Kammerspiel, Theaterverfilmung, überschaubarer Cast und ein in die Jahre gekommener Regisseur - was man doch mit so einer scheinbar unattraktiven Kombination für ein Rauschen im Blätterwald sorgen kann.
Heutzutage macht man sich nicht mehr so oft an die Verfilmung gut gehender Theaterstücke wie eben "Carnage" von Yasmina Reza, heute müssen es schon Erfolgsmusicals sein, in die man am Ende der Laufzeit noch einmal zur Belebung ein großes Budget hineinpumpen kann. Gerade das macht Roman Polanskis kleines, aber fein gemeintes Projekt rund um das nicht allzu lange Stück aber so interessant.
Garniert hat man den kleinen Cast mit großen Namen. Die Ehepaar, die hier ungewollt gegeneinander antreten, um über Ursachen und Wirkungen einer Prügelei unter Schuljungen zu diskutieren, bestehen aus namhaften Darstellern, allein drei davon oscargekrönt - das muß man erst mal zusammenkriegen. Außer natürlich man hat Erfolgsstück, Erfolgsregisseur und den Ehrgeiz, mal abseits der Bühne konzentrierte Schauspielarbeit verrichten zu wollen.
Wenn dann die knapp 79 Minuten Nettolaufzeit verstrichen sind und man sich amüsierwillig dem Hype um die vier übereinander herfallenden Hyänen von gutgestellten Bildungsbürgern hingegeben hat, könnte sich eventuell Ernüchterung breit machen, denn es bleibt nicht nur ein gut abgehangenes "So what?" im Saal stehen, es deucht auch die Erkenntnis, daß man manche Theaterstücke eben nicht so gut auf die Leinwand übertragen kann wie eben "Sleuth" oder "A Streetcar named Desire".
Stattdessen kommt das Gefühl auf, daß in der allgemeinen Euphorie über die Produktion selbst alle Beteiligten wie die Wilden in die Tasten gehauen haben, so daß aus dem kleinen gemeinen Stück Bühne ein überproduziertes Nichts geworden ist - amüsant durchaus, aber auch übertrieben dargeboten und in der Transposition von den Brettern in die filmische Scheinrealität von kunstvoll zu künstlich wechselnd.
Der Spielraum der Figuren bleibt dabei - das ist ja nicht das Schlechteste - begrenzt auf das Appartment von Penelope und Michael Longstreet, nur der Hausflur wird für ein oder zwei Minuten zwischendurch geentert, ansonsten kann man von einer satreschen Privathölle sprechen, die hier inszeniert wird. Der Sohn der Longstreets ist der im Streit Geschlagene und dementsprechend brodelt es ein bißchen unter der Oberfläche, der Angreifer rückt in den Phantasien der Eltern in die Nähe eines sich entwickelnden Psychopathen und die Eltern haben dementsprechend etwa das Ansehen von Erzeugern, deren Sprösslinge Schulmassaker angerichtet haben.
Das kommt zwar erst später auf den Tisch, aber es bedarf eigentlich nur weniger Sekunden und dem fahrigen, kaum kontrollierten Drängen von Jodie Foster, um die Verhältnisse klar zu machen. Die aufdringliche Jovialität ihres Ehemannes, gespielt von John C. Reilly, wirkt diametral genauso unecht.
Gegenüber stehen bzw. sitzen Nancy und Alan Cowan, wobei Alan (Christoph Waltz) sich nicht einmal die Mühe macht, den Anschein zu wahren, als ginge ihn diese ganze Affäre etwas an. Stattdessen telefoniert er zur wachsenden Frustration seiner routiniert resignierten Ehefrau (Kate Winslet) stets und ständig in einem sich anbahnenden Pharmaskandal stets und ständig mit Mandant oder Kollegen.
Das Problem beginnt genau in dem Moment, als alle Probleme beseitigt zu sein scheinen. Die Angelegenheit ist halbgar besprochen worden, man befindet sich praktisch schon auf dem Weg zur Tür, als die angebliche gute Erziehung und botmäßige Höflichkeit eine Verlängerung des Treffens forciert.
Schließlich gehört man zur oberen Mittelklasse oder zu unteren Oberklasse, zumindest haben alle Geld und sind dahingehend zivilisiert, also tastet man sich, eher unwillig den Konventionen folgend noch ein bißchen ab. Dann will man wieder gehen und wieder kehrt man in den Wohnraum zurück, bis die Emotionen und das wunderbar übertünchte Neandertalersein endlich hervorbricht.
Und genau da liegt das Problem in dieser gut gemachten, sehr gut besetzen und professionell geführten Produktion: auf der Bühne funktioniert "Carnage" hervorragend, weil die Darsteller sich dort dem Skript unterordnen und ihre Klassenrollen vorschußfrei entwickeln und fallenlassen können; im Film jedoch sehen wir namhafte Oscarpreisträger, die skriptgemäß wutentbrannt aufeinander einschreien dürfen, sollen oder müssen, denn genau dafür allein kommen die Zuschauer. Man will sehen, wie Reilly poltert und Foster giftet, als die Winslet ihr auf den Kaffeetisch mit den luxuriösen Coffeetablebooks reihert. Man will Gift und Galle, man will Stars, die endlich mal die Hose runterlassen. Man will für 8 Euro das, was sonst am Broadway 70 Dollar kosten würde. Das Stück tritt dagegen in den Hintergrund.
