Review

Familienkatastrophe Deluxe, oder: Was soll ich tun, wenn mein Kind mich hasst.

Eva: "Ich will, dass Du mir sagst, wieso!?"

Kevin: "Früher dachte ich, ich wüsste es, jetzt bin ich nicht mehr so sicher"

Eva und Franklin sind ein "duftes Paar". Er mit Led Zeppelin T-Shirt, sie Buchautorin mit Reiselust, der Höhepunkt ihrer Beziehung soll das gemeinsame Kind sein.
Alles könnte wunderbar sein, wäre da nicht der Verdacht von Eva, ihr eigenes Kind würde sie ablehnen. Permanent schreit das Kind, jedoch nicht in Gegenwart von Franklin. Deshalb stellt Eva ihr "Problem" nur zögerlich zur Diskussion, da sie es
nicht wahrhaben will und sich gegenüber Franklin in ihrer Vermutung nicht sicher ist. Jahre später, Kevin ist nun ungefähr 5 Jahre alt, hat sich die Situation nicht gebessert. Im Gegenteil, in ihrer Gegewart provoziert und beleidigt das Kind permanent die eigene Mutter, ist im Beisein von Dad jedoch der reinste Engel.
Auch im Teenageralter das gleiche Spiel. Der tiefsitzende Hass von Kevin auf seine Mutter treibt einen Keil in die Familie, denn die psychische Belastung, der Eva durch ihr eigenes Kind ausgesetzt ist, geht auch an ihr nicht spurlos vorüber. Die inzwischen zum Kleinkind herangewachsene, nachgeborene Tochter, bekommt langsam auch eine Art Verachtung von Kevin zu spüren, jedoch lange nicht so ausgeprägt, wie der absolute Hass auf seine eigene Mutter. Kevin beginnt sich zu verschliessen, irgendetwas reift in ihm heran.

Ich beende hier die Inhaltsangabe, da sie auch insofern keinen Sinn macht, da der Film auf mehreren (Zeit-)Ebenen spielt und der Zuschauer ersteinmal realisieren muss, worum es geht und in welcher Storyebene er sich gerade befindet.

Zum Thema Amoklauf gibt es schon diverse Filme, jedoch geht keiner derart differenziert auf den Vorlauf, die Vorgeschichte ein. Aber auch diese liefert letzten Endes keinerlei Erkenntnisse darüber, warum Kevin eines Tages ausrastet und ab welchem Moment sich sein Hass manifestiert hat, der sich dann auch gegen die gesamte Gemeinschaft/Gesellschaft richtet. Eine Heerschar an Psychologen und Psychiatern könnte sich auf Kevin stürzen, ich bezweifle das irgendwer irgendetwas erklären könnte, da Kevin "dieses Gefühl" entweder schon immer in sich trägt oder er einfach keine Begründung für sein Handeln benötigt.
Einmal fragt ihn seine Mutter, nachdem Kevin ihr wissentlich eine CD-Rom mit einem Virus "zugespielt" hat und damit die Daten ihres Laptops zerstört hat: "Warum hast Du so etwas (den Virus), was ist der Grund?" Antwort: "Es gibt keinen Grund. Das ist der Grund".
Und das beschreibt auch ziemlich genau alle Handlungsweisen von Kevin, sie scheinen intuitiv oder triebgesteuert abzulaufen, nach Gründen zu suchen, ist höchstens für die Mutter oder Psychologen interessant, jedoch nicht für Kevin.
Und lauert nicht der Irrsinn, die unterschwellige Aggression in jedem Menschen? Die Frage ist, was bedarf es an äußeren Einflüssen, um den Schalter umzulegen oder andersherum gefragt, bedarf es überhaupt Einflüsse von Aussen, um jemanden dazu zu bringen, sich gegen die Norm, die Moral, gegen die Gesetze und damit gegen die Gesellschaft zu stellen?
Dankenswerter Weise wird in KEINEM Moment des Films versucht, irgendeinen Zusammenhang von äußeren Einflüssen zu konstruieren. Weder hat Kevin ein "schlechtes" Elternhaus, noch die falschen Freunde, es wird kein Drogenkonsum vorgeführt oder die obligatorischen Computer- und Videospiele. Gut so! Denn so einfach, wie die Massenmedien derartige Ereignisse aufbereiten ist es in Wirklichkeit nicht.

Fazit: Ein sensationeller Film über einen Jugendlichen, der aus unerklärbaren Gründen zuerst seine Mutter über Jahre psychisch foltert und im weiteren Verlauf sein gesamtes Umfeld mit in den
Abgrund reisst. Hervorragend gespielt von John C. Riley und Tilda Swinton als Eltern sowie Ezra Miller als Kevin im jugendlichen Alter. In vielerlei Hinsicht auf den Punkt gebracht und doch mit so vielen offenen Fragen, dass man noch lange darüber nachdenken muss. 9/10

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