Review

Gesamtbesprechung

Schon mit seiner ersten Schöpfung für die BBC schrieb der am 18. April 1922 geborene und am 29. Oktober 2006 verstorbene Nigel Kneale britische Fernsehfilmgeschichte. Die Rede ist von Professor Bernard Quatermass, der in einer sechsteiligen Miniserie namens The Quatermass Experiment im Jahre 1953 über die Bildschirme flimmerte und die TV-Landschaft Großbritanniens nachhaltig prägte. In den Folgejahren entstanden mit Quatermass II (1955) und Quatermass and the Pit (1958/59) nicht nur weitere Miniserien mit dem umtriebigen Wissenschaftler fürs Fernsehen, sondern mit The Quatermass Xperiment (Schock, 1955), Quatermass 2 (Feinde aus dem Nichts, 1957) und Quatermass and the Pit (Das grüne Blut der Dämonen, 1967) auch erfolgreiche Neuverfilmungen fürs Kino, produziert von der mittlerweile zu Kultstatus avancierten Produktionsgesellschaft Hammer Films. Leider kam es im Zuge der Filmadaptionen zu einem Zerwürfnis zwischen Nigel Kneale und der BBC, sodaß die fruchtbare Zusammenarbeit ein (vorläufiges) Ende fand. Kneale wandte sich anderen Dingen zu, fungierte unter anderem als Ko-Drehbuchautor bei First Men in the Moon (Die erste Fahrt zum Mond, 1964) und schrieb das Skript zu The Witches (Der Teufel tanzt um Mitternacht, 1966). Mit The Stone Tape (1972) kehrte er einmal mehr zur BBC zurück, danach zog es ihn zur Konkurrenz. Das Ergebnis, die Miniserie Beasts (1976) für den TV-Sender Associated Television, kurz ATV, kann sich wahrlich sehen lassen.

Jo (Jane Wymark) und Peter Gilkes (Simon MacCorkindale) sind eben erst in ein altes Häuschen auf dem Lande gezogen, welches sie nun mit Hilfe zweier Handwerker renovieren. Beim Abriß einer Mauer stoßen sie auf einen Hohlraum, in dem sich ein großer, versiegelter Tonkrug befindet. Peter öffnet das Gefäß und befördert daraus eine groteske, mumifizierte Kreatur zutage, die selbst ein hinzugezogener Experte nicht iden­ti­fi­zie­ren kann. Gegen den Willen seiner Frau, die eine instinktive Abneigung gegen das haarige Ding hegt, weigert sich Peter, das Wesen zu entsorgen und behält es versteckt im Haus. Baby, so der Titel der Episode, ist ein Auftakt nach Maß. Regisseur John Nelson-Burton setzte Kneales Vorlage mit einem atemberaubenden Gespür für eine unheilschwangere, morbide, bedrohliche Atmosphäre um, die sich schließlich in einer haarsträubenden Auflösung entlädt, welche auch heute noch für Gänsehaut sorgen sollte. Ich wage mir gar nicht auszumalen, welche Wirkung die Schlußszene damals bei der jüngeren Zuschauerschaft gehabt haben muß. Ein echter Schocker! Dabei sind es nicht nur die Bilder, die diese eisigen Schauer verursachen, sondern auch - und vor allem - die kreuzunheimlichen Geräusche. Das gute und glaubwürdige Spiel der Darsteller trägt das Ihre zur enormen Effektivität dieses Filmes bei, wobei das exzentrische Verhalten einer Figur den rätselhaften Aspekt der Geschichte nur noch intensiviert.

Nach dem grandiosen Baby stellt sich mit Buddyboy, Episode Nummer Zwei, rasch Ernüchterung ein. In diesem unfaßbar geschwätzigen Werk geht es um den erfolgreichen Nachtclub- und Pornokinobesitzer Dave (Martin Shaw), der an einem heruntergekommenen, ehemaligen Delphinarium namens Finnyland interessiert ist, dessen großer Star, der Delphin Buddyboy, einst unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Nach langen, zähen Verhandlungen mit dem immer nervöser werdenden Besitzer (Peter Halliday) kauft er das Gebäude schließlich mit dem Ziel, es in einen Sexschuppen umzubauen. Obwohl Dave ein knallharter Geschäftsmann ist, ist er von Lucy (Pamela Moiseiwitsch) fasziniert, der ehemaligen Pflegerin von Buddyboy, die noch immer im Keller des Gebäudes haust. Die Idee eines Delphinariums, in dem ein ehemaliger Bewohner herumspukt, mag auf dem Papier ja noch recht nett geklungen haben. Die Filmadaption (Regie: Don Taylor) verbreitet jedoch überwiegend nur gähnende Langeweile. Hinzu kommt, daß mit Ausnahme von Lucy sämtliche Figuren uninteressant und/oder unsympathisch sind und phasenweise sogar furchtbar nerven. Eine überraschende (und völlig selbstzweckhafte) Nacktszene kann die Geschichte ebenso wenig retten wie das mysteriöse Ende, das für verständnisloses Kopfschütteln sorgen sollte. Immerhin beweist Buddyboy eindrucksvoll, daß Delphine als "Monster" kein bißchen taugen.

