Kingsche Mini-TV-Serien bestärken stets die Gegner von Romanverfilmungen. Atmosphärisch sogar oft recht spannend, qualitativ ansonsten aber unsagbar schlecht, wird die Unverfilmbarkeit der Essenz eines Romans hier immer besonders deutlich. Dabei haben die Befürworter von Romanverfilmungen ja inzwischen einen Peter Jackson auf ihrer Seite, der das als unverfilmbar geltende Tolkien-Mammutprojekt “Der Herr der Ringe” bravourös auf die Beine stellte, wo man ihm nur genug Platz ließ.
Es gibt aber halt auch genug Gegenbeispiele. 1947 drehte Regisseur und Darsteller Robert Montgomery seinen Film “Die Dame im See” mit einer speziellen subjektiven Kameratechnik. So wollte er die zentrale Position der Hauptfigur Philip Marlowe herausstellen, die Romanautor Raymond Chandler durch die Verwendung der Ich-Perspektive darstellte. Das Experiment scheiterte; die subjektive Darstellung als Ersatz für die egozentrierte Erzählweise im Roman hat sich bis heute nicht durchgesetzt.
Die Begründung liegt auf der Hand: Film und Buch sind zwei vollkommen unterschiedliche Medien. Das eine literal, das andere audiovisuell. Man kann nicht einfach ein Buch nehmen und sich Stück für Stück daran entlang hangeln und so hoffen, dass die Essenz des Romans sich hundertprozentig auf das Zelluloid überträgt. Stanley Kubrick wusste das und hat aus Kings Bestseller “The Shining” eine Eigeninterpretation gemacht, die King selbst überhaupt nicht gefiel, aber nur so diese grenzenlose Genialität erreichte, die dem 1980er-Film nun mal anhaftet und der von King abgesegneten TV-Neufassung von 1997 eben nicht. Peter Jackson wusste es auch, nur wäre Tolkien wahrscheinlich trotzdem von dessen Werk zutiefst gerührt gewesen.
King, den ich persönlich aufs Höchste verehre und der zweifellos ein Meister des geschriebenen Wortes ist, muss ob seiner unbestreitbaren Qualitäten noch lange kein fähiger Filmschaffender sein. Das hat spätestens seine höchst umstrittene Regiearbeit in “Rhea M.” bewiesen. Und mit Filmdrehbüchern sieht das nicht viel anders aus.
Auf einem solchen der Marke “King” basiert nämlich die dreiteilige TV-Serie “Haus der Verdammnis” von 2002. Mit der Romanvorlage selbst hatte der Horror-Meister dabei nur indirekt etwas zu tun. Das ebenfalls 2002 erschienene “Tagebuch der Ellen Rimbauer” stammt nämlich eigentlich aus der Feder des von King beauftragten Ridley Pearson, wobei um den Autoren lange Zeit ein Geheimnis gemacht wurde. Es hieß sogar, die im Film von Nancy Travis verkörperte Joyce Reardon oder gar Ellen Rimbauer selbst habe den in Tagebuchform geschriebenen Roman verfasst. Damit schlug man einen altbekannten Weg ein, den zuvor schon Filme wie “Das Omen” und “Blair Witch Project” beschritten hatten: Mythenbildung durch Einbau von realen Ereignissen und das Vorgaukeln tatsächlich geschehener Ereignisse; zumal das im Film gezeigte Anwesen der Ellen Rimbauer angeblich tatsächlich in Seattle stehen soll.
Die Story an sich ist dabei durchaus auf Stephen King zurückzuführen. Ein Jahrzehnt trug er die Geschichte mit sich herum. Wenn ich mich recht erinnere, sollte der von Jan de Bont inszenierte 1999er Spukhorror “Das Geisterschloss” sogar von Stephen King mit einem Drehbuch versorgt werden, das sich dann wohl aus jener Geschichte ergeben hätte; wäre da nicht sein tragischer Autounfall im Sommer 1999 gewesen, der ihn zunächst lange Zeit vom Schreiben abhielt.
Drei Jahre später war es aber so weit. Die Geschichte der Ellen Rimbauer erhielt eine Romanumsetzung sowie eine Verfilmung im TV-Format, für welche King dann endlich die Drehbuchvorgabe liefern konnte.
