Review

Steven Spielberg inszeniert Tom Cruise in einem SF-Film nach einer Kurzgeschichte von Philip K.Dick ("Blade Runner") - das klingt absolut großartig und muß deswegen schon tierisch in die Hose gehen.
Und was soll ich sagen - das tut es auch!

Vorneweg ein Gruß an alle, die sich als Action-Fans mit einer Vorliebe für ein wenig anspruchsvolle Erzählweise bezeichnen: als actionreicher Zukunftskriminalfilm funktioniert "Minority Report" durchaus und kann auch prima unterhalten. Es sollte bloß niemand an der Oberfläche kratzen.
Keine Chance dagegen hat Stevies Film auf der philosophischen oder psychologischen Seite der SF, die Dicks Werk auszeichnet. Hier erklärt sich der Film zum Wohl von Hollywood als bankrott.

Worum es gehen soll: in der Zukunft des Jahres 2054 verhindert in Washington die PreCrime-Abteilung mittels sogenannter Präcognitiver (in die Zukunft schauender medial Begabter) Morde, bevor sie begangen werden. Bis der Einsatzleiter John Anderton selbst als Mörder identifiziert wird und sich ungläubig auf die Flucht begibt, weil er es nicht glauben kann.
Was wir dann zu sehen bekommen: Spielberg zentriert das Spiel (wie sollte es auch anders sein) voll und ganz auf seinen Hauptdarsteller. Filme mit Tom Cruise sind "Cruise-Filme", da trifft ihn der Fluch genauso wie John Wayne sein Image mit sich herumschleppen mußte. Und obwohl sich Cruise in diesem Zusammenhang zurücknimmt wie selten zuvor in seiner Laufbahn, ist sein schieres Vorhandensein hier zu dick aufgetragen, zu überdimensional. Wenn wir Cruise sehen, wissen wir, daß hier am Ende nichts schief gehen kann, auch wenn vorne Dick draufsteht. Cruise ist der Unzerstörbare. Und es soll tatsächlich so schlimm kommen.

Nach einer Vorstellung der PreCrime-Methode schmiert der Film dann nach der Beschuldigung Cruise/Andertons in eine futuristische Fassung von "Auf der Flucht" ab. Cruise kämpft sich durch eine allzu nahe Zukunft, in der man durch Netzhautscan hunderte von Malen pro Tag identifiziert wird und in der eine Flucht nahezu unmöglich ist. Die Frage für ihn ist: kann man die Zukunft verändern? Oder: können Präcgonitive sich irren?

Wer jetzt aber Philosophisches erwartet (was ganz interessant wäre), wird enttäuscht: der Film verliert sich zu sehr in seiner Fluchtgeschichte und steuert den Zuschauer penetrant auf eine Verschwörung zu, an deren Ende nur die Frage steht, wer der Böse in diesem Mischmasch ist.
Dabei geht der Story so viel verloren, daß man Spielberg und Konsorten ohrfeigen sollte.

Denn der Meister ist letztendlich nur an der reichhaltigen Bebilderung einer vorstellbaren Zukunft interessiert und lebt seinen überdimensionalen Spieltrieb an allen Ecken und Enden aus.
Weder interessiert er sich für die moralischen Zweifel, die eine Verhaftung und lebenslange Einlagerung der möglichen Täter, trotz eben NICHT begangener Verbrechen mitbringen würde, noch gibt er dem Faktor der Fehlbarkeit psychischer Vorhersagen erzählerischen Raum. Zwar steht der mögliche Irrtum in der Story im Raum (daher der Titel "Minderheitenbericht", wenn sich die Begabten mal nicht einig sind und die Abweichung ignoriert wird), doch wird der nach Erwähnung von mindestens zwölf solchen Fällen weder zur brisanten Information, sondern lediglich zum Schlüssel in Cruises eigenem Schicksal, falls für seinen Mord ebenfalls ein solcher Report existieren sollte.
Man hat das Gefühl, derlei komplizierte Überlegungen seien etwas, vor dem man den Zuschauer schützen müßte und das ein simpler Einzelfall eine emotionalere Bindung hergeben würde.

Gleich zu Beginn spendet Spielberg drei Sätze zwischen dem Justizbeamten (Colin Farrell) und Cruise an mögliche Zweifel, um sie dann nie wieder in diesem Kontext aufzugreifen.
Auch als Cruise später selbst ungläubig die Erkenntnis verweigert, ein Mörder sein zu können, wird das System an sich nie in Frage gestellt, sondern nur der individuellen Rettung gehuldigt.

Stattdessen bekommen wir wieder reichlich Augenfutter zu sehen, bebildert Spielberg selbstverliebt ein neues Universum mit Schauwerten, die trotz aller Noven dennoch kaum innovativ daherkommen. Zwar sind die senkrecht nach unten zu befahrenden Highways ein netter Einfall, doch sowohl die als auch die Flugszenen der Polizeiraumer oder die Szenen mit Raketenpacks auf dem Rücken, sind bloß Mittel zum Zweck, Eye-Candy, noch dazu durch die berühmte Randunschärfe als FX überdeutlich.
Selbst in einer atmosphärischen Sequenz, als Cruise noch blind sich gegen eine Horde von mechanischen Spinnen, die einen Augenscan von ihm wollen, in einer Wohnung versteckt, verschenkt Potential durch die gewollte "Niedlichkeit" im Verhalten der Maschinen.