Weiter geht es mit The Dummy, inszeniert von Don Leaver. Wir befinden uns am Set einer Low-Budget-Horrorproduktion, wo der Regisseur (Glyn Houston) und sein Produzent (Clive Swift) alle Hände voll zu tun haben, um die Szenen des Tages in den Kasten zu bekommen. Es kriselt nämlich gewaltig, da sich der Mann im Monsterkostüm, Clyde Boyd (Bernard Horsfall), und Peter Wager (Simon Oates), der Hauptdarsteller des Filmes, überhaupt nicht riechen können. Was kein Wunder ist, schließlich hat letzterer ersterem die Frau ausgespannt. Der verzweifelte Clyde ist mit seinen Nerven völlig am Ende, scheint sich aber in einer Drehpause etwas zu erholen. Das entpuppt sich alsbald als Trugschluß, denn als die Kamera wieder läuft, dreht er endgültig durch. The Dummy ist die meiner Ansicht nach beste Folge der Serie. Die erfolgreiche Dummy-Filmreihe ist offensichtlich ein Seitenhieb auf die Hammer-Hits rund um Frankenstein und Dracula, und der satirische, mit schwarzem Humor gespickte Blick hinter die Kulissen ist gleichermaßen stimmig wie witzig. Es ist köstlich mitanzusehen, wie sich Clyde, der "Mann hinter der Maske", der weltberühmt ist, obwohl sein wahres Gesicht vor der Kamera nie zu sehen war, in seine Verzweiflung hineinsteigert, bis er quasi mit Dummy verschmilzt und - im Monsterkostüm - Amok läuft. Nigel Kneale und Don Leaver ist mit dieser Episode ein kleiner Geniestreich gelungen, bei dem sich bitterböse und tragikomische Elemente in etwa die Waage halten.

Schauplatz von Special Offer ist ein kleiner Supermarkt, in dem plötzlich seltsame Dinge vor sich gehen. Dosen fallen von den Regalen, Flaschen verspritzen ihren Inhalt, Verpackungen sind aufgerissen und die Lade der Kasse öffnet sich selbständig. Treibt hier irgendein seltsames Tier sein Unwesen, vielleicht sogar das niedliche Maskottchen Briteway Billy? Oder ist das Chaos auf die Spannungen zwischen dem Lehrling Noreen Beale (großartig: Pauline Quirke) und dem Geschäftsführer Grimley (Geoffrey Bateman) zurückzuführen, welcher keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die junge Frau macht? Oder ist etwa gar ein Poltergeist die Ursache allen Übels? Im Zentrum dieser unterhaltsamen Episode steht ein unsicherer, nicht besonders hübscher und darüber hinaus noch ziemlich tollpatschiger Teenager, auf dem ständig herumgehackt wird. Egal, was passiert, der erste Gedanke des Leiters scheint zu sein, daß die graue Maus Schuld daran hat. Die Gefühle als unbeteiligter Zuschauer sind ambivalent. Natürlich findet man die Angelegenheit einerseits ungerecht und hat Mitleid mit dem (hilflosen?) Mädchen, andererseits stellt sich Noreen aber auch sehr ungeschickt an und macht es ihren Kollegen alles andere als einfach. Regie bei Special Offer führte Richard Bramall, der es gut versteht, die Drehbuchvorlage launig über die Runden zu bringen, ohne den nachdenklichen, traurigen Unterton zu vernachlässigen, der sich durchs Geschehen zieht.

Bob Curry (Michael Kitchen), ein junger, engagierter Beamter der Tierschutzbehörde RSPCA, stößt bei einer Routinekontrolle auf diverse Unstimmigkeiten. So ist im Buch eines Tierhändlers vermerkt, daß eine Kleintierhandlung, welche auf Hamster, Kaninchen, Kanarienvögel und dergleichen spezialisiert ist, auch ein paar Wölfe bezogen haben soll. Diese dubiose Sache läßt ihm keine Ruhe, weshalb er sich in den Fall reinkniet und schließlich dem exzentrischen Inhaber der Tierhandlung, Leo Raymount (Patrick Magee) sowie dessen Tochter Florence (Madge Ryan) auf die Pelle rückt. Leo ist ein besessener Wissenschaftler, und um seine Theorie zu beweisen, schreckt er auch vor Selbstversuchen nicht zurück. What Big Eyes heißt diese von Donald McWhinnie inszenierte Episode und spielt damit natürlich auf die Geschichte von Rotkäppchen an, genauer gesagt auf Rotkäppchens Begegnung mit ihrer (vermeintlichen) Großmutter. Hierbei handelt es sich um eine klassische Mad Scientist-Story, wobei über das Ende hinaus offenbleibt, wie "verrückt" der Wissenschaftler nun tatsächlich war. Patrick Magee spielt groß auf, doch unwillkürlich hat man Klaus Kinski vor Augen, für den diese Rolle maßgeschneidert gewesen wäre. What Big Eyes lebt vom Schlagabtausch zwischen den beiden Kontrahenten, der zwar toll geschrieben und gespielt ist, für meinen Geschmack aber zu lang und repetitiv geraten ist. Eine Straffung hätte dieser eher durchschnittlichen Folge vermutlich gutgetan.

