Review

Genrekino aus deutschen Landen hat immer die gleichen Hypotheken zu schleppen: die Deutschen können das nicht, die Erfahrungen mit Horror, Action, Thriller, SF oder Fantasy sind marginal, es gibt keine Tradition und überhaupt können wir eh nix anderes als bekannte Vorbilder zu kopieren.
Wenn also ein junger angehender Regisseur wie Tim Fehlbaum als Abschlußarbeit eine Mischung aus Postapokalypse und Kannibalenfilm vorlegt, dann ruft das automatisch zwei Reaktionen hervor: entweder man lehnt die Arbeit von vornherein als "deutsches" Produkt vorsichtshalber ab oder man gibt seiner Hoffnung auf ein Drehen des Windes ungebremst nach und sucht aufgeregt nach jeder Qualität, die selbst in den finstersten Ecken auszumachen ist, um sie hochleben zu lassen.

Wofür man sich auch entscheidet, einen Blick sollte man schon werfen, wenn es denn schon was "Deutsches" ist. Anders lernt ja niemand dazu, weder Filmemacher noch Publikum.

In Fehlbaums Film ist die Welt, wie so oft, ziemlich am Arsch. Ausnahmsweise haben wir Menschen unseren Planeten mal nicht im Eigenbau geschreddert, sondern Sonnenstürme haben das besorgt. Ergebnis: es ist gleißend hell, was die fast permanente Sonneneinstrahlung und ihre zerstörerischen Nebenwirkungen angeht und die Zivilisation ist übel am Zerfallen.
Das muß auch das Protagonistentrio erfahren, die mit einem ziemlich abgewrackten Auto irgendwo ins Nirgendwo hin unterwegs sind, vorzugsweise in die Berge, weil es ja oberhalb der Baumgrenze noch/wieder regnen soll.
Über Sinn oder Unsinn dieses meteorologischen Weitblicks sollte man nicht zuviel spekulieren, wenn man es sich mit dem Film nicht in den ersten fünf Minuten verderben will (also gut, die Annahme ist absolut hirnrissig...), aber sie bietet die Basis für etwas Charakterbildung: da haben wir zwei Schwestern, die eine halbwegs zurechtgebacken (Hanna Herzsprung), die andere noch im leicht bratzigen Teenageralter (Lisa Vicari), aber nicht so schlimm, das man gleich zur Axt greifen will. Fahrzeuglenker Philip (Lars Eidinger) wirkt nicht eben organisiert, weitblickend oder patent, hat aber immerhin einen Zündschlüssel.
An einer gut durchgegrillten Tanke stößt dann noch Hunk Tom (Stipe Erpiq) hinzu, der natürlich mehr drauf hat, besser aussieht und vermutlich auch mehr in der Hose hat. Während der Auffahrt zum Glück gerät man dann jedoch an eine Gruppe nicht eben freundlich gesinnter Zeitgenossen, die Teenie Leonie entführen und selbst einem mäßig organisierten Befreiungsversuch widerstehen, der die Gruppe nicht nur auch noch Tom kostet, sondern die Tour fast scheitern läßt.
Zum Glück läßt beim Kirchenbesuch im Einöddorf eine freundliche Großmama (Angela Winkler) eine Einladung aufs Höfle fallen, die man, zivilisiert wie man sich verortet, mutigst annimmt. Mächtig schwerer Fehler...

Ja, das ist jetzt nicht eben das allerfunkelnste Awardmaterial, was uns Fehlbaum hier präsentiert, aber es ist auch nicht ganz so schlimm, das man sofort einen Film identifizieren kann, bei dem man das alles abgeschrieben hat. Gewisse Parallelen zu "The Road" sind zwar auffällig und später rückt man arg nah an das letzte Dritte von "The Texas Chainsaw Massacre", aber das ist noch kein Grund für Hauen und Stechen.
Technisch hat man mit begrenztem Budget alles Mögliche gegeben, sei es in Deutschland oder auf Korsika, wo man mittels greller Überbelichtung und einiger Windmaschinen die staubige Endzeit recht gut herausgekitzelt hat. Und wem es jetzt nach thematischem Gehalt gelüstet, so hat die Motivation der menschenfressenden Einödbauern an der Grenze zur Degeneration sogar einigen modernen Bezug, denn so routiniert und raffiniert technisch wir unsere Zuchttiere im Schlachthaus entsorgen, so gefühlsarm geht man hier vor, wenn es darum geht, das Essen auf den Tisch zu bekommen, weil es ja keine Nutztiere mehr gibt. Kannibalismus wird hier zum simplen Überlebensnotwendigkeit, auch wenn die Methoden nicht nur "unmenschlich" sind, sondern in ihrer kaltblütig-logischen Nüchternheit sogar außerordentlich erschreckend.

