„Die Drogenfahndung singt: ,Leise rieselt der Schnee‘…“
Nach dem Durchhänger mit der Episode „Einzelhaft“ riss der Stammregisseur und Miterfinder der Duisburger „Tatort“-Reihe um die Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik) wieder das Ruder herum: Hajo Gies verfilmte das Drehbuch des Autorentrios Axel Götz, Jan Hinter und Thomas Wesskamp mit viel Verve, woraufhin der am 28. Dezember 1988 erstausgestrahlte 20. Einsatz „Moltke“ sogar einen Grimme-Preis für Regie und Hauptdarsteller einheimste.
„Na dann: Frohes Fest!“
Duisburg, Vorweihnachtszeit: Thanner und Schimanski sind beim Weihnachtsbaumkauf, als sie im Kofferraum ihres Wagens den Immobilienbauherrn Gerd Gress (Jürgen Heinrich, „Der Himmel über Berlin“) gefesselt und geknebelt vorfinden. Man hat ihm eine Flasche Danziger Goldwasser mit hineingelegt, die Schimmi als Zeichen des jüngst nach Absitzen einer neunjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassenen polnischen Bankräubers Zbiginiew Pawlak (Hubert Kramar, „Karambolage“) deutet und Gress somit kein Wort glaubt, als dieser etwas von Skinheads fabuliert. Pawlak gehörte 1978 zu einer Gangsterbande, die eine Bank überfallen hat. Als sein Bruder, einer der Mittäter, angeschossen wurde und in die Fänge der Polizei zu geraten drohte, wurde er vom Anführer der Bande ermordet. Pawlak blieb am Tatort zurück und wurde als einziger gefasst und verurteilt. Seitdem hat er kein Wort mehr über den Bankraub verloren, was ihm seinen Spitznamen „Moltke“ einbrachte. Schimanski wähnt Pawlak auf einem Rachefeldzug gegen seine ehemaligen Komplizen und Gress als einen von ihnen, kann dies jedoch noch nicht beweisen. Gress‘ Anwalt Stefan Cantz (Gerd Silberbauer, „Der Landarzt“) holt ihn schnell wieder aus dem Verhör heraus, doch Schimanski heftet sich an den schweigsamen, aber umso entschlosseneren Pawlak. Dennoch kann er nicht verhindern, dass zwei der damaligen Mittäter ermordet werden, weshalb die Polizei um Schimmis Partner Thanner nun ebenfalls hinter Pawlak her ist…
„Ich glaube, ich war einfach zu feige, Gangster zu werden!“
Angesichts der hier ständig irgendwo im Hintergrund gesungenen Weihnachtslieder handelt es sich um einen regelrecht saisonalen „Tatort“, ein „Fest der Gnade“ feiert er über weite Strecken dennoch nicht. Die Ereignisse aus dem Jahre 1978 werden in einer Schwarzweiß-Rückblende nacherzählt, bevor sich Schimmi und Thanner in versöhnlichen Bildern mit der Unterwelt in einer Kneipe betrinken, wo Thanner gar mit Pawlaks Schwägerin Ariane (Iris Disse, „Die Katze“) anbändelt, bevor man betrunken durch die Straßen zieht. Natürlich handelt es sich dabei um streng dienstliche Ermittlungsarbeit, doch auch aus dem abgefüllten Pawlak ist nichts herauszubekommen. Im weiteren Verlauf wird Schimmi noch eine sagenhafte Show in einem Beach-Club abziehen, während Thanner die Düsseldorfer Drogendezernatsleitung angeboten wird.
„Die nächste Leiche kommt bestimmt!“
Spektakulär auch, wie Pawlak Schimanski in einen Käfig sperrt und Raubkatzen auf ihn hetzt – und wie wenig nachtragend der Beamte ist… Wesentlich genervter reagiert er darauf, dass Thanner ihm permanent dazwischengrätscht, indem dieser, koste es, was es wolle, Pawlak verhaften will. Generell ist mit Thanner diesmal nicht gut Kirschen essen; einem Kollegen droht er gar an, ihm die Fresse zu polieren. Dass Schimanski und Thanner also einmal mehr gegen- denn miteinander arbeiten, trägt ebenso zum Unterhaltungswert dieses „Tatorts“ bei wie der diesmal in erster Linie für trockene Sprüche und lakonischen Humor zuständige Hänschen („Wenn ganz Deutschland gegen dich ist – Holland steht hinter dir.“) und die ambivalente Figur des formidabel vom hünenhaften Hubert Kramar verkörperten Pawlak, der stoisch, festentschlossen und gefährlich, andererseits aber auch verletzlich und nicht unsympathisch wirkt.
„Wir sind kein richtiges Team mehr.“
Innerhalb der Handlung wird auf Grundlage der Gress-Figur nicht nur Kritik an unlauteren Immobiliengeschäften laut, gewissermaßen schlägt dieser „Tatort“ auch die Drücke von klassischen Gangstern mit ihren Raubüberfällen zu den Nobelverbrechern aus der Oberschicht, denn während Pawlak in den Knast wanderte und sein Bruder ermordet wurdet, sind die Komplizen die Treppen heraufgefallen und haben nun entsprechend viel zu verlieren. Statt nach unten tritt Schimanski nach oben und begibt sich auch damit in Gefahr. Und so ganz nebenbei maßregelt er auch noch ein paar halbstarke Nachwuchsfaschos. Ferner werden zumindest in Ansätzen Selbstjustiz und Religiosität thematisiert und miteinander in Verbindung gebracht. Das ist alles temporeich inszeniert und dramaturgisch gewitzt dargeboten, die Verleihung des Grimme-Preises ist gut nachvollziehbar. Einen halben Punkt Abzug gibt’s jedoch aufgrund des Dieter-Bohlen-Malus: Im von seinem „Blue System“-Projekt beigesteuerten Musikstück „Silent Water“ versucht er furchtbarerweise, wie Bonnie Tyler zu klingen und verdeutlicht, wie möchtegerntiefsinnig seine mit viel Hall und Synthies auf atmosphärisch getrimmte Komposition ist. Zu allem Überfluss hat er sich auch noch einen vollkommen überflüssigen Gastauftritt erschlichen, ist mit seiner Antifrisur aber zumindest für einen Lacher gut. Einen besseren Eindruck hinterlässt der junge Ludger Pistor („Balko“) in einer Nebenrolle. Daher 7,5 von 10 Immobilienhaien im Kofferraum für „Moltke“ und ein Duisburger „Tatort“-Team unter Gies in Topform!