Zum krönenden Abschluß servieren uns Autor Kneale und Regisseur Don Taylor noch einen kleinen, feinen, bösen Schocker. Im Prinzip ist During Barty's Party ein Zwei-Personen-Kammerspiel. Das Ehepaar Angie (Elizabeth Sellars) und Roger Truscott (Anthony Bate) lebt seit vielen Jahren in einem gemütlichen Häuschen auf dem Lande. Eines Nachmittags, während im Radio die Spaßsendung Barty's Party läuft, hört Angie komische Geräusche, die von unter den Dielenbrettern zu kommen scheinen. Keine Frage, eine Ratte muß der Übeltäter sein. Während Roger dem lästigen Nager zu zeigen gedenkt, wer der Herr im Hause ist, deutet bald alles darauf hin, daß hier nicht nur eine Ratte, sondern eine kleine Armee der Nager im Haus wütet. Und auch im Radio wird von merkwürdigen Rattenansammlungen gesprochen. During Barty's Party beginnt recht harmlos, sieht man mal von der surreal-schrägen aber immens beunruhigenden ersten Minute ab. Doch als der Rattenterror beginnt, ist es mit der trügerischen Ruhe vorbei. Das ständige Kratzen im Boden (tolle Soundeffekte!) sägt an den Nerven sowohl des Ehepaars als auch der Zuseher. Während Angies und Rogers anfängliche Verärgerung langsam in Angst umschlägt und sich schließlich zu einer ausgewachsenen Panik steigert, weiß man als (sich in Sicherheit befindender) Zuschauer nicht so recht, ob man lachen oder mitzittern soll. Als dann die Rattenplage immer apokalyptischere Ausmaße annimmt, ist an Lachen sowieso nicht mehr zu denken. During Barty's Party ist packender, spannender Tierhorror, mit hohem Gruselfaktor, bei dem sich das Grauen fast zur Gänze im Kopf abspielt.

Wie man sieht ist der Titel also Programm. In Beasts geht es, auf die eine oder andere Weise, um "Bestien", wobei der Begriff so breit gefächert ist wie nur irgend möglich. Die Bedrohung kann menschlicher Natur sein, es kann sich um Tiere handeln, der Schrecken kann aber auch übernatürliche bzw. geisterhafte Formen annehmen. Allen sechs Episoden, die übrigens jeweils um die fünfzig Minuten laufen, haben gemein, daß sie ungewöhnlich, originell, rätselhaft und recht clever strukturiert sind. Des Weiteren zieht sich ein kauziger britischer Charme durchs Geschehen, und in den besten Momenten besticht die Serie darüber hinaus mit pechschwarzem Humor und herrlich bösem, schrägem Witz, ohne die Geschichte aus den Augen zu verlieren. Der Fokus liegt ganz klar auf den jeweiligen Charakteren, die mit einer merkwürdigen, ungewöhnlichen, bizarren, gefährlichen und/oder furchteinflößenden Situation konfrontiert oder selbst zu einer Bedrohung für ihr Umfeld werden. Jede Episode ist eigenständig und erzählt eine abgeschlossene Geschichte, wobei Kneale dem Publikum Erklärungen für das oftmals bizarre Geschehen konsequent verweigert. Eine gute Idee, denn anstatt den Zuseher mit irgendwelchen hanebüchenen, unbefriedigenden Thesen abzuspeisen, sorgt das rätselhafte Szenario (auch heute noch) für so manch schaurigen Moment, welcher sich im Gehirn des Betrachters schmatzend festsaugt. Nicht jede Folge ist gelungen, und das starke, altbackene TV-Flair (wenige Schauplätze, behäbiges Tempo, viele Dialoge, kaum Spezialeffekte) wird bestimmt nicht jedermanns Geschmack treffen, aber das Trio Baby, The Dummy und During Barty's Party kann es locker mit dem besten aufnehmen, was das britische Genrekino der 1970er-Jahre zu bieten hat.

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