Es sollte jedoch niemand eine Art weiblichen Rambo erwarten, der hier zum guten Schluß die Kannibalensippe mit allen möglichen Schneidwerkzeugen aufmischt, stattdessen bleibt Fehlbaum immer mehr dem Drama als dem Thrill verhaftet und steht der menschlichen Seite seiner Figuren näher als der filmischen Unterhaltung.
Doch daraus geriert sich auch das größte Problem des Films, denn Postapokalypse ist auch immer eine gewisse Überlebensgröße zu eigen, eine Stilisierung menschlicher Probleme und so fokussiert kann der Jungfilmer offenbar noch nicht arbeiten. Die meiste Zeit der recht kurzen Laufzeit (80 Minuten netto) wirkt "Hell" wie ein biederes Fernsehspiel, das weder extrem viel Charaktertiefe noch sonderliche Schlüssigkeit zuläßt.
Die Figuren sind sehr wechselhaft und unstet angelegt, mal sind sie umwelt- und überlebensgeschult, manchmal wieder nicht. Mal haben sie gewisse Techniken drauf, die man sich zum Kampf mit der Natur aneignet, dann wieder so naiv, das sich das Publikum vor die Stirn schlägt.
Auch die äußeren Umstände sind nicht zur Drehreife entwickelt oder dem Geld geschuldet vage: die gefährliche Sonneneinstrahlung, die sich eigentlich nur mit Kopfschutz und Brille ertragen läßt, wird beliebig ausgelegt, mal brennt sie Löcher in die Haut, dann laufen die Figuren unter dem marginalen Schutz eines Tankstellenvordachs locker ohne jeden Schutz herum. Auch scheint die Helligkeit dramaturgiegebunden Auswirkungen zu haben: einerseits fährt man mittels eines Sichtschlitzes im sonst abgedichteten Auto stets gegen die gleißende Sonne an (auch nicht eben schlüssig), doch dann kann ausgerechnet Frau Herzsprung in einer Szene vom Rücksitz aus gefährliche Details wahrnehmen, die den Fahrern entgangen waren.

Auf der Basis dieser Ungenauigkeiten verläuft die ganze Geschichte, die dann eben doch etwas darunter leidet, daß die Gegend eher ausschaut wie sturmverwüstet oder leicht waldbrandgeschädigt, aber nicht wie die nötige "scorched earth" nach vier Jahren permanenter Urlaubsglut. Südliche Berghänge mit wenig Unterholz wirken auch überbelichtet einfach wie südliche Berghänge und so manche Plotwendung bedient dann doch eher den Murrbedarf, wenn es um Logik geht.
Der stärkste Abschnitt ist sicherlich die Sequenz im Schoße der unheimlichen Familie, aber auch die bleibt (abgesehen von der großartigen Angela Winkler) nebulös und eindimensional, die wahren Schrecken bleiben eine einzige Andeutung (bis zu einer graphischen Hinrichtungsszene).
Das verhält sich auch so, weil der Film thematisch zu stark springt für seine kurze Laufzeit: es gibt kaum Eingewöhnung auf die äußeren Umstände, die Figuren bleiben unterentwickelt, eine Leitfigur hatte man wohl nicht eingeplant und auch nicht besonders ausgearbeitet. Zwar macht sich Hannah Herzsprung als "everywoman" gar nicht schlecht auf allen emotionalen Sektoren, aber entgegen dem typischen Genrefilm passen die beiden Filmhälften nur bedingt bis gar nicht zusammen. Es gibt weder ein zentrales Thema aufzuarbeiten, noch Haltungen oder Vorgehensweisen durchzukonjugieren. Die Sippen-Episode bietet keine Aufschlüsse über Sinn oder Unsinn des Vorgehens, läßt eine theoretische Diskussion über Notwendigkeit und Zweck des Menschenfressens nicht zu und löst die Situation auch nicht wirklich auf. Es gibt zwar einen tödlichen Endpunkt, der aber wie so viele Themen in diesem Film nichts löst oder auflöst, sondern wieder fallengelassen wird.
Besonders ärgerlich wird das im Finale des Films, das so unvermittelt und plötzlich einen Bogen in Richtung "Hoffnung ist immer!" schlägt und die Reisenden plötzlich am Ziel ihrer Reise zeigt, das es kaum anders wirkt wie nicht anders zu behelfende Einfallslosigkeit, einen Schluß für die eigene Story zu finden.

"Hell" hat oder hatte, das muß erwähnt werden, mehr Potential, als schlußendlich auf der Leinwand zu sehen war.
Der Film war nie für den großen Kinoeinsatz vorgesehen, hatte dann aber das Glück via Festivals auf die deutschen Leinwände losgelassen zu werden. Dafür ist er aber nicht ausgereift genug, denn für Genrefreunde bietet er zu wenig Oberfläche und gängie Motive und deren Auflösung, für Freunde des menschlichen Dramas bleibt er zu vage und auf halben Wege zum Mainstream stecken, während die Kannibalenepisode wieder zu direkt rüberkommt und auf den Effekt reduziert.
So ist Fehlbaums Arbeit nicht schlecht, aber auch nicht so gut, wie sie hätte sein können - Roland Emmerich hat zwar beraten und als Produzent geholfen, aber das hätte eher Sinn gemacht, wenn das ein eher glatter Genrefilm hätte werden sollen, so wird es zur teilverkopften Chimäre, die aber nie schlüssig schildert, was und wohin sie will und wieso.
Womit es dem Regisseur so geht wie den Figuren in ihrem Film. (4/10)

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