Ach, wie liebt man es doch in der scheinbaren Sicherheit eines gemütlichen Kinosessels dem Untergang beizuwohnen, den großen Katastrophen und schrecklichen Unglücken, zu dem sich bspw. in den 70ern reihenweise größere Staransammlungen zusammenfanden, um sich dann von einer Naturkatastrophe einer nach dem anderen in die nächste Welt befördern zu lassen.
Auch in "Contagion" ist so ein "all star cast" versammelt, da treffen sich die Darsteller gleich mehrerer Kontinente und versuchen ebenfalls, dem Tod zu entgehen, allerdings nicht auf der optisch großen Skala, sondern mittels eines Virus, der gemäß zeitgemäßer Beispiele wie BSE oder der Vogelgrippe, den menschlichen Organismus ohne Chance auf Gegenwehr zerstört. "Contagion" dokumentiert so einen Fall, wie er sich abspielen könnte - in geradezu beängstigendem Realismus.
Was Steven Soderberghs jedoch besser oder realistischer als die vielen Vorbilder macht, ist der breitflächige Verzicht auf den üblichen Charakterpathos oder die große Liebesgeschichte zum Übertünchen, stattdessen geht man hier mit der größtmöglichen Realitätsnähe, einer apokalyptischen Ausweglosigkeit und dem sicheren Gefühl, daß niemand sicher sein kann zu Werke.
Der Einstieg erfolgt mit dem scheinbaren "Patienten Null" am, wie eine Einblendung verrät, Tag 2 der Seuche. Das Opfer ist immerhin gleich eins der prominentesten Gesichter: Gwyneth Paltrow, die nach einer Geschäftsreise in Hongkong und einem Schäferstündchen mit einem alten Liebhaber in Chicago mit Grippesymptomen zu ihrem Mann (Matt Damon) und Sohn nach Hause zurückkehrt und binnen 36 Stunden tot ist. Kaum ist sie im Krankenhaus überraschend verstorben, folgt ihr kleiner Sohn der Mutter und läßt einen ratlosen und immunen Ehemann zurück.
In der Folge erzählt die Geschichte das Ausbreiten der Seuche auf dem gesamten Erdball, während die Weltgesundheitsorganisation (hier ist als Sprecher Armin Rohde als deutschsprachiger Vertreter dabei) und die Seuchenschutzbehörden bemüht sind, keine Panik aufkommen zu lassen und ihre Handlungsunfähigkeit in langerprobten Krisenprotokollen zur Isolierung aller Infizierten zu kaschieren.
Das bedeutet konkret, die Frustration auf der Suche nach der Identifikation des Virus und einer Impfung bzw. eines Gegenmittels; die Untersuchung des Ausbruchs zum Zwecke der Rückverfolgung des Auslösers; die Vorbereitung auf eine weltweite Seuche und schließlich praktisch den Zusammenbruch der Zivilisation in all den bekannten Facetten.
Dreh- und Angelpunkt der Aufmerksamkeit ist dabei die weltweite Vernetzung und das Zusammenrücken der Menschheit auf einem stark bevölkerten Planeten. Alle sind mittels Flugzeugen erreichbar, was bedeutet, daß sich Seuchen um so schneller und unbemerkter ausbreiten können. Eine Eindämmung wird praktisch unmöglich gemacht.
Die Krankheit wird mittels Hautkontakt übertragen, so daß die Nähe zu anderen Menschen, eine Berührung, eine Annäherung oder auch nur das Anfassen eines Gegenstands zur Gefahr wird, da wir Menschen uns praktisch ununterbrochen selbst berühren, speziell im Gesicht.
Die menschliche Nähe, die uns nach weitläufiger Meinung ja inzwischen fast abhanden gekommen sein soll, wird nun zur drohensten Gefahr und es stellt sich als bittere Ironie heraus, daß wir noch zurückgezogener, noch isolierter leben müssen, um ein Überleben weitestgehend zu sichern.
Gleichzeitig ist die Vernetzung mittels des allgegenwärtigen Internets hier auch noch Fluch und Segen zugleich: zwar kommt man einigen Fällen so schneller auf die Spur, jedoch erweist sich ein militanter Blogger mit ausgeprägtem Ego (hier ist Jude Law in einer besonders hassenswerten Rolle zu sehen) als größte Gefahr, weil er eine homöopathische Kur aus dem Ärmel schüttelt, ohne je krank gewesen zu sein. Einerseits ist die Gier nach Geld, nach bisher versagter Anerkennung der Antriebsfaktor, andererseits beeinflußt er damit den Verlauf der Katastrophe, denn die Jagd nach der Forsythientinktur löst ein riesiges Chaos aus, da man dem Internet generell mehr Glauben schenkt, weil Behörden und Obrigkeit dank ihrer Verschleierungstaktik zur Aufrechterhaltung der Ordnung automatisch angezweifelt werden.
Aber niemand kommt in "Contagion" unbeschadet davon, es gibt keine klaren Helden, keine echte Siegermentalität. Der führende Wissenschaftler begeht schließlich den entscheidenden (zutiefst menschlichen) Fehler, eine Freundin warnen zu wollen - und löst damit eine landesweite Massenpanik erst aus. Später, als es einen Impfstoff gibt, wird ständig gemutmaßt, die Obrigkeit würde separat Serum zugeteilt - was letztendlich auch stimmt. Bis es jedoch soweit ist, sind Millionen gestorben - und dabei sind einige der Hauptfiguren.
Obwohl Blogger Allen am Ende eine Prozesslawine droht, hat er zum Teil schließlich doch recht gehabt, die Absichten und Vorteile für die Pharmaindustrie sind nicht abzusehen, die Welt ist noch lange nicht gerettet, schließlich dauert das Impfen der Weltbevölkerung fast ein komplettes Jahr. Und die Wissenschaftlerin, die schließlich das Gegenmittel findet, sieht keinen anderen Ausweg, als ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um auf eine vage Möglichkeit hin alles für die Menschheit zu riskieren.
Soderberghs Film belehrt nicht, aber er legt den Finger auf die Wunde der Wahrscheinlichkeiten - praktisch alles, was man sieht, kann tatsächlich so passieren, inclusive des am Ende (nur für das Kinopublikum, nicht für die Filmfiguren) nachgelieferten Auslösers, der in seiner Natürlichkeit geradezu anrührend wirkt.
Aber der komplette Film wirkt trotz seines grauenhaften Inhalts niemals sensationsheischend oder besonders rührselig, sondern eher typisch und unausweichlich - so ist "Contagion" auch weniger ein typischer Seuchenthriller wie "Outbreak", stattdessen ein Personendrama über das Verhalten in Extremsituationen, wenn jeder doch vor seiner eigenen Tür kehrt oder diese lieber zum Überleben geschlossen hält. Da das Emotionale auf der großen Skala ausgespart wird, fallen allerdings die Schrecken des Massensterbens mittels Nennung von Zahlen etwas weniger eindrucksvoll aus - und da man auf explizite Details verzichtet, nimmt Soderbergh so einigen Begleitumständen etwas den Schrecken. Vollgemüllte Straßen, ein paar Massengräber, einige Schlägereien und einige tätliche Angriffe (ggf. Morde), sind schlußendlich kein Ersatz für die Ahnung der Apokalypse, die dann hier doch etwas fehlt, nicht als Schauwert, sondern als Unterstreichung.
Aber abgesehen davon ist der Film wie der Virus in ihm: ausgesprochen effektiv. (8/10)