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Auf dem Rückweg von einer Feier anlässlich seines 25-jährigen Firmenjubiläums läuft der brave Buchhalter Chris Cross (Edward G. Robinson) der jungen Kitty (Joan Bennett) über den Weg – und rettet sie vor dem brutalen Schläger Johnny. Aus Dank geht sie mit ihm etwas trinken, und innerhalb kürzester Zeit verfällt er ihr völlig. Er mietet ihr ein Appartement, stiehlt für sie Geld von seiner Firma, überlegt, wie er seine Frau loswerden könnte – nicht ahnend, dass sie und Johnny ein Paar sind, das sich vorgenommen hat, ihn gnadenlos auszunehmen...

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und seiner Anti-Nazi-Thriller-Phase widmete sich der deutsche Regisseur Fritz Lang dem damals in Hollywood populären Film noir. Mit Licht- und Schattenspielen, einer verführerischen Femme fatale und einer tragischen Hauptfigur, die unversehens in die moralischen und kriminellen Tiefen zwielichtiger Gesellschaft gezogen wird, sowie einer bösen Geschichte liefert er dabei alle Grundzutaten des Genres. Dennoch bleibt „Straße der Versuchung“ eines seiner eher schwächeren Werke.

Was nicht heißt, dass der Film schlecht wäre. Lange Zeit hält er mit seiner interessanten Figurenkonstellation das Interesse und die Erwartungshaltung des Zuschauenden bei der Stange. Besonders überraschend ist Edward G. Robinson als durch und durch freundlicher, ja naiver Kleinbürger, der keiner Fliege etwas zu leide tun könnte und nur durch den schlechten Einfluss seiner Bekanntschaft in immer düsterere Gedankenfelder hineingetrieben wird. Nachdem Robinson über Jahre hinweg als brutaler Gangster Nr. 1 quasi stammbesetzt wurde, wirken die Verzweiflung, Hoffnung, das zerbrechliche Glück in seinem Gesicht angesichts der hübschen Frau, die ihn anzuhimmeln scheint, überaus irritierend und fesselnd. Seine grobschlächtige Mimik und Statur tragen dabei ebenso zu einer grundlegenden Sympathie bei, wie sie sonst zu seiner gefährlichen Aura verhalfen. Auch Joan Bennett macht ihre Rolle sehr gut, gibt die eiskalte Verführerin mit überzeugendem Charakterwechsel, je nachdem, mit wem sie gerade redet. Die beiden bilden ein packendes toxisches Paar, dem man lange Zeit gern zusieht – und das Schlimmste befürchtet.

Allerdings dauert es dann doch etwas zu lange, bis dieses Schlimmste eskaliert. Nach der spannenden und alle gefährlichen Verbindungen etablierenden Einleitungsphase verfällt der Film einem arg apathischen Erzählfluss. Die dramatischen Entwicklungen beschränken sich auf kleine Lügen, ein Intrigenspiel um Mietzahlungen und falsche Identitäten des Schöpfers überraschend erfolgreich werdender Gemälde. Auch Cross' Naivität nimmt irgendwann so allumfassende Züge an, dass es schließlich an der Glaubwürdigkeit hapert. So packend die moralische Situierung lange Zeit bleibt, wird sie doch irgendwann zu plump – der so unglaublich uneigennützige Cross, der sogar seine Bilder unter fremdem Namen verkaufen lässt, gegen die keinerlei Skrupel kennende Kitty. Auch weil man schon nach wenigen Filmminuten erfährt, wie die Verhältnisse wirklich sind, kommt da lange Zeit keine richtige Spannung mehr auf, sodass der Film im langen Mittelteil ein wenig unspektakulär vor sich hin plätschert – auch weil ihm sonderlich beeindruckende formale Inszenierungsmittel in Sachen Kamera, Bildgestaltung und Ausstattung weitestgehend fehlen.

Dann jedoch kommt der bitterböse Schlussteil, und der holt durch seine tief tragische und emotional vielschichtige Konstellation wieder einiges raus. Ein Mord, eine ungerechte Hinrichtung und ein abgrundtiefer sozialer Fall – hier fallen die bisher aufgebauten Motive und Zusammenhänge kongenial ineinander und hinterlassen bis ins Detail eine bösartige Pointe, die lange nachwirkt und die ethische Tragödie aller Beteiligten in allerbester Film noir-Manier ausbreitet.

Mit „Straße der Versuchung“ vertieft Lang seine Wurzeln im Hollywood-System, auch wenn er nicht unbedingt ein absolutes Highlight des damals so verbreiteten Genres liefert. Mit interessanter Besetzung, einer bösen Geschichte, die sich über alle schwachen Phasen hinweg zu einer großen Tragödie ausweitet, und souveräner, wenn auch nicht herausragender Inszenierung zeigt er immerhin stabiles filmisches Können. Für Fans des Film noir allemal sehenswert.

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