„Wir sind Affen und es gibt nichts, dessen wir uns schämen müssten!“
Nach „Jonny Vang“ und „Anderland“ ist „Sons Of Norway“ aus dem Jahre 2011 der dritte Spielfilm des norwegischen Regisseurs Jens Lien. Die Coming-of-Age-Dramödie wurde Ende der 1970er inmitten der Zeit, in der die britische Punkrock-Explosion bis nach Norwegen reichte, angesiedelt und setzt sich auf komische bis nachdenkliche Weise mit dem Verhältnis eines Anarcho-Hippie-Vaters zu seinem den Punk für sich entdeckenden Sohn auseinander. Der Film entstand in norwegisch-schwedisch-dänisch-französischer Koproduktion. Er basiert auf dem autobiografischen Roman „Teori og praksis“ des Drehbuchautors Nikolaj Frobenius.
„Eine Bierflasche an den Kopf zu bekommen, ist wohl nur ein geringer Preis, den man für die gesunde, rebellische Haltung der Kinder bezahlt!“
Magnus (Sven Nordin, „Elling“) ist ein alternder Hippie, der sich als Architekt verdingt und Vater zweier Söhne ist, Nikolaj (Åsmund Høeg) und Peter. Zusammen mit seiner Frau (Sonja Richter, „Unter die Haut - Gefährliche Begierde“) und den Kindern lebt er in einem beschaulichen Vorort Oslos und gibt nicht viel auf Konventionen. Kurz nachdem der pubertierende Nikolaj den Punk für sich entdeckte – ausgelöst durch das Sex-Pistols-Stück „God Save The Queen“ – stirbt seine Mutter überraschend infolge eines Autounfalls. Magnus verfällt daraufhin in schwere Depressionen und Nikolaj ist es, der sich um ihn kümmern muss, während Magnus‘ Schwester den kleinen Peter zu sich nimmt. Während Nikolaj sich auch optisch der Punkszene zuneigt, mit seinem Kumpel Tor (Tony Veitsle Skarpsno) Leute erschreckt und randaliert sowie mit dem älteren Anton (Trond Nilssen, „King of Devil's Island“) eine Punk-Band gründet, kann er seinen langsam aus seiner Lethargie erwachenden Vater dadurch kaum provozieren, im Gegenteil: Magnus steht seinem Sohn stets bei, nimmt ihn vor Autoritäten in Schutz und wird selbst zum Punk-Fan. Seinen Job hat er gekündigt und seinen Blümchenbus veräußert, in den Sommerferien bastelt er zusammen mit Nikolaj an einem Moped mit Sozius. Mit diesem reisen sie in ein Nudisten-Camp, worauf Nikolaj so gar keine Lust hat. Dort erwischt er zu allem Überfluss seinen Vater auch noch beim Sex und auf der Rückfahrt mit seinem noch immer nackten Vater gerät er in eine Polizeikontrolle. Das ist Nikolaj alles hochnotpeinlich. Während der Bandprobe zieht er sich Speed rein und sein Vater läuft Gefahr, verrückt und paranoid zu werden. Als im Vorfeld des ersten Gigs der Drummer ausfällt, spring ausgerechnet sein Vater jedoch ein, woraufhin er aus der Band aussteigt. Nachdem die Polizei die Ermittlungen hinsichtlich des Unfalltods seiner Mutter eingestellt hat, durchleidet er einen ekligen Horrortrip, in dem er mit seinem Vater seine Mutter aufisst. Nikolaj dreht durch, landet im Krankenhaus und fantasiert eine surreale Verhaftung zusammen. Im Traum erscheint ihm Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten, der ihm ein paar Lebensweisheiten mitgibt, woraufhin Nikolaj wieder erwacht.
