Mit den bitteren Erfahrungen, die Menschen weltweit aufgrund des Ausbruchs des Corona-Virus machen mussten, wirken manche Filme, die sich explizit mit dem Thema einer tödlichen Seuche beschäftigt haben, im Rückblick irritierend. Während Wolfgang Petersens Hochspannungs-Klassiker „Outbreak - Lautlose Killer" in vielerlei Hinsicht unrealistisch scheint, besticht Steven Soderberghs Medizin-Thriller „Contagion" gerade durch das Gegenteil - auf weiten Strecken kann der prominent besetzte Streifen aus heutiger Sicht erschreckend aktuell wirken.
So fallen etwa immer wieder auf Seiten der WHO oder des amerikanischen CDC Begriffe, die vielen Zuschauern mittlerweile aus den Nachrichten allzu bekannt vorkommen dürften: Reproduktionsfaktor R, Ausgangssperren, Mortalitätsraten, etc. Das sorgt gerade aus heutiger Sicht für eine gehörige Portion Gänsehaut, denn offensichtlich waren die Theorien und Strategien zur Bekämpfung einer Pandemie schon damals hinreichend bekannt, sodass sie sogar für einen Hollywood-Spielfilm aufgegriffen werden konnten - und trotzdem haben Regierungen weltweit lange Zeit in keiner Weise auf dieses Wissen zurückgegriffen.
Aber auch schon vor dem Frühjahr 2020 dürfte „Contagion" zu fesseln gewusst haben. Dabei ist es für ein eminent bildhaftes Medium wie den Film von vornherein eine besondere Herausforderung, einen unsichtbaren Killer wie etwa ein Virus ins Zentrum der Handlung zu stellen. Soderbergh setzt dieses schwierige Sujet gekonnt um: Mit schnellen Schnitten, einem extrem dynamischen Soundtrack, vielen Szenenwechseln und kurzen Kameraschwenks auf kontaminierte Gegenstände oder Kontaktpersonen macht er schon in der schweißtreibenden Eröffnungssequenz deutlich, wie schnell und unbemerkt sich Keime und Viren in einer globalisierten Welt verbreiten können. Wenn man die Gefahr bemerkt, ist es quasi schon zu spät - so nimmt etwa die Rolle von Gwyneth Paltrow ein überraschend frühzeitiges Ende.
Zum Glück hat die Besetzungsliste noch allerhand weitere große Namen zu verzeichnen, etwa Laurence Fishbourne als Virologe am CDC, Matt Damon als traumatisierter Ehemann, Kate Winslet, Jude Law, Bryan Cranston ... die Liste ließe sich beinahe beliebig erweitern. Viel wichtiger als diese bloße Ansammlung an A-Klasse-Stars ist aber deren angenehme Zurückhaltung: Bis auf leichte Differenzen in der Screentime sticht hier niemand als besonders zentrale Figur heraus. Das hängt auch mit der gewagten Dramaturgie zusammen: Um die komplexen Entwicklungen und Zusammenhänge einer Pandemie-Bekämpfung zumindest ansatzweise verständlich zu machen, wechselt die Erzählung konsequent zwischen mehreren parallelen Handlungssträngen - von den Wissenschaftlern, die fieberhaft an einem Gegenmittel arbeiten, über einfache Bürger, die im aufkommenden Chaos zu überleben versuchen, bis zu Bloggern, die um ihrer Klickzahlen willen mehr oder weniger bewusst Falschinformationen streuen. Diese Vielzahl an Handlungssträngen erfordert ein gewisses Maß an Konzentration, erzeugt aber zugleich (auch dank der rasanten Inszenierung) ein gehöriges Maß an durchgehender Spannung. Nur am Ende flacht die Dramaturgie etwas zu früh ab, sodass die letzten gut 20 Minuten einen Hauch zu unspektakulär ausfallen.
Auch kann man, nachdem man ja nun die Maßnahmen während einer Pandemie im echten Leben beobachten konnte, einige andere Details finden, die kaum mehr glaubhaft wirken: dass etwa die Bevölkerung es akzeptieren würde, die begrenzten Gegenmittel würden per Losverfahren nach Zufallsprinzip verteilt werden. Auch scheint hier zeitlich einiges zusammengedrängt, um die Spannung zu erhöhen - innerhalb eines Monats brechen ganze Systeme zusammen und sterben Millionen von Menschen weltweit. Natürlich: Bei einem entsprechend aggressiven Virus kann so etwas durchaus passieren. Was viele ungebildete Menschen derzeit kritisieren, ist ja tatsächlich unser aller Glück - dass das Corona-Virus ein zwar hochansteckendes, aber vergleichsweise harmloses Virus ist. Ein Supervirus, wie es in jedem Endzeitfilm zu finden ist, wünscht sich ja wohl niemand.
Es ist schon erstaunlich, wie Filme die Realität und die Realität Filme beeinflussen kann. Bis 2019 war „Contagion" einfach nur ein spannender Was-wäre-wenn-Thriller, rasant inszeniert, spannend erzählt und top besetzt. Mittlerweile sieht man ihn und seinesgleichen wohl mit ganz anderen Augen - wobei man klar feststellen muss, dass „Contagion" zu den besser gealterten Genre-Vertretern gehört.