Die ganze Exposition stinkt überdeutlich nach Vorbildern wie "Judge Dredd" oder "Demolition Man" und weniger nach Ridley Scotts anderem berühmten Dick-Film.
Dazu passend auch der ausgemergelt blasse Farbton, den Spielberg dieser Zukunft verpassen ließ. Nicht, daß es nicht wirken würde, aber man spürt die Absicht hinter der oft erwähnten Entscheidung und sobald ein Inszenierungsstil einen Zweck erfüllen soll (also ihn nicht stillschweigend erfüllt), ist er schon gescheitert.
Was vollkommen untergeht, ist die Zweiteilung der Gesellschaft in eine sozial starke und schwache Seite. Obwohl mehrfach vorgeführt und erwähnt, fällt hier nicht ein kritisches Wort dazu.

Aber wer braucht dergleichen, wenn er seine tricküberhäuften Actionsequenzen dafür mit augenzwinkernden Extras würzen kann, hier und da ein ironischer Spruch, Inserts von Familien am Eßtisch über die das Chaos Kämpfender hereinbricht. Spielberg schenkt uns ein Lächeln und selten war es unpassender, denn hier lechzt man eher nach einer düsteren Story mit offenem Schluß.

Also soll es auch nicht wundern, daß mit Charakterisierungen gespart wird. Die Figuren bleiben meist pure Abziehbilder, abgesehen von Cruise, Farrell, von Sydow als Mentor und Vorgesetztem und Cruises Ex-Frau.
Allenfalls Samantha Morton als vorausschauende Agatha hat noch ein paar gute Szenen und Peter Stormares Augen-Transplanteur Dr.Solomon ist akzeptabel genug zusammengekalauert, um uns derbe schlucken zu lassen.
Leider führt diese Figurenarmut auch dazu, das der Kreis der Verdächtigen verdächtig klein bleibt und die Aufklärung an sich am Ende ist keine Überraschung.

Stattdessen macht Spielberg Fehler um Fehler, die bitter aufstoßen.
Da plant man den landesweiten Einsatz von PreCrime, obwohl es anscheinend lediglich diese drei Präcogs auf der Welt gibt, ohnehin die letzten überlebenden Kinder drogensüchtiger Mütter. Wie will man sich die neuen Präcogs stricken, wenn diese hier schon überlastet sind. Da wird am Ende das PreCrime-Department nur wegen der möglichen Fehlerquelle schon komplett aufgelöst - verlangt so etwas nicht eher nach einer verstärkt abgesicherten Fahndung, als nach Einstellung der Methode? Da wohnen den PreCrime-Fällen immer Anwalt und Richter bei und haben doch scheinbar keine Funktion. Da werden die möglichen Täter ohne Verhandlung für den Rest ihres Lebens eingelagert, von einer Privatfirma, ohne Möglichkeit auf Entlassung, ohne juristischen Unterbau?
Da foltern die Spiders Cruise in einer mit Eiswasser gefüllten Wanne mit Elektroschocks - recht unpraktisch für ein mechanisches Gerät, gell? Und warum muß die Präcog-Maschine, die Täter und Opfer nennt, so lächerlich nach der Ziehung der Lottozahlen aussehen. Letztere dürfte für enorme Heiterkeit sorgen.

Selbst der fingierte und vorausgeplante Mord Andertons selbst ist logisch mehr als fraglich, denn obwohl jemand die Voraussetzungen für das Ende des Films schafft, muß der tatsächlich vorhergesehene Verlauf ein bloßer glücklicher Zufall sein. Im übrigen bleibt dem Täter im fertigen Film verdächtig wenig Zeit, um diesen Ausweg zu entwerfen.
Aber das geht eh unter in den Schlußszenen, in denen der Film unnötigerweise noch weiter in einer schwulstigen Gefühlssoße ersäuft wird ("Dieses Haus ist voller Liebe") und die mehr Rätsel zurücklassen, als sie auflösen, bis ein noch mieserer Off-Kommentar am Ende ein Happy-End einleitet, wie wir es nun gar nicht sehen wollen.

Dagegen stehen neben dem offenkundig gut gehaltenen Tempo und starken Bildern einige Sequenzen, die es qualitativ in sich haben, vor allem Cruises Gespräch mit Lois Smith, die die Erfinderin des Systems spielt und die Szenen, in der er mit Samantha Morton versucht, innerhalb einer Shopping-Mall seinen Verfolgern zu entkommen, während sie ihn durch Voraussagen leitet. Aber auch hier erheben sich die Fragezeichen, denn ohne die zwei Partner dürfte sie überhaupt keine Vorhersagen treffen können.
Aber der Unterhaltungsfaktor mag ruhig stimmen, wenn jedoch die Vorausberechnung und das Plakative einen derartigen Raum in der Inszenierung einnehmen, sollte man sich die Verbindung zu Dick ruhig ganz aussparen und einfach von vorne bis hinten auf Spaß setzen.

Also Kinder: Spielberg hat einen SF-Film gedreht und einige Bilder sehen echt düster aus. Amüsiert euch gut!
Mir reicht das nicht. Definitiv! (5/10)

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