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I won't talk! I won't say a word!” (George Valentin)

Anno 1966 brachte Alfred Hitchcock im Rahmen seines legendären Werkgesprächs mit François Truffaut – in Deutschland als Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ erschienen – die Quintessenz des Kinos auf den Punkt: Was du in Bildern erzählen kannst, erzähle in Bildern. Zu Zeiten des Stummfilms ohnehin obligatorisch wurde diese Tugend nach Einführung des Tonfilms recht stiefmütterlich behandelt. Denn es gestaltet sich zweifellos einfacher, Informationen verbal zu kommunizieren, als visuelle Ideen dafür zu entwickeln. Mit „The Artist“ erschien ein Werk, das sich hingegen auf diese alten Werte besinnt. Fernab von Erfindungen wie Dreidimensionalität, Farbe, Ton oder gar CinemaScope entführt das Gespann Michel Hazanavicius und Jean Dujardin das Publikum in Hollywoods Golden Age.

Hollywood, 1927: Es herrscht Aufbruchsstimmung. Das Filmgeschäft boomt. George Valentin (Jean Dujardin) ist der Star zahlreicher cineastischer Eskapaden. Die Damenwelt – und so auch die junge Peppy Miller – liegt seiner nonchalanten Lebemann-Aura zu Füßen. Selbstsicher meistert er sowohl das Leben vor als auch hinter der Kamera, bis ihn die Einführung des Tonfilms zum alten Eisen degradiert. Während Valentins Karriere sich dem Nullpunkt nähert, avanciert Peppy Miller zum Star der neuen talkies.

„The Artist“ versteht sich als liebevoll konstruierte Hommage an das klassische Hollywood-Kino der 1920er Jahre. Auf vielerlei Ebenen tritt Michel Hazanavicius seinen großen Vorbildern auf Augenhöhe, aber stets mit Würde und Respekt gegenüber. Der hier zugleich als Drehbuchautor fungierende Regisseur wagt dabei das spannende Experiment, sich nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf formaler Ebene vollkommen seinem Sujet zu öffnen. Puristisch verzichtet er im Zuge dessen auf Elemente, die mittlerweile zum Standardrepertoire des Kinos zählen. Statt CinemaScope bedient er sich des Academy Ratio-Formats von 1.33:1, statt knallbuntem Popcornkino verzaubert er den Zuschauer mit monochromer Schwarz/Weiß-Ästhetik. Doch das wohl konsequenteste Element: Anstelle von Dialogen und Geräuschen dominiert allein eine wundervolle Musikuntermalung.

Insbesondere aus der Reduktion der auditiven Ebene schöpft „The Artist“ seine Stärke. Bilder dienen nicht nur der „Bebilderung“ von ohnehin verbal vermittelten Informationen. Der Film erzählt – ganz im Sinne Hitchcocks – die Geschichte des verglühenden Sternchens George Valentin auf Basis visueller Einfälle – dem Grundgestus des Kinos. Das Werk operiert dabei erzählerisch geschickt auf mehreren Handlungsebenen. Parallel zur Geschichte spannt Hazanavicius eine Subebene auf, die er zum Kommentieren und Reflektieren nutzt. Über das Element „Film-im-Film“ gelingt es ihm, an entscheidenden Stellen stets das Geschehen der Haupthandlung auf den Punkt zu bringen. So trägt beispielsweise einer von Peppy Millers Filmen den Titel „Guardian Angel“. Eine direkte Referenz auf ihr Verhältnis zum mittlerweile in Armut lebenden George Valentin. Ebenfalls sehr sinnfällig und eine schlichtweg schöne Analogie zu Valentins Schicksal ist dessen finaler Abgang in „Tears of Love“ – seinem letzten Stummfilm.

Obwohl das gegenwärtige Hollywood in seinen Mechanismen deutliche Unterschiede gegenüber der Traumfabrik der 1920er Jahre aufweist – Stichwort: Studio- und Starsystem –erweckt der Film beim Betrachter nichtsdestotrotz einen interessanten Gegenwartsbezug.
In dramatisierter Form ähnelt George Valentins Leidensweg einer nicht unbedeutenden Anzahl an damaligen Schicksalen. Mit der Einführung des Tonfilms kamen oftmals Sprachbarrieren – insbesondere in Bezug auf Immigranten aus Europa – oder schlichtweg unpassende bzw. untrainierte Stimmen negativ für Schauspieler zum Tragen. Das durch die neue Technik initiierte Dilemma weist auffallende Parallelen zu einer Diskussion auf, die zu Beginn des digitalen Kinozeitalters an Aktualität gewann. Insbesondere Schauspieler stellten sich die Frage, ob die neuen Möglichkeiten des computergestützten Arbeitens in naher Zukunft den Menschen aus Fleisch und Blut vor der Kamera obsolet machen würden. Dahingehende Versuche – unter anderem „Final Fantasy: The Spirits Within (2001) – erwiesen sich jedoch bisher als zu wenig ausgereift, um eine wirkliche Konkurrenz darzustellen.

Von den immanenten Qualitäten des Werks abgesehen, beweist Hazanavicius zweifelsohne ein Gespür für die Stimmungslage des Publikums. Nur in einer Zeit, in der beinahe alles visuell möglich erscheint, kann etwas so absichtlich altes und puristisches dermaßen frisch und unverbraucht wirken. So nimmt „The Artist“ den Zuschauer mit auf eine 100-minütige Zeitreise, die zwar im Grunde auf der alten Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Fabel basiert. Nichtsdestotrotz erscheint der Film in allen Belangen unverbraucht, kurzweilig und voller Liebe zu seinem Sujet. Für den sich mehr davon wünschenden Zuschauer bleibt zunächst nur der Griff ins heimische Filmregal oder der Besuch der nächsten Retrospektive, um sich aufs Neue von Fred Astaire, Elizabeth Taylor, Humphrey Bogart und Co. begeistern zu lassen.

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