Folglich mutiert die Verfilmung zur Verkünstlichung. Wie gezwungen wirkt plötzlich die Ortswahl, der mehrfach angedeutete und immer wieder aufgeschobene Abschied wirkt bemüht herbeigeführt, das Erbrechen wirkt sensationsheischend und was noch viel schlimmer ist, das säureartige Um-sich-Schlagen und Fallenlassen aller Masken macht nur den Anschein, als wäre es eben wegen des Überraschungseffekts inszeniert und nicht organisch ein Teil der Botschaft des Stücks.
Die Figuren in "Gott des Gemetzels" sind nicht echt, sind vielleicht zu echt und schon wieder ein exemplarisches Stück von Normalitätsillusion entfernt. Amerikanisierte Oberklasse, durch die illustren Darsteller noch mehr entfremdet und kaum in der Lage, noch eine Verbindung zum Durchschnittspublikum herzustellen, von dem Sensationsgelächter einmal abgesehen.
Es geht nicht um transportierte Inhalte, es wird ein "Wann geht es los"-Gefühl transportiert und das haben weder Polanski noch seine Mimen verdient, die zwar alle Zügel schießen lassen, die aber nicht durch ein unbedingt tabubrechendes Stück gestützt werden. Rezas Werk ist zwar aufsehenerregend, aber aus einer normalmenschlichen Perspektive und es entwickelt sich nicht in ein überdimensionales Stück Mord- und Totschlag und sei es nur verbal.
Am Ende brennen die Figuren lediglich aus, haben sich entblößt, versucht sich kaputt zu machen und sind dementsprechend vollkommen fertig mit der Welt. Das Resultat: erschöpfte Wortlosigkeit, dem Polanski eine Außenaufnahme gegenüber stellt, in der sich die Jungs beim Spiel längst wieder versöhnt haben.
Als Film hätte die Geschichte jedoch einen sich aufbauenden Höhepunkt bedingt, einen Fokus, ein Ziel und vor allem eine Art von Resultat oder eine Pointe, doch um all das geht es in Rezas Werk nur am Rande oder gar nicht. Der Prozess im Gehirn des Zuschauers ist wichtig, nicht das Gesehene und so fällt am Ende des Films nicht selten ein ernüchtertes "Wie, das war es jetzt?".
Dennoch ist "Carnage" kein schlechter Film, er ist lediglich nicht halb so sensationell wie er stets gemacht wird. Stets verglichen mit "Who's afraid of Virginia Woolf?" fehlt Rezas Stück die Möglichkeit, einen echten visuellen Tabubruch herbeiführen zu können. Sich verfluchende und beschimpfende Ehepaare waren 1967 noch neu, heute stellt allein die Idee, daß es Winslet und Foster sein könnten, die das tun, einen Reiz dar.
So kommen die Darsteller dann auch unterschiedlich aus dem Film wieder heraus, alle halbwegs heil, aber alle eben nicht ganz überzeugend. Den besten Eindruck macht ausgerechnet Christoph Waltz, der bisher recht erfolgreich gegen seine eher miese amerikanische Rollenwahl nach "Inglorious Basterds" angespielt hat. Sein eher auf die Arbeit fokussierter, endlos gelangweilter Alan, der erst Interesse zeigt, als die Auseinandersetzung härter und bösartiger wird, legt er unendlich routiniert und entspannt an, der Einzige im Cast, der ohne zu übertreiben in seiner Rolle aufgeht und gemütlich eine Herablassung und Provokation nach der nächsten absondert. Waltz ist als einziger "drin" im Theaterstück und strahlt sogar, wenn er nur im Hintergrund an seinem Handy herumspielt. Dagegen kann Kate Winslet kaum etwas tun, denn im ersten Drittel steht sie meist im Hintergrund und kann auch später (nach dem furiosen Erbrechen) meist nur mit Wutstandards punkten. Das ist aber immer noch solider als die furchtbar chargierende Jodie Foster, die schon in der ersten Szene sichtlich kurz vor dem Ex- oder Implodieren zu sein scheint und anschließend nur noch Lava geifern muß, um sich vollends zur Karikatur aufzublasen. Dagegen hat ein Dramödientalent wie Reilly in seiner geerdeten Handwerkerrolle kaum eine Chance und spielt jovial nach Skript an den anderen Stars vorbei, die einfach nicht recht zu ihm passen wollen.
Oder auch sogar zum Stück, denn neben den amüsanten Bösartigkeiten ist es wirklich nicht mehr sehr aufsehenerregend, wenn die Foster ihre Kunstbücher von Kotze befreit oder Waltz halb panisch sein Handy trocken fönt, man sich mit Whisky einen ansäuft, um dann endlich mal Tacheles zu reden und zu zeigen, hinter welchen Bildungsbürgermasken man sich hier die Ehre gibt.
"Der Gott des Gemetzels" ist wahrlich kein schlechter und schon gar nicht Polanskis schlechtester Film. Er trägt allein aufgrund der Besetzung und des Versprechens verbaler Injurien den Publikumserfolg in sich und kaum ein Mensch im Saal, der nicht gniggert, wenn sich große Namen klein machen.
Aber nach 2-3 Tagen merkt man dann doch, daß der Film eine zu kurze Halbwertszeit und kein Talent als Sättigungsbeilage besitzt. Zu wenig bleibt hängen, kaum etwas nimmt man mit nach Hause und die Botschaft hat vermutlich der ausgesetzte Hamster als Käfigunterlage dabei gehabt.
Das wird Reza nicht gerecht, aber wer dennoch als Theaterfan den Film gern im Regal lagern möchte, der halte sich klug an Waltz' chargenfreies Spiel, der von den Übertreibungen der Anderen genußvoll ablenkt. (6/10)