Punk rebelliert(e) nicht nur gegen das konservative Establishment, sondern auch gegen die Hippie- Generation und ihr eindimensionales, verleugnendes bis verlogenes Weltbild sowie ihre „Love and Peace“-Fantastereien. So wartet man im Verlaufe der Handlung eigentlich permanent darauf, dass es endlich zum offenen Konflikt zwischen Vater und Sohn kommt, der bezeichnenderweise jedoch ausbleibt. Zwischendurch findet zumindest eine interessante Diskussion am Esstisch statt, die es gut auf den Punkt bringt, doch zum Bruch zwischen Magnus und Nikolaj kommt es nie. Wann immer Magnus seinem Sohn peinlich wird, sieht man Nikolaj dies lediglich in dessen Mimik an.
„Sons Of Norway“ ist kein klassisches spannungsgeladenes Coming-of-Age-Drama mit Pointe. Ausgehend von einem Flaschenwurf Nikolajs auf seinen eine Rede am Nationalfeiertag haltenden Rektor (Karl Bomann-Larsen, „Eine Handvoll Zeit“) blendet der Film zurück zur Weihnachtsfeier 1978, für die Magnus einen ausgeprägten Bananenfimmel für sich entdeckt hat und aus dem Fest der Liebe das der gekrümmten Südfrucht macht. Diese und weitere Szenen und Sequenzen sind komödiantisch bzw. karikierend überzeichnet und tatsächlich mit einem angenehm schrägen Humor versehen, der jedoch in den Hintergrund gerät, nachdem Nikolajs Mutter das Zeitliche gesegnet hat. Nach Nikolajs sehr gut, weil nachvollziehbar bis authentisch dargestellten Punk-Initiation schließt sich irgendwann der Kreis zum Prolog und die Handlung wird in der filmischen Gegenwart weitergesponnen, was den Erzählfluss nicht stört.
Zunehmend rückt die Trauerarbeit in den Fokus des Films, ohne jedoch auf die Tränendrüse zu drücken. Die Charaktere bleiben stets reichlich entrückt und damit gewissermaßen distanziert, ohne den Bezug zum Zuschauer zu gefährden. Dieser gelungene Spagat ist dem Film hoch anzurechnen. Ohne das Thema totquatschen zu müssen, wird man Zeuge, wie sich Magnus seiner klassischen autoritären Vaterrolle verweigert und offenbar auch kaum in der Lage ist, zusammen mit seinem Sohn den äußerst schmerzhaften Verlust zu verarbeiten. Durch seine Faszination für die Punk-Bewegung und schließlich seine Identifikation mit ihr verliert Nikolaj eine Reflektionsfläche für seine Rebellion, die sein Vater immer wieder zu übertrumpfen scheint – was beinahe zu einer weiteren Katastrophe führt. Dabei geht „Sons Of Norway“ ohne erhobenen Zeigefinger vor und appelliert an die Empathie des Publikums, das selbst entscheiden muss, wie viel Kumpelsein einer Vater-Sohn-Beziehung insbesondere in einer solch schwierigen Phase angemessen wäre.
Koproduzent Johnny Rottens Gastauftritt passt da gut hinein, denn er versucht gar nicht erst, Sven Nordins übermenschlicher schauspielerischer Leistung die Schau zu stehlen. Ob dieser Film einen jungen Menschen zum Punk machen kann, weiß ich nicht, vermutlich aber schon, denn die grundsätzliche Sympathie für die Subkultur ist allgegenwärtig, ohne diese zu verklären. „Sons Of Norway“ ist der etwas andere Independent-Punk-Film und für die FSK-12-Freigabe sind verdammt viele Geschlechtsorgane zu sehen. Kameraarbeit, Schnitt und die nie geschwätzigen Dialoge sind voll auf der Höhe. Meine präpubertäre Nichte befand zwar „So ein Bullshit!“, ich jedoch war fasziniert von der unorthodoxen, zu keiner Sekunde langatmigen oder dramaturgisch fragwürdigen, unprätentiösen Verarbeitung seines Themenkomplexes und den unverbrauchten Schauspielern. Ein sympathischer Film, der sich seines Humors bewusst ist, ohne auf sarkastische oder gar zynische Weise seine schrägen Charaktere der Lächerlichkeit preiszugeben – und zudem ein Einblick in ein unkonventionelles Norwegen, das auf diese Weise bisher den Wenigstens nahegebracht worden sein dürfte.