Wegen ihrer Schwangerschaft gibt Eva (Tilda Swinton) die Karriere
als Reisebuchautorin auf. Sohn Kevin (Jasper Newell, Ezra Miller) ist ein
Spätentwickler, trägt lange Windeln und scheint seine Mutter zu hassen, während er mit Papa (John C. Reilly) bestens auskommt. Mit zunehmendem Alter wird Kevin immer verhaltensauffälliger, bis sich ein schreckliches Drama ereignet…
Tilda Swinton („Broken Flowers“ 2005, „Burn after Reading“ 2008) nennt den Film „den Alptraum eines jeden, der plant ein Kind zu kriegen“ (DVD-Bonus). Zu Recht erhält sie für ihre ergreifende Darstellung einer verzweifelten Mutter den Europäischen Filmpreis 2011 als beste Darstellerin. Wie ein weiblicher Hiob, der jeden Glauben an das Gute längst verloren hat, erträgt sie mit verkrampfter Miene den Hass ihrer Mitmenschen, es rührt zu Tränen, wenn
sie ausgerechnet zu Buddy Hollys „Everyday“, an sich einer der schönste
Popsongs aller Zeiten, im Auto zu Halloween an einer fröhlichen Kinderschar
vorbei fährt. Der Soundtrack selbst stammt von Radiohead, daneben gibt es ein paar Country Songs, die die Kleinstadtatmosphäre betonen, und weitere
eindringliche Songs, wie „In my Room“ von den Beach Boys.
Lynne Ramsays (auch Drehbuch, „Ratcatcher“ 1999) Drama basiert auf einem in Briefform verfassen Roman von Lionel Shriver und beginnt mit
verstörenden Aufnahmen. Es dauert rund eine halbe Stunde bis sich diese mit den ersten Szenen zu einer packenden Story verdichten. In deren Mittelpunkt steht die Schuldfrage: Inwieweit sind Eltern für das Tun ihrer Kinder verantwortlich? Was machen, wenn das eigene Kind ein kleiner Satansbraten ist, dem man einfach nicht beikommen kann? Dem man, wie alle Eltern, nur das Beste für die Zukunft wünscht und dann deprimiert feststellen muss: „Du siehst nicht glücklich aus“. Die Antwort bricht ein Mutterherz: „War ich das je?“. Was genau geschieht, soll hier nicht gespoilert werden. Lynne Ramsays Film kann selbstverständlich keine Lösung bieten, stellt aber eine gesellschaftlich relevante Problematik zur Diskussion. Ein kleines Meisterwerk, großartig inszeniert, gefilmt und geschnitten mit einem starken Ensemble. (9/10)