Und wie es halt mit King so ist: Er denkt in literaler Form, sieht die Wörter, Gedrucktes auf Papier, und die Wirkung, die jene Wörter beim Leser hinterlassen. Aber funktionieren diese Wörter auch als Drehbuchvorgaben?
Die Antwort: Nein.
Hatten schon “The Stand” und teilweise auch “ES” und “The Shining” unter den anormalen und bisweilen dennoch enorm klischeehaften Verhaltensweisen der Charaktere und deren Dialogen zu leiden, so trifft das im Fall von “Haus der Verdammnis” mehr zu als überall sonst. Dabei sind King-Leser jene Verhaltensweisen aus den Romanen zweifellos gewohnt. Es geht oft um Freundschaft, und nicht selten gibt es wirklich emotionale Freundschaftsbekundungen, umgekehrt auch negative Emotionen, die hier aber allesamt funktionieren. Wo ist der Unterschied?
Zunächst einmal hat der Regisseur, in diesem Fall Craig R. Baxley, nicht die Mittel zur Verfügung, über die der Romanautor verfügt. Seine Perspektive kann immer nur die zunächst einmal objektive Kamera sein. Über die Kamera lassen sich keine Emotionen ausdrücken, das muss alles über die Gesichter der Schauspieler geschehen. Sie ist auch nicht dazu fähig, innere Gedankenkonstrukte zu erstellen, stumme Monologe zu führen oder spezielle Elemente hervorzuheben - die Worte des Autoren schon.
Um die Emotionen also glaubwürdig darzustellen, bedarf es einer subjektiven Perspektive, die dem Filmregisseur bzw. seinem Kameramann einfach nicht gegeben ist. Die Folge: Wir haben neun um Charaktervielfalt bemühte Figuren vor uns, dem TV-Serien-Niveau entsprechend nicht einmal mit besonders überragenden Darstellern besetzt. Und diese Figuren sollen nun dem Drehbuch zufolge jene Emotionen hervorrufen, wie sie im Roman zur Geltung kommen würden. Das ist ganz einfach ein Ding der Unmöglichkeit, wie schon die zugegeben sorgfältige und ob ihrer Abwechslung ansonsten interessante Einführung der zentralen Charaktere unter Beweis stellt. Ganz speziell Nancy Travis’ Figur leidet den ganzen Film über unter akuter Wechselhaftigkeit. Wo sie das langsame Abdriften in den Wahnsinn darstellen soll, überrascht sie den Zuschauer (natürlich negativ) schon ziemlich zu Beginn in der Universität mit einer Psycho-Aktion, indem sie den Uni-Direktor mit ihrem eigenen Blut beschmiert. Andererseits agiert sie in manchen Sequenzen gegen Ende sogar noch mit absoluter Rationalität, was ganz einfach nicht so richtig glaubwürdig ist. Natürlich ist die menschliche Psyche komplex und das Wahnsinnigwerden verläuft sicherlich nicht linear, aber wenn man ihre Charakterentwicklung verfolgt, hat man nur ein einziges Wort im Kopf: Absurd.
Nun hat das in ihrem Fall zu einem großen Anteil auch etwas mit dem fehlenden schauspielerischen Feingefühl zu tun, denn Kollege Steven Weber aus “Shining” hatte fast die gleiche Aufgabe (was man by the way auch als Eigenplagiat auslegen kann) und war imstande, sie deutlich besser zu erfüllen. Allerdings zeigen auch alle anderen Schauspieler ähnliche Symptome, und ich will bezweifeln, dass das alles auf die fehlende Schauspielerqualität zurückzuführen ist. So haben wir mit Julian Sands ja immerhin einen ziemlich erfahrenen Darsteller an Bord, der ja nun auch schon an beinahe 50 Projekten mitgewirkt hat. Er ist sowieso hier ein Sonderfall. Anfangs schlägt man ob seiner Performance die Hände über dem Kopf zusammen; später mischt sich ein ironisches Augenzwinkern in sein Spiel ein, das dem Zuschauer irgendwie zuflüstert: “Hey, ich weiß, wie dämlich sich meine Figur benimmt. Nehmt die ganze Chose hier bloß nicht zu ernst!”.
