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"No risk, no fun!"

Es gibt Filme, die funktionieren nur dann, wenn man im Vorfeld möglichst wenig darüber weiß. Kein leichtes Unterfangen, wird man doch heutzutage durch kräftig spoilernde Trailer und zahlreiche Filmbesprechungen schon teilweise Wochen vor dem Kinostart mit Informationen regelrecht bombardiert. Einen Film möglichst unbefangen und gewissermaßen „frisch" im Kino zu erleben, scheint zu einer ausgestorbenen Kunst geworden zu sein.
Nicht nur dass es kaum noch Überraschungseffekte gibt, auch die durch die multimediale Vorberichterstattung zwangsläufig aufgebauten Erwartungshaltungen lassen kaum noch eine unvoreingenommene Erstsichtung zu. Und sollte man es tatsächlich geschafft haben, sämtlichen Spoiler-Breitseiten zu entgehen, dann kommt unverhofft der deutsche Verleih daher und entblödet sich ganz ohne Not, den ebenso kryptischen wie treffenden Originaltitel durch eine ungleich plakativere und natürlich inhaltliche Hinweise gebende Eindeutschung zu ersetzen. Aktuell mal wieder geschehen bei Man on the ledge.

Nun weiß der Durchschnittskinogänger also schon mal, dass es dabei um irgendeine gefährliche Unternehmung gehen muss, da der deutsche Allerweltstitel „Ein riskanter Plan" nicht gerade eine Interpretationshürde darstellt. Schade um die ebenso simple wie spannende Ausgangsposition.

Der Film beginnt mit einem Mann (Sam Worthington) der gleich mehrfach am Abgrund steht. Er klettert in der 21. Etage des New Yorker Roosevelt Hotels auf den Sims und droht - nachdem er sich eine lukullische Henkersmahlzeit gegönnt hat - sich hinunter zu stürzen. Es dauert nicht lange bis sich die Aufmerksamkeit der Stadt einzig auf ihn zu fokussieren scheint. Neben einem veritablen Polizeiaufgebot, nehmen auch zahlreiche schaulustige Passanten sowie die sensationslüsternen TV-Journaille regen Anteil am Schicksal des vermeintlichen Selbstmörders.
Der verlangt ausschließlich Detective Lydia Mercer (Elizabeth Banks), ein durchaus pikantes Anliegen, konnte diese doch vor Wochenfrist trotz stundenlanger Verhandlungen nicht verhindern, dass sich ein Suizid-gefährdeter Polizist von der Brooklyn Bridge stürzte. Aber Mercer hat nicht alle ihre Instinkte verloren und beginnt bald zu ahnen, dass sich hinter dem vermeintlichen Selbstmordversuch möglicherweise mehr verbirgt, als es den Anschein hat.
Der Verdacht erhärtet sich, als sie durch einen Trick die wahre Identität ihres „Mandanten" herausfindet. Nick Cassidy ist nicht nur ein ehemaliger New Yorker Cop, sondern auch ein frisch entflohener Straftäter. Nach zwei Jahren Haft  - er soll dem Immobilienhai David Engländer (Ed Harris) einen 40 Millionen Doller teuren Diamanten gestohlen haben - nutzte er die Beerdigung seines Vaters zur Flucht. Sieht der vom Leben gebeutelte Cassidy keinen Ausweg mehr, oder hat die in Ungnade gefallene Mercer doch auf der richtigen Spur?

Der ehemalige Dokumentarfilmer Asger Leth holt aus dieser interessanten Grundkonstellation das Maximale heraus und liefert bei seinem Spielfilmdebut einen clever konstruierten Thriller, der nach und nach verschiedene Schichten enthüllt und dabei ein ums andere Mal das Genre wechselt. Bei all den vielen Subplots, überraschenden Twists und die Wahrscheinlichkeit strapazierenden Zufällen die narrativen Zügel stets fest in der Hand zu behalten, ist eine durchaus beeindruckende Leistung.
Denn die Todsünde im Spannungskino ist nicht etwa die Strapazierung der Nerven durch hanebüchene Plotwendungen - auch wenn das zu deutlichen Punktabzügen führen kann -, sondern in erster Linie das Foltern des Zuschauers durch Langeweile. In dieser Hinsicht kann Leth guten Gewissens die Absolution erteilt werden, zieht er doch die Spannungsschraube bis zum (allerdings vorhersehbaren) Schluss kräftig an ohne sie durch allzu ärgerliche Logiklöcher zu verkanten.

Aber nicht nur der Mix aus diversen Filmgattungen trägt zum abwechslungsreichen Gesamtbild bei. Auch sämtliche handelnden Figuren sind nicht das, was sie auf den ersten Blick scheinen und halten damit den mehrgleisigen Erzählfluss geschickt in der Spur. Neben Cassidy und Mercer offenbaren im Verlauf des Films auch Cassidys Bruder Joey (Jamie Bell) mitsamt Freundin Angie, sein loyaler Ex-Partner Mike Ackerman (Anthony Mackie), NYPD-Einsatzleiter Nathan Marcus (Titus Welliver) sowie der ermittelnde Detective Jack Dougherty (Edward Burns) ungeahnte Seiten und (mehr oder weniger) unerwartete Beziehungskonstellationen.
Im Zentrum steht aber das psychologische Katz- und Mausspiel zwischen dem offenbar lebensmüden Nick und der frisch traumatisierten Lydia. Kameramann Paul Cameron (Collatoral) verleiht den Rededuellen in luftiger Höhe zusätzliche Brisanz, indem er aus dem realen Drehort eine Reihe schwindelerregender Totalen herauskitzelt. Worthington soll sich für etliche Aufnahmen selbst auf den Sims gewagt haben, was seiner überzeugend vorgetragenen Nervosität und Beklemmung sicherlich zu Gute kam.

Lediglich im knalligen Finale geht dem ebenso tempo- wie abwechslungsreichen Thriller etwas die Puste aus. Ein etwas weniger spektakulärer und rosaroter Schlussakt hätte dem trotz aller Wendungen immer lässigen Grundtenor des Films besser zu Gesicht gestanden. Dennoch stehen am Ende Attribute wie Kurzweil, Spannung, Dramatik und ein wendungsreicher Plot. Das sollte als Vorabinformation reichen, denn wer nichts wagt, der wird auch nichts gewinnen. Nick Cassidy würde da sicherlich zustimmen.

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