftigkeit keineswegs sofort aufdrängen, sondern entdeckt werden müssen. Letztlich wurde "Jonas" aber vor allem ein Film, der wieder mit dem Schulalltag versöhnen kann (7/10).