Das ist aber leider nur ein erfreulicher Einzelfall, denn der Rest der Crew besteht wirklich aus schauspielerischem Fallobst. Es ist kaum ein Wunder, dass man ständig überlegt, welche guten Hollywood-Schauspieler für die jeweiligen Rollen in Frage kämen, würde die Story mal ernsthaft verfilmt werden... so als echter Film. Nehmen wir etwa Kimberly J. Brown, die mit der autistischen Annie Wheaton wohl die schwierigste Aufgabe hatte. Leider sieht man ihr genau das an. Meistens soll sie mit zweideutigen Blicken an der Kamera vorbeigrinsen und damit die Botschaft “Ich weiß was, was ihr nicht wisst” vermitteln - was aber oftmals eher nach “Ich hab gerade einen fahren lassen” aussieht. Kevin Tighe (Victor Kandinsky), eigentlich auch ein erfahrener Mann, hat so einen miesen Ausdruck des Entsetzens in seinem Repertoire, dass man ihn am liebsten wieder auf die Schauspielschule schicken möchte. Und Matt Keeslar (Steve Rimbauer) läuft mit einer solchen Teilnahmslosigkeit durchs Bild, dass man ihm eine der Schlüsselrollen überhaupt nicht anmerkt. Einzig Matt Ross rockt als Emery das Haus - wenn man auf Trash steht. Der Wannabe-Lover von Patrick Bateman aus “American Psycho” übertreibt sein sauertöpfisches Spiel als Muttersöhnchen derart genussvoll, dass es an Leidenschaft grenzt. Wundervoll, wie er bis fünf zählt, um die Geister verschwinden zu lassen, wie er sie später wegpustet, als wäre er der böse Wolf und sie die kleinen Schweinchen, wie er am Ende eine Handbewegung macht, als sei er Gandalf der Graue, und das Fenster explodieren lässt.
Was recht bemerkenswert gelöst wurde, das ist der strukturelle Aufbau und die Verteilung des doch recht dünnen Stoffes über vier Stunden, ohne es auch nur einmal wirklich langweilig werden zu lassen. Wie schon angedeutet, gibt es zunächst eine ausführliche Exposition, die jedoch aufgrund der Charaktervielfalt immer kurzweilig bleibt. Charaktertiefe oder Identifikationspotenzial wird durch die charakterliche Inkonsequenz aller Figuren zwar nicht erreicht, aber doch unterhaltsam Zeit gefressen. Intrigen an der Uni, Neugierige Professoren-Arschkriecher, Liebschaften zwischen Professorin und Verdammnis-Haus-Erber, Mutti-Komplex, Familienprobleme mitsamt der Behandlung von Autismus, erste seltsame Vorfälle gepaart mit handfester Action, und das alles gemixt mit ersten Vorzeichen aus dem verfluchten Haus - welche übrigens enorm an “ES” erinnern, wo der “Club der Verlierer” sich nach Jahren wieder in Derry trifft und jedes einzelne Mitglied vom Clown persönlich besucht wird.
Nach und nach werden wir zudem mit Rückblenden erfreut, denen man in manchen Szenen zwar ihre Billigkeit ansieht, die manchmal aber wiederum auch recht überzeugend umgesetzt wurden. Farbfilter verfremden das Geschehen hier optisch und trennen es von der Realität ab, Kostüme und Location wurden in eine andere Zeit gesetzt, genau wie der Zuschauer. Gleichermaßen erhält die TV-Serie damit mehr Substanz, als dies ohne die Rückblenden der Fall gewesen wäre.
Strukturell kommt es erst nach der Ankunft in Rose Red zu einigen Hängern, denn nachdem man sich gemütlich einquartiert hat, bleibt die Dramaturgie auf der Strecke. Mal offenbart sich wie ein finaler Höhepunkt eine Lichtergestalt, bevor plötzlich in der nächsten Szene gemütlich gefrühstückt wird. Dann ist mal wieder was Grauenvolles passiert, bevor die Restbestände der Crew im Haus die Partyfetzen fliegen lassen. Hier kommt auch irgendwann der Meister himself ins Spiel, der mal erwägen sollte, mit seiner schrägen Fratze dauerhaft ins Comedy-Geschäft einzusteigen. Seine Pizzaboten-Performance ist jedenfalls ein Knaller.
