„Pfadfinder wollen wir hier nicht haben!“
Nach seinem „Tatort“-Debüt „Medizinmänner“ aus dem Jahre 1990 inszenierte Peter Carpentier auch die erste im neuen Jahrzehnt ausgestrahlte Duisburger Episode: „Bis zum Hals im Dreck“ feierte seine Premiere am 09.06.1991. Auch dieser „Tatort“ entstand nach einem Drehbuch des Hänschen-Darstellers Chiem van Houweninge, das dieser mit Ko-Autor Wolfgang Hesse verfasst hatte. Es handelt sich um den 27. und somit vorvorletzten Einsatz des Duisburger Kripo-Teams um Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik).
„Du bist ‘n richtiger Beamtenarsch geworden!“
Auch ein Schimanski hat mal Urlaub, also fährt er mit seinem Motorrad aufs Land, schlägt irgendwo sein Zelt auf und hängt die Angel in den See – bis der Dorfpolizist (klasse: Horst A. Fechner, „Didi und die Rache der Enterbten“) kommt, ihn anmotzt, weil er keinen Angelschein hat, und er auch noch eine junge Frau (Ilona Schulz, „Linie 1“) retten muss, die hilflos im See planscht, nachdem ihr Gaul sie abgeworfen hat. Nachdem er sie zu ihren Eltern auf den Bauernhof gebracht und dort erfahren hat, dass sie am nächsten Tag den Tierarzt des Dorfs heiraten würde, muss er feststellen, dass die örtlichen Bauerntrampel sein Zelt zerstört haben. Immerhin hat er aber die Einladung zum Polterabend in der Tasche und so sieht man sich alsbald wieder. Die Nacht vor der Hochzeit endet jedoch tödlich für den Bräutigam (Max Herbrechter, „Herz in der Hand“), der mit einem Seil erhängt an einem Baum aufgefunden wird. Weder Schimanski noch Silke, so der Name der verzweifelten jungen Frau, glauben an einen Selbstmord, sodass Schimmi auf seinen Urlaub pfeift und die Kripokollegen um Mithilfe bietet…
„Zwei feuchte Augen, ‘n hübscher Arsch und ‘ne rührselige Geschichte...“
Die Exposition ist eine schöne Antiwerbung gegen das Campen, und wer möchte, kann sich an einem splitternackten Götz George erfreuen, der in den See springt. Der weitere Verlauf ist vor allem von verschwiegenen, aber umso fieseren Bauern geprägt, die Schimmi und Co. zusetzen, wo sie nur können, und keinerlei Hehl aus ihrer Antipathie machen. Zeitweise inszeniert Carpentier all das sehr komödiantisch, inklusive Running Gags, Slapstick-Einlagen und Thanner in alberner Motorrad-Sicherheitskluft. Das ist gelungen, weil wirklich witzig, nimmt dann und wann aber etwas die Brisanz, vor allem aber die Tragik heraus. Erstere kehrt zurück, als die auf realen Vergehen der Landwirtschaft beruhenden Schweinereien herauskommen, die die Bauerntölpel mit illegalen Hormonpräparaten im Zuge ihrer Kälbermast praktizierten und mit dem Tod des Tierarztes zusammenhängen. Ganz so einfach wie es zunächst scheint ist die Lösung dann aber doch nicht, das Drehbuch setzt noch einen drauf und offenbart einen Moloch, in dem kaum jemand wirklich unschuldig ist.
„Also Mord, ist doch wunderbar!“
„Bis zum Hals im Dreck“ ist ein Abgesang aufs Landleben und jegliche Dorfromantik, wie die urbane Kripo nicht erst im harschen, vielleicht etwas arg bemüht auf Western getrimmten Finale feststellen muss. Das sorgt für Abwechslung innerhalb der Duisburg-Tatort“-Sujets, der Tapetenwechsel hat seinen Reiz – wenngleich Schimanski die Dorfluft anscheinend derart gut bekommt, dass er überraschend vernünftig bleibt und sich keinerlei Eskapaden hingibt. Damit wird jedoch das Potential der Figur Schimanski unterhöhlt, denn der Culture Clash zwischen dem Stadttrinker und Lebemann auf der einen und der Dorfgemeinschaft auf der anderen Seite hätte doch eigentlich Stoff für reichlich Alkoholgenuss und Eskalation geboten. Stattdessen präsentiert man einen etwas sehr zahmen Schimmi. Nur in seinen Frotzeleien mit Thanner ist er ganz der Alte, und unterhaltsam ist die ganze Chose allemal. Zudem wurde darauf geachtet, dass die Bauern nicht allzu schlecht wegkommen: Im Auftritt eines Politikers, der den Dörflern die gesunkenen Abnahmepreise für Fleisch zu erklären versucht, steckt natürlich ein unverblümter Hinweis auf die wahre Ursache der Misere und damit Kritik an der kleinbauerfeindlichen Politik – woran sich bis heute leider kaum etwas geändert hat. Und auch untätige Dorfbullen, die es sich in ihrer Nutzlosigkeit bequem eingerichtet haben und nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind, bekommen ihr Fett weg.
Musikalisch beglücken uns erneut Tangerine Dream, die ihre Soft-Komposition „I Just Want To Rule My Own Life Without You” von Chi Coltrane singen lassen – ein letztes Aufbäumen des ‘80er-Pop-Saxophons, bevor die ‘90er populärkulturell vollends um sich griffen. Und tatsächliche meine ich, ein wenig Abschiedsmelancholie bereits in der Atmosphäre dieses „Tatorts“ ausgemacht zu haben…