Review

Der G8-Gipfel in Genua, Aufstände in Griechenland, brennende Autos in Paris und aktuell sogar verkohlte Häuser in London. Und bei uns? Da kommt einem höchstens der 1. Mai und seltsame Zeitphänomene á la Stuttgart 21 in den Sinn. Ja man könnte fast meinen seit dem Deutschen Herbst habe sich hierzulande in Sachen Aufstand gegen „die da oben“ nicht mehr all zuviel getan. Dabei haben wohl alle vergessen, dass es Mitte der 90er doch kurzzeitig so aussah, als wäre die Anarchie die Straßen einer großen deutschen Metropole zurückgekehrt: Chaostage Hannover ´95!

Die beinahe bürgerkriegsähnlichen Zustände auf den Straßen der Hannover Nordstadt sind nicht nur Gegenstand vieler Punklieder (und mindestens eines –samplers), sondern auch des hier vorliegenden Rezensionsexemplars. Von einem Film, egal ob im dokumentarischen oder eigentlichen Sinne, zu sprechen, kommt dabei der Sache nicht wirklich nahe. Im Grunde handelt es sich um so ziemlich alle aufgezeichneten, damaligen Fernsehbilder der Geschehnisse, unterbrochen durch kurze Ausschnitte aus Filmen, Serien und Werbungen der damaligen Zeit. Entgegen der eigentlich Prämisse des Dokumentarfilms, sind eben diese kurzen Einspieler extrem wertend und versehen die zuvor gesehen Nachrichtenstellen mit teils humoristischer, kritischer aber auch radikaler Note, die bisweilen etwas sauer aufstößt. Denn bei dem nicht völlig ohne Talent zusammengeschnittenen Werk, das ja – der Subkultur entsprechend - am Besten mit nicht zu geringen Mengen Gerstensaft genossen werden sollte, kann innerhalb von Minuten die vorherrschende Befindlichkeit von amüsiert zu betretener Scham wechseln. Es macht nun mal doch einen Unterschied, ob die Straßenschlachten im Kontext mit Djangos (ja, ich meine Franco Nero) Gattlingmassaker gezeigt werden, oder eben festgenommene Punks im Schnittwechsel mit KZ-Opfern. Da bleibt dann der ein oder andere errötete Blick zu Boden nicht aus. Nun gut, bei einer (anonymen) Punk-Eigenproduktion hatte wohl niemand einen ausgewogenen, objektiven Blick auf das Ganze erwartet, aber eben solche Einspieler vergällen einem dann doch ein wenig die Lust am Schauen.

Bleiben wir aber erstmal beim Positiven: „Kampf der Welten“ ist Zeitdokument durch und durch. Erstens Information für (zu) junge Generationen, die wahrscheinlich nicht einmal wissen, dass so etwas jemals in Deutschland (in der jüngeren Zeit) stattgefunden hat. Zweitens, durch den breiten Blick über die gesamte damalige Fernsehlandschaft, auch für diejenigen gut, die wissen möchten wie es zu all dem Chaos kam. Und drittens für Menschen, die zur damaligen Zeit schon bewusst  genug lebten, um sich auch an den Einspielern zu erfreuen. Irgendwie ist es halt doch eine Reise in die eigene Jugend, wenn man die ganzen alten (aber immer noch bekannten) Werbungen von früher sieht. Da ja heutzutage kaum noch Einer die alten VHS-Tapes vom Speicher holt um sich einen Film anzusehen, kann schon das alte Pro7-Zeichen ein wohliges Gefühl in der Magengegend auslösen. Zudem, wie schon erwähnt, sind einige, durch die Schnitte entstehende, Analogien wirklich großartig. Wenn eine Polizistin etwa beklagt, sie habe gehört, man hätte Flugblätter verteilt die zur Vergewaltigung der grünen Damen aufriefen und kurz darauf ALF ein freundliches „Heul doch!“ vernehmen lässt, kann einem vor Lachen schon mal die Bierdose aus der Hand fallen. Es sind nicht nur Ausschnitte wie diese, auch andere Szenen überraschen. Sehr interessant finde ich im Nachhinein den Unterschied bezüglich damaliger Journalismusmethoden und heutiger, gerade bezogen auf die Privatsender. In Zeiten, in denen sich Pro7 schon überlegt hat, die Nachrichten komplett abzuschaffen, während wir auf RTLII über das neue Justin Bieber-Album aufgeklärt werden, scheint es schon fast irreal, dass damals tatsächlich Informationen rübergebracht wurden. Zudem ist es wirklich amüsant, wenn sich (zumindest einer der) Reporter voll und ganz solidarisch mit den Punks zeigen und bei der Berichterstattung, inmitten von Straßenschlachten, plötzlich auf der Punkerseite wiederfinden. Dass Kommentatoren andererseits gar vor Morddrohungen gegenüber dem anarchischen Gesindel nicht zurückschrecken ist eine andere Sache. Wer also mal wissen möchte, wie es kam, dass Punks und Skins (auch rechte) zusammen Autobarrikaden errichteten oder einfach nur, ob dieser Herr Schröder bevor er Kanzler war überhaupt schon mal medial in Erscheinung trat (und das nicht zu seinem Vorteil) ist hier bestens aufgehoben.