Atmosphärisch gibt es rein gar nichts zu beanstanden. Im Rahmen der 245 Minuten taucht man früher oder später voll und ganz in dieses Mini-Universum ein und wird mit dem Abspann beinahe wachgerüttelt. “Schuld” ist das prächtig gelungene Areal, auf dem sich über zwei Drittel des Films abspielen. Rose Red ist ein architektonisches Prachtstück, dem man sofort abnimmt, dass es seine Raumanzahl stetig erweitert und variiert. Ob nun die Lobby, die Schlafräume, die Küche, die skurrilen Zimmer mit den umgedrehten Wänden, die langen Gänge - das Setting ermöglicht das Eintauchen in diese Welt mehr als so mancher Film und wird in seiner Effektivität nur durch die teilweise unzureichenden Regieleistungen des Craig R. Baxley vermindert. Perfekt wird es durch den mysteriösen Garten, voller Laub, skelettartiger Bäume und unheimlicher Bauten. Für die Monster und Geister ergeben sich hier mehrmals köstliche Gelegenheiten, sich zu präsentieren. Einer meiner Favoriten war das nächtliche Verstecken des Sukeena-Monsters (Tsidii Leloka) im Gebüsch vor dem Küchenfenster, als es für einen Sekundenbruchteil von dem Schein der Taschenlampe erfasst wird; ein anderer die geisterhafte Erscheinung der Ellen Rimbauer (Julia Campbell) auf dem Treppenabsatz vor dem jungen Steve Rimbauer, mit verhülltem Gesicht, das eine Monsterfratze erahnen lässt.
Die Special Effects sind extrem durchwachsen und ähnlich sprunghaft wie die Verhaltensweisen der Darsteller. Einiges ist nicht schlecht geworden. Da wäre die Brunnenstatue zu nennen, die sich selbstständig macht, oder auch der Steinschlag. Anderes ist aber so peinlich schlecht, dass man gar nicht hinsehen mag. Da hätten wir Eiszapfen aus dem Heim-PC, einen Tanz in der Luft (der auch noch inhaltlich zum Schießen dämlich ist)... und das ist so ungeschickt miteinander kombiniert, dass man den Eindruck hat, ein unfertiges Produkt zu Gesicht zu bekommen, beinahe schon eine Art Rohschnitt mit provisorischen Effekten.
Dazu mischen sich animatronische Puppen, die mit gutem Willen durchaus positiv aufgenommen werden können. Irgendwie hat die Emery-Puppe ja was Schnuckeliges an sich. Und sonst werden die Monster und Geister ganz ansehnlich geschminkt. Frollein Sukeena sieht aus, als hätte sie das “Cabin Fever” befallen, der Schmierenreporter sieht aus wie ‘ne Wasserleiche, und Emerys Mom hat am Ende so richtig was von Kathy Bates’ “Misery”-Interpretation. Natürlich wird durch den Trash-Charme der Effekte ein wenig die düstere Atmosphäre verspielt, die man sich so schön aufgebaut hatte. Aber was soll’s denn. Nevermind.
Was bleibt übrig? Eine unterhaltsame, wenn auch schon zig mal variierte Grundidee; ein erfolgreicher Horrorroman-Autor, der versucht, seinen Stil per Drehbuch postwendend ins Medium Film zu adaptieren und damit kläglich scheitert; Schauspieler, die einerseits unter den Drehbuchvorgaben zu leiden haben und andererseits aus eigenem Antrieb aber auch nicht viel zum Gelingen des Projekts beitragen können; ein interessanter struktureller Aufbau mit großzügiger Exposition und Rückblenden, die aber schon nach einem Drittel im Sande verläuft; Special Effects, die von unglaublich mies bis ziemlich ordentlich auf der ganzen Palette was zu bieten haben; eine sehr gelungene Location, die für viel Atmosphäre und Kurzweil sorgt. Das reicht im Endeffekt für überaus zufriedenstellende Unterhaltung. Wer aber Anspruch erwartet, und sei es nur ästhetischer Art, der sollte bitter enttäuscht werden. Ursprung allen Übels ist die Idee, die Miniserie aufzubauen wie einen Roman, daran führt kein Weg vorbei. Wer aber das TV-Format gerne mit dem Kingschen Horror-Universum ausgefüllt sieht, der kann sich getrost auf das “Haus der Verdammnis” einlassen, sofern er etwas mehr unglaubwürdiges Verhalten der Charaktere akzeptieren kann als sonst.