Nur wenige Jahre ist der Ausbruch der H5N1 und H1N1 Viren her - allgemein wohl besser bekannt als Vogel- bzw. Schweinegrippe. Auch wenn eben jene Krankheiten von vielen lediglich als mediales Ereignis wahrgenommen wurden, brannten sich diese Namen doch ins kollegiale Gedächtnis. Wie es wohl aussähe, wenn sich die Ausbreitung eines solchen Erregers noch um einige Stufen drastischer und unberechenbarer gestalten würde, analysiert Steven Soderbergh in seinem neusten Werk: Sein mit einem Star-Ensemble aufwartendes Epidemie-Drama “Contagion” erweist sich als realistisch-beklemmende Schreckensvision, deren ungewöhnliche Spannungskurve aufgrund der eindringlichen Bilder und ergreifenden Schicksalsschilderungen gerne in Kauf genommen wird.
Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow) kehrt von einer Geschäftsreise aus China zu ihrem Mann Mitch (Matt Damon) heim. Ihre anfänglich als Jetlag abgetane Übelkeit stellt sich bald als gefährliche, da höchst ansteckende Virus-Infektion heraus - kurze Zeit später ist sie tot, ebenso wie dutzende weitere, über den ganzen Erdball verteilte Menschen. Das US-Zentrum für Seuchenkontrolle beauftragt Dr. Cheever (Laurence Fishburne) sowie Dr. Mears (Kate Winslet) damit, sich der Bedrohung anzunehmen. Währenddessen soll Dr. Orantes (Marion Cotillard), Mitarbeiterin der Weltgesundheitsorganisation, in Hongkong die Quelle der Krankheit ausfindig machen. Der Enthüllungsjournalist Alan Krumwiede (Jude Law) glaubt indes den offiziellen Meldungen der Regierung nicht und publiziert stattdessen seine eigenen Ansichten zur sich rasant zuspitzenden Lage…
Bereits nach den ersten Opfern wird klar ersichtlich, mit welcher Radikalität die Katastrophe illustriert wird - hier kann es jeden treffen, weder eine bestimmte Altersklasse noch von namhaften Schauspielern verkörperte Protagonisten sind vor einem frühzeitigen Ableben geschützt. Die Durchbrechung dieser oft üblichen dramaturgischen Einschränkungen erschafft eine knisternde Unberechenbarkeit, die den weiteren Verlauf unvorhersehbar und mitreißend gestaltet. Die allgegenwärtige Nähe zur Realität und der Gedanke daran, dass solche Gegebenheiten in ähnlicher Form tatsächlich geschehen könnten, lassen das Szenario dabei ausgesprochen beklemmend wirken. Die intensiven Bilder geplünderter und nun menschenleerer Städte unterstreichen dieses bedrückende Gefühl.
Diese aufwühlenden Aufnahmen werden gewollt unspektakulär in Szene gesetzt. Auf nüchterne, beinahe schon dokumentarische Weise verfolgt man mehrere Einzelschicksale und lässt dabei die Ereignisse und Taten der Personen für sich sprechen - eine künstliche Dramatisierung ist hier nicht erforderlich. Als zentraler Verbindungspunkt dient die Figur von Laurence Fishburne, dessen hochrangiger Seuchenexperte mit einer starken Ambivalenz punkten kann. Trotz seiner Verstrickung in ein Geflecht aus Vertuschungen und Hinhaltetaktiken ist seine Hingabe jederzeit spürbar - seine vermeintlichen Fehltritte mögen ungerecht erscheinen, sind im Endeffekt aber zutiefst menschlich und nachvollziehbar.
Den Gegenpol dazu repräsentiert der nicht minder zwiespältige Blog-Schreiber Alan, welcher von Jude Law mit viel Schneid dargestellt wird. Seine anfänglich so noble Aufklärungsmission verliert schon bald ihr eigentliches Ziel aus den Augen, der Drang zur Wahrheit wandelt sich zur opportunistischen Selbstbereicherung. Als in einer TV-Sendung schließlich Laws geheuchelter Idealismus auf die vorgetäuschte politische Korrektheit von Fishburne trifft, fällt es schwer, sich stringent auf eine der beiden Seiten zu schlagen. Zugegebenermaßen um einiges eindimensionaler, aber nach wie vor gelungen zeigt sich Kate Winslet als dezent überforderte Außendienstkraft, welche sich mit der Engstirnigkeit der staatlichen Entscheidungsträger auseinander setzen muss - das teils zögerliche und verharmlosende Verhalten der Politik wird hier äußerst kritisch hinterfragt.
Doch nicht nur die Staatsherren werden bloßgestellt, auch den normalen Bürgern wird ihr hässliches Spiegelbild vor Augen gehalten. Es dauert nicht lange, bis die Krise Plünderungen und Überfälle hervorruft; der erwartungsgemäße Verfall moralischer Sitten wird ungeschönt dargelegt. Inmitten dieses Chaos brilliert Matt Damon als fürsorglicher Familienvater, dem nach schweren Schicksalsschlägen nun nur noch am Schutz seiner Tochter gelegen ist. Die Tatsache, dass sich diese trotz ihrer Unzufriedenheit über die einengende Situation doch verständnisvoll und kooperativ gibt, verdeutlich einmal mehr, dass Soderbergh seine glaubwürdigen Charaktere ernst nimmt - auf klischeehaften Vater-Teenager-Streit wird verzichtet. Es ist das berührende Zusammenspiel der beiden, welche diese Episode zur emotional ergreifendsten macht.
Lediglich Marion Cotillards kurzes Kapitel weiß nur relativ wenig zu packen. Obwohl man ihre detektivische Spurensuche anfangs interessiert verfolgt, verschwindet sie nach einem Twist zu lange und verliert somit die Bindung zum Zuschauer, ehe sie wieder auftaucht. Dieser kleine Makel ist jedoch zu verschmerzen, fällt er doch durch das runde Gesamtbild, welches das stark, aber nie aufdringlich spielende Star-Ensemble vermittelt, nicht allzu sehr ins Gewicht. Etwas ärgerlicher ist hingegen, dass die Spannungsspitze schon weit vor Filmende erklommen wird. Somit bietet das letzte Drittel zwar eine Bühne für große menschliche Gesten und Gefühle, kann jedoch nicht die bis dahin konstant unwohle Anspannung aufrecht erhalten.
Fazit: Steven Soderbergh bricht in “Contagion” seine erschreckend-realistische Vision einer auf globalen Maßstab wütenden Epidemie auf eine Handvoll Einzelschicksale herunter und gibt seinem starken Ensemble namhafter Darsteller so die Möglichkeit, ebenso ambivalente wie emotional ergreifende Charaktere zu erschaffen. Die aufwühlenden, aber nie überzogenen Geschichten werden in nüchtern fotografierten und gerade deshalb sehr bedrückenden Bildern festgehalten, wodurch sich eine äußerst beklemmende Atmosphäre entfalten kann. Auch wenn das flaue Empfinden gegen Ende hin nicht mehr so intensiv ausfällt, möchte man nach dem Kinobesuch instinktiv doch vor allem eins tun: Sich gründlich die Hände waschen.
9/10