Genug der Schleimerei. Kommen wir zum Negativen:  Da wären erstmal die moralinsauren und manchmal einfach nur schlecht gewählten Zwischenszenen. Nazivergleiche auf der einen, manchmal aber auch nur unzusammenhängende und viel zu lange Filmausschnitte auf der anderen Seite. Das sorgt für Ermüdung, ebenso wie die Tatsache, dass sich einige der Fernsehberichte allzu häufig wiederholen. Das alles bei einer Länge von tatsächlich eineinhalb Stunden macht den Film für eine Komplettsichtung am Stück unbrauchbar – nein, unerträglich. Irgendwann schleicht sich das Gefühl ein, alles schon zigmal gesehen zu haben. Man muss sich eben vor Augen halten, hier wirklich jeden Tagesschaubericht von damals gezeigt zu bekommen. Da die Filmteams der Sender und Presseagenturen, heute wie früher, nicht jedes Mal neues Material drehen konnten, ist eine Wiederholung zwar verständlich, wäre aber auch leicht vermeidbar gewesen. Zudem hat sich in die Berichte so Manches an Redundanz eingeschlichen: Wahrlich nicht jeder Punker hat etwas weltbewegendes mitzuteilen und manch einer scheint die letzten Gehirnzellen zu Gunsten einiger Paletten Dosenbier verloren zu haben. Dann haben wir noch die Qualität von dit Janze, soll heißen die Bildqualität. Da es sich um VHS-Aufnahmen handelt, die wiederum an einem VHS-Gerät zusammengeschnitten wurden, wir also im günstigsten Fall die Aufnahme einer Aufnahme vor uns haben, ist diese gelinde gesagt: GROTTIG! Noch schlimmer wird’s bei den im Netz (etwa Youtube) verbreiteten Versionen (im Übrigen, keine Angst wegen Urheberrecht. Durch die Kompilation mag das Ganze zwar Werkcharakter haben, ich bin jedoch sicher, dass der Betreffende „Autor“ weder die Sender noch die nächste Videothek um Erlaubnis für Verwendung des Bildmaterials  gefragt hat).

Trotz dieser offensichtlichen Mängel ist „Kampf der Welten“ ein interessanter Spaß für mindestens 2 Personen von 9 – 99 und 1 Kasten Bier. Der begleitende Soundtrack in Form von zeitgenössischen Punkkapellenballaden tut sein Übriges dazu. Wer auf gesprochenes Wort und dumpfe, eiernde und daher unverständliche Musik verzichten möchte, sollte spätestens zum Anfang der Straßenschlachten Atari Teenage Riots „Start the riot“ oder „Deutschland has gotta die“ aus den Boxen dröhnen lassen. Passt wie die Faust aufs Auge bzw. der Pflasterstein auf den Polizeihelm.

7,5